• SPD, Grüne und FDP wollen die Überhang- und Ausgleichsmandate abschaffen. Der Bundestag soll damit in Zukunft die Zahl von 598 Abgeordneten nicht mehr überschreiten.
  • CDU und CSU laufen Sturm gegen die geplante Wahlrechtsreform und könnten das Bundesverfassungsgericht einschalten.
  • Die wichtigsten Fragen und Antworten im Überblick.

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Deutschland leistet sich von allen demokratischen Staaten auf der Welt derzeit das größte Parlament: 736 Abgeordnete bilden den Bundestag, die Kosten für die Volksvertretung liegen pro Jahr inzwischen bei mehr als einer Milliarde Euro. Jetzt haben die Ampel-Fraktionen einen neuen Vorschlag vorgelegt, mit dem sie den Bundestag auf seine gesetzlich vorgesehene Größe von 598 Abgeordneten begrenzen wollen. Die wichtigsten Fragen und Antworten im Überblick.

Wo liegt das Problem?

Der Bundestag hat derzeit 736 statt der gesetzlich vorgesehenen 598 Mandate. Der Grund: Das Zusammenspiel aus Wahlsystem und Wahlergebnissen hat in den vergangenen Jahren zu einer immer höheren Zahl von Überhang- und Ausgleichsmandaten geführt.

Wählerinnen und Wähler haben in Deutschland zwei Stimmen: Mit der Erststimme entscheiden sie, wer den jeweiligen Wahlkreis als direktgewählte Abgeordnete oder direktgewählter Abgeordneter in Berlin vertreten soll. Die Zweistimme dagegen entscheidet über die Sitzverteilung im Bundestag zwischen den Parteien.

Es kommt allerdings immer wieder vor, dass eine Partei mehr Direktmandate gewinnt, als ihr nach der Sitzverteilung über die Zweistimme eigentlich zustehen würden. Diese Mandate kann sie behalten. Um diese "Überhangmandate" auszugleichen, erhalten die anderen Parteien zusätzliche Sitze (Ausgleichsmandate). Da die "kleineren" Parteien Grüne, FDP und AfD in den vergangenen Jahren ihre Stimmenanteile ausgebaut haben, das Wahlsystem aber ursprünglich auf ein System mit zwei dominanten Parteien zugeschnitten wurde, ist die Zahl der Überhang- und Ausgleichsmandate bei den vergangenen Wahlen gestiegen. Nach der Bundestagswahl 2021 war sie mit 138 zusätzlichen Sitzen so hoch wie nie.

Was wollen die Ampel-Parteien ändern?

Man wolle "kein Reförmchen", sondern eine grundlegende Reform, sagt der SPD-Bundestagsabgeordnete Sebastian Hartmann am Montag bei einer Pressekonferenz. SPD, Grüne und FDP wollen die Überhang- und Ausgleichsmandate abschaffen. Das System würde dann folgendermaßen funktionieren:

  • Die Zweitstimme soll künftig "Hauptstimme" heißen. Mit ihr entscheiden die Wählerinnen und Wähler weiterhin über das Kräfteverhältnis der Parteien im Parlament.
  • Die Erststimme soll in Zukunft "Wahlkreisstimme" heißen. Wie bisher wird damit eine Abgeordnete oder ein Abgeordneter des Wahlkreises direkt gewählt.
  • Die Neuerung ist nun aber: Überhang- und Ausgleichsmandate fallen weg. Das bedeutet: Wenn eine Partei zum Beispiel in einem Bundesland 23 Wahlkreise gewinnt, ihr über die Hauptstimme aber nur 20 Mandate zustehen würden, kommen die drei Wahlkreis-Gewinner mit den schlechtesten Ergebnissen nicht zum Zug und ziehen nicht in den Bundestag ein.

Es könnte somit in Zukunft vorkommen, dass einzelne Wahlkreise gar keinen Repräsentanten mehr in Berlin haben. Das wäre nach Einschätzung des Grünen-Bundestagsabgeordneten Till Steffen aber die große Ausnahme. Denn statt des "Siegers" würden in vielen Wahlkreisen unterlegene Direktkandidaten über die allgemeine Sitzverteilung anhand der Hauptstimmen einziehen. Hätte man den aktuellen Bundestag nach diesem System gewählt, wären nur drei von 299 Wahlkreisen völlig ohne Vertreter geblieben, sagt Till Steffen.

Wie reagiert die Opposition?

Die AfD sieht sich als Urheber dieses Modells. Man habe es schon selbst ins Spiel gebracht, teilte der stellvertretende Bundessprecher Stephan Brandner mit: "Der Gesetzesentwurf der Ampel ist nahezu exakt das, was die AfD seit Jahren fordert und zu dem wir schon vor über drei Jahren einen Antrag sowie bereits im September 2020 einen Gesetzentwurf vorgelegt haben."

Aus der Union kommt dagegen scharfe Kritik an den Plänen. Der Vorschlag sei verfassungswidrig, sagte der Parlamentarische Geschäftsführer der CSU-Landesgruppe im Bundestag, Stefan Müller, dem Nachrichtenportal "The Pioneer": "Gewählten Wahlkreiskandidaten das Mandat zu verweigern, ist eine eklatante Missachtung des Wählerwillens und des Rechtsstaats- und Demokratieprinzips." CSU-Generalsekretär Martin Huber warf der Ampel auf Twitter sogar "Wahlfälschung" und eine Gefährdung des demokratischen Fundaments vor.

Die Union beklagt, dass sie auf besonders viele Abgeordnete verzichten müsste. Das sei "schlichtweg gelogen", sagt am Montag der FDP-Abgeordnete Konstantin Kuhle. Denn der Wegfall der Ausgleichsmandate würde bedeuten, dass auch die anderen Parteien weniger Sitze erhalten als bisher. "Das ist eine Reform, die allen Parteien etwas abverlangt, die im Deutschen Bundestag vertreten sind", ist er überzeugt.

Kann die Wahlrechtsreform scheitern?

Das Wahlrecht kann mit einem einfachen Gesetz geändert werden, eine Verfassungsänderung ist dafür nicht nötig. Das bedeutet, dass die Ampel-Koalition die Reform mit ihrer Mehrheit im Bundestag beschließen kann. Das soll nach Worten von Sebastian Hartmann (SPD) "sehr zügig" passieren, nämlich noch vor Ostern.

Allerdings hat die Opposition im Bundestag die Möglichkeit, vor das Bundesverfassungsgericht zu ziehen. Das könnte durchaus passieren: Der Obmann der CDU/CSU-Fraktion in der Kommission zur Reform des Wahlrechts, Ansgar Heveling, sagte gegenüber Table.Media (Bezahlinhalt): "Wer auf verfassungsrechtlichem Sand baut, muss damit rechnen, dass das Verfassungsgericht angerufen wird."

Verwendete Quellen:

  • dpa
  • Gesetzentwurf der Fraktionen SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP: Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Bundeswahlgesetzes und des 25. Gesetzes zur Änderung des Bundeswahlgesetzes
  • Table.Media: Wieder Platz unter der Reichstagskuppel
  • Twitter-Accout von Martin Huber
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