Die Grünen steuern bei den Landtagswahlen in Bayern auf ein Rekordergebnis zu. Was steckt dahinter?

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Im bayerischen Landtagswahlkampf strotzen die Grünen vor Selbstbewusstsein: Zum TV-Duell durfte deren Spitzenkandidat Ludwig Hartmann gegen CSU-Ministerpräsident Markus Söder antreten.

Und der weibliche Part des Grünen-Spitzenduos, Katharina Schulze, sagte Spiegel Online: "Ich finde, Macht ist nichts Schlimmes."

Das Selbstbewusstsein kommt nicht von ungefähr: Umfragen sehen die Partei vor den Wahlen am 14. Oktober bei mehr als 15 Prozent – und derzeit sogar auf dem zweiten Platz. Was sind die Gründe für diesen Höhenflug?

1. Rückenwind vom Bund

Erstens steht die Partei derzeit nicht nur in Bayern gut da. "Die Stärke der Grünen im Land hängt auch mit der Stärke der Grünen im Bund zusammen", erklärt Michael Weigl, Politikwissenschaftler an der Universität Passau, im Gespräch mit unserer Redaktion.

Bundesweit profitieren die Grünen vom neuen Duo an der Parteispitze – und auch davon, dass sie sich als Oppositionspartei nicht für verkorkstes Regieren verteidigen müssen. Ganz im Gegensatz zur SPD.

Die Grünen-Gewinne dürften zum Teil auch der Schwäche der Sozialdemokraten geduldet sein, die nicht aus dem Umfragetief kommen.

SPD-Spitzenkandidatin Natascha Kohnen rücke in den Medien viel weniger in den Fokus als Katharina Schulze, analysiert der "Merkur". Auch der Dauerstreit in der Großen Koalition in Berlin hilft der SPD in Bayern nicht.

2. Profiteure der Polarisierung

Nicht nur die Grünen könnten bei den Landtagswahlen ihr bisher bestes Ergebnis erzielen, auch die AfD steuert auf einen Erfolg zu. "Wir erleben einen Trend zur Polarisierung, vor allem in der Auseinandersetzung mit Migration und Weltoffenheit", sagt Politikwissenschaftler Weigl.

"Davon profitieren die beiden emotionalen Pole in dieser Frage: die AfD auf der einen, die Grünen auf der anderen Seite." Die Grünen fordern zum Beispiel, dass Asylbewerber von Beginn an arbeiten und Sprachkurse besuchen dürfen.

Zentrale Sammellager für Flüchtlinge und Abschiebungen nach Afghanistan lehnen sie ab.

Vom Programm der AfD setzt sich die Partei damit am deutlichsten ab. Die Wählerschaft der Grünen steht in der Regel hinter einem offenen Kurs in der Migrationspolitik.

Ein besonders deutliches Bekenntnis zu offenen Grenzen fällt der Partei daher leichter als zum Beispiel SPD oder Linken, die stärker auf solche sozialschwachen Wähler Rücksicht nehmen müssen, die in Zuwanderern und Flüchtlingen eher Konkurrenten sehen.

3. Keine reine Stadtpartei mehr

Den typisch bayerischen Spagat zwischen Modernität und blau-weißem Brauchtum versuchen auch die Grünen zu meistern. Auftritte auf Volksfesten absolviert Spitzenkandidatin Schulze ganz selbstverständlich im Dirndl – Parteifreunde in anderen Bundesländern wären da wohl zurückhaltender.

"Generell sind die Grünen zwischen den beiden Polen Sozialdemokratie und Konservativismus schwer einzuordnen, sie stehen eher in der Mitte", sagt Michael Weigl.

Zwar sind die bayerischen Grünen eher eine Partei der Städte. "Das ändert aber nichts daran, dass sie auch auf dem Land einen relativ guten Stand haben", so Weigl.

"Themen wie nachhaltiges Wirtschaften und die Erhaltung der Schöpfung sind auch für viele Landwirte von Relevanz." Ihren Exotenstatus hat die frühere Anti-System-Partei abgelegt.

"Die Grünen sind seit den 80er Jahren kontinuierlich im Landtag vertreten und haben sich einen Ruf als konstruktive Oppositionspartei erarbeitet", so Weigl.

4. Junge Spitzenkandidaten

Hinzu kommen schließlich noch die Spitzenkandidaten. Mit 33 beziehungsweise 40 Jahren sind Katharina Schulze und Ludwig Hartmann nicht nur deutlich jünger als die meisten Mitbewerber – Hartmann wäre gerade alt genug, um Ministerpräsident zu werden zu können.

"Vor allem Katharina Schulze bringt auch eine starke Emotionalität in den Wahlkampf – in Form einer Leidenschaft, die vom üblichen Politikerduktus abweicht", sagt Michael Weigl.

Außerhalb Bayerns mag das Duo noch wenig bekannt sein. Im Bundesland selbst ist es dagegen sehr präsent – nicht zuletzt durch die Chance, Ludwig Hartmann als Herausforderer ins TV-Duell gegen Markus Söder zu schicken.

Bleibt die Frage: Werden die Grünen ihr möglicherweise gutes Ergebnis auch in eine Regierungsbeteiligung ummünzen können?

Man sei nicht in die Politik gegangen, um am Spielfeldrand zu stehen, betonte Spitzenkandidat Hartmann im TV-Duell. Allerdings wird der Schritt in die Regierung für seine Partei sehr schwierig.

Ein Bündnis gegen die CSU aus Grünen, SPD, FDP und Freien Wählern dürfte eine extrem wacklige Angelegenheit sein – zudem hat Freie-Wähler-Chef Hubert Aiwanger eine solche Zusammenarbeit schon ausgeschlossen.

Und auch eine Koalition aus CSU und Grünen erscheint eher unwahrscheinlich. "Bei einigen Themen gäbe es durchaus Überschneidungspunkte", sagt Michael Weigl.

"Doch bei Themen wie beispielsweise Innere Sicherheit und Migration könnten sich die Parteien wahrscheinlich nur schwer einigen."

Quellen:

Dr. Michael Weigl, Politikwissenschaftler Universität Passau

Bayerischer Rundfunk: Wahl 2018 – Das TV-Duell

Merkur.de: "Kein Lamentieren" – so kämpft die Bayern-SPD gegen den Wahltrend

Spiegel Online: Bayerns Grüne Spitzenkandidatin Schulze "Macht ist nichts Schlimmes"

Süddeutsche Zeitung: Das Anti-CSU-Programm der Grünen (12. September 2018)

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