Der Hamburger SV droht die sicher geglaubte Rückkehr in die Bundesliga zu verspielen. Was dem Verein dann drohen könnte, zeigt ein Blick auf einen Traditionsverein in der 3. Liga.

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Es ist fast auf den Tag genau zwei Monate her, da herrschte beim Hamburger SV die pure Euphorie. Der HSV hatte am 10. März das Derby beim FC St. Pauli sensationell mit 4:0 gewonnen, stand auf einem direkten Aufstiegsplatz, hatte sieben Punkte Vorsprung auf Rang 4 und die Rückkehr in die Bundesliga vor Augen.

Platz 16 in der Rückrundentabelle

Was dann allerdings folgte, war der totale Absturz: Seit sieben Spielen gab es keinen Sieg mehr. Der HSV ist auf den vierten Tabellenplatz abgerutscht, wurde am vergangenen Wochenende sogar vom abstiegsbedrohten FC Ingolstadt im eigenen Stadion mit 0:3 abgeschossen, dann auch noch von den eigenen Fans verhöhnt und beschimpft - der absolute Tiefpunkt.

In der Rückrundentabelle belegt der HSV Platz 16, wäre also eher ein Abstiegs- als ein Aufstiegskandidat.
Das Auswärtsspiel heute beim Tabellenzweiten SC Paderborn (Anpfiff: 15:30 Uhr) ist für den einst so ruhmreichen HSV nun ein Schicksalsspiel.

Am 2. April sicherten sich die Hamburger dort durch ein 2:0 einen Platz im Halbfinale des DFB-Pokals. Den Einzug ins Endspiel verhinderte anschließend RB Leipzig durch ein 3:1 an der Elbe.

Vergangenheit. In den 90 Liga-Minuten in Paderborn geht es um die Zukunft, des HSV, und er kann dort alles verspielen. Wenn die Hamburger nämlich verlieren und gleichzeitig Union Berlin im Parallelspiel gewinnt, ist der Traum vom Wiederaufstieg endgültig geplatzt.

Überhaupt kann der HSV nur noch den Relegationsplatz aus eigener Kraft erreichen. Soll es mit dem Direktaufstieg klappen, muss der HSV auf einen Ausrutscher von Berlin hoffen - und natürlich selber zurück auf die Erfolgsspur finden.

Wolf hofft: Ein Sieg ändert die Situation

"Der Blick zurück auf die letzten Wochen ist nur bedingt erlaubt", sagt Trainer Hannes Wolf. "Es geht jetzt um das, was Sonntag kommt. Wir haben noch zwei Spiele, wollen und müssen zwei Mal gewinnen. Das sind Endspiele. Es ist sehr eng da oben. Ein Sieg ändert die Situation. Also kämpfen wir um den Sieg."

Wolf übernahm das Traineramt beim HSV im Oktober und legte zunächst eine Erfolgsserie hin: Sechs der ersten sieben Spiele gewann der Neue, zudem gab es ein Unentschieden.

Zuletzt geriet der 38-Jährige, der mit dem VfB Stuttgart im Jahre 2017 schon einmal in die Bundesliga aufgestiegen ist, zunehmend in die Kritik.

Gefühlt hat Wolf alles versucht, um seine Mannschaft wieder in Form zu bringen. Mal hat er sich schützend vor seine Spieler gestellt, dann hat er sie öffentlich kritisiert - gebracht hat beides nichts. Auch das Trainingslager, das der HSV vor dem Heimspiel gegen Ingolstadt abhielt, blieb ohne Wirkung.

Und taktisch? Auch da hat Wolf in den letzten Wochen viel probiert. Manchmal spielte er in der Verteidigung mit einer Dreierkette, dann wieder mit einer Vierkette, manchmal mit einer typischen Sturmspitze, dann plötzlich wieder ohne Mittelstürmer. Auch während des Spiels gab es oft strategische Veränderungen - ohne Wirkung.

Ein Trainerwechsel lag in der Luft. Es wäre beim HSV der achte innerhalb von nicht einmal fünf Jahren gewesen. Erst nach einer fast dreistündigen Krisensitzung entschied Sportvorstand Ralf Becker am vergangenen Samstag, dass Wolf die Mannschaft weiter betreuen darf.

Der jüngste Kader im deutschen Profifußball

Möglicherweise deshalb, weil das Problem beim Hamburger SV tiefer liegt. Der HSV hat die jüngste Mannschaft im gesamten deutschen Profifußball. Der Kader hat einen Altersschnitt von 23,1 Jahren. Im letzten Ligaspiel standen gerade einmal drei Spieler in der Startelf, die 25 Jahre oder älter waren.

Die vielen jungen Spieler haben zwar großes Potenzial. Die öffentliche Erwartungshaltung, unbedingt aufsteigen zu müssen, scheint ihnen allerdings Probleme zu bereiten.

"Wir haben eine junge Mannschaft. Fakt ist, sie kann mit dieser Drucksituation, die hier entstanden ist, gerade relativ schwer umgehen", sagt Becker.

Benötigt werden erfahrene Spieler, die diese junge Mannschaft führen. Doch wer soll das sein? Stürmer Pierre-Michel Lasogga plagte sich zuletzt mit Fitnessproblemen herum und hat seit sechs Ligaspielen nicht mehr getroffen. Der frühere Nationalspieler Lewis Holtby wurde nach einem Fehlverhalten suspendiert.

Ohne Aaron Hunt geht nichts

Dann wäre da noch Kapitän Aaron Hunt, ohne den der HSV offensichtlich kaum gewinnen kann. In den 21 Partien mit dem Ex-Nationalspieler wurden im Schnitt 2,1 Punkte geholt, in den elf Spielen ohne ihn nur 0,82.

Daher hängt der Absturz des HSV auch mit seinem Verletzungspech zusammen: Aufgrund wiederkehrender muskulärer Probleme bestritt Hunt in der Rückrunde nur zwei Partien über die vollen 90 Minuten. Immerhin: Heute soll der Mittelfeldspieler wieder im Kader stehen.

85,5 Millionen Euro Schulden

Für den HSV ist der Saison-Endspurt von existenzieller Bedeutung. Der HSV meldete im Juni 2018 Verbindlichkeiten von rund 85,5 Millionen Euro. Ein weiteres Jahr in der 2. Bundesliga wäre vor allem aufgrund der geringeren Fernseheinnahmen eine finanzielle Katastrophe.

Der HSV müsste wohl sparen - auch an der Mannschaft und somit an der sportlichen Qualität. Laut des "Hamburger Abendblatts" würde der Spieleretat von derzeit über 30 Millionen Euro auf 25 Millionen Euro heruntergefahren werden. Das wäre für Zweitliga-Verhältnisse zwar noch immer ein ordentliches Budget. Doch die Tendenz würde eben nach unten zeigen.

Schreckensszenario 1. FC Kaiserslautern

Als warnendes Beispiel gilt der 1. FC Kaiserslautern. Der Traditionsverein verspielte im Endspurt der Saison 2014/15 ebenfalls den sicher geglaubten Aufstieg in die Bundesliga. Danach ging es rapide bergab: Kaiserslautern verschwand 2018 in der 3. Liga und versinkt nun selbst dort im Tabellenmittelfeld.

Wirtschaftlich kämpft der Verein ums Überleben. Der FC Bayern München hat sich für den 27. Mai (18:30 Uhr) zum "Retterspiel" angekündigt, damit Kaiserslautern überhaupt die Lizenz für die 3. Liga erhält.

So dramatisch mag die Entwicklung beim HSV derzeit noch nicht sein. Sicher ist der Europapokalsieger von 1983 vor diesem Szenario allerdings nicht.

Verwendete Quellen

  • Jahresabschluss-Bericht des HSV zum 30. Juni 2018
  • "Hamburger Abendblatt": Was ein verpasster Aufstieg für den HSV bedeuten würde
  • fcbayern.com: FC Bayern kommt zum Retterspiel nach Kaiserslautern
  • Pressekonferenz des Hamburger SV am 10. Mai 2019: Ralf Becker, Sportvorstand des Hamburger SV
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