Manuel Neuer fehlt dem FC Bayern verletzungsbedingt monatelang. Ersatzmann Sven Ulreich darf gar nicht erst versuchen, ihn zu kopieren.

Steffen Meyer
Eine Kolumne
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Das war ein Schock für den FC Bayern am Montag-Nachmittag. Es gibt im hochkarätig bestückten Bayern-Kader nur wenige Spieler, bei denen eine langwierige Verletzung für richtig Nervosität im Umfeld des Vereins sorgt.

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Robert Lewandowski ist hier zu nennen. Vielleicht mit Abstrichen noch Arjen Robben. Manuel Neuer allerdings gehört mit Sicherheit dazu.

Nach einem Haarriss im linken Fuß wird Neuer in diesem Jahr kein Spiel mehr bestreiten können. Wann er zurück sein wird, ist fraglich.

Mit Blick auf die WM 2018 in Russland, wo Neuer die deutsche Nationalmannschaft als Kapitän führen will, wird er Anfang des kommenden Jahres sicher nicht viel riskieren wollen. Zumal die Verletzung eine Vorgeschichte hat.

Schmerzen seit Mitte März

Schon im März hatte ihm der Fuß Schmerzen bereitet. Damals sollte eine Schraube helfen, den Fuß zu stabilisieren. Wenige Wochen später zog er sich im Rückspiel gegen Real Madrid einen doppelten Haarriss im Mittelfuß zu.

Neuer musste das Spiel zu Ende spielen obwohl er kaum noch auftreten konnte. Nun also ein erneuter Haarriss im Mittelfuß, der gerade bei Torhütern mit vielen Sprüngen und unkonventionellen Belastungen besondere Kräfte abfedern muss.

Manuel Neuer ist der beste Torhüter seiner Generation. Genau wie Oliver Kahn vor ihm. Dabei interpretiert Neuer das Torwartspiel auf ganz andere Art als der frühere Münchner Weltklasse-Mann.

Kahn war im Tor ein Kraftpaket. Er vereinte explosionsartige Reflexe mit schulbuchmäßigen, aber gleichzeitig spektakulären Sprüngen und Bewegungen. Er begriff das Torwartspiel als physische und mentale Grenzerfahrung.

Neuer ist ein anderer Typ. Fünf Zentimeter größer als Kahn. Eher schlaksig und und trotzdem beinahe spielerisch leicht in seinen Bewegungen. Dazu mit herausragendem Stellungsspiel.

Anders als Kahn, der auch in 1:1-Situationen gern herausstürmte und sich vor den Angreifer warf, bleibt Neuer lange stehen, verkleinert das Tor. Unzählige Bälle hat er so allein durch die richtige Positionierung seines Körpers abgewehrt. Indem er stehen blieb oder nur kleine Reaktionen mit Armen oder Füßen zeigte.

Manuel Neuer denkt schneller als andere

Doch richtig besonders macht ihn etwas Anderes. Neuer nimmt gefährliche Bälle aus dem Spiel über die andere Torhüter gar nicht erst nachdenken. Bei hohen Flanken bewegt er sich in der gesamten Fläche des 16ers, um Bälle aus der Luft zu pflücken.

Bei Pässen in die Spitze weitet er seinen Aktionsradius sogar auf die gesamte eigene Hälfte aus. Neuers Qualität ist deshalb weniger an seinen Weltklasse-Paraden abzulesen, als in der Anzahl an Chancen, die gar nicht erst entstehen.

Auch mit dem Ball am Fuß agiert Neuer in seiner eigenen Liga. Gerade gegen Mannschaften mit aggressivem Pressing kann Neuer wie ein 11. Feldspieler agieren. Seine präzisen langen Bälle, gern als Chip auf den Flügel gespielt, sind für einen Towart beinahe einmalig.

Neuer ist vollwertiger Teil des Aufbauspiels und nicht nur eine Verlegenheitsoption, wenn die Verteidiger nicht weiter wissen. Diese Interpretation des Torwartspiels außerhalb des Fünfmeterraums macht Neuer so einzigartig.

Gleichwertiger Torwart unmöglich

So ist es quasi unmöglich, einen ansatzweise gleichwertigen Torhüter als Ersatzmann für Neuer zu finden. Wer so gut ist, dass er im gleichen Atemzug wie Neuer genannt werden kann, setzt sich nicht auf die Bank. Zumindest nicht beim FC Bayern.

Perfektionist Pep Guardiola hatte es in München vor wenigen Jahren versucht. Er drängte auf einen weiteren Ersatzkeeper neben Tom Starke, der als Torwart alter Schule vor allem mit dem Fuß große Schwächen hatte.

Intern schlug der Katalane, ohne eine Miene zu verziehen, Bernd Leno und Kevin Trapp vor. Am Ende einigte man sich auf Pepe Reina. Länger als ein Jahr wollte aber auch der Ü30-Mann aus Spanien nicht auf der Bank verbringen.

So kam 2015 für viele in der Szene völlig überraschend Sven Ulreich, der zuvor jahrelang Stammtorwart in Stuttgart war.

Seven Ulreich arbeitet ordentlich

Der Schwabe ist ein sehr ordentlicher Torhüter. Zwischen den Pfosten ist auf Ulreich in der Regel Verlass. Starke Reflexe, gute Sprungkraft, gutes Verhalten im eins gegen eins.

Im Fünfmeterraum und auf der Linie ist kein himmelweiter Unterschied zwischen Neuer und Ulreich zu erkennen. In der Strafraumbeherrschung ist der 29-Jährige allerdings unkonstant. Mit dem Ball am Fuß höchstens passabel.

Hier liegt der wahre Grund, warum Neuers Verletzung deutlich mehr ist als eine saisonübliche Notiz. Dem FC Bayern fehlt in den kommenden Monaten nicht einfach nur ein Torhüter im engsten Wortsinne. Sondern sowohl defensiv als auch offensiv ein elfter Mitspieler auf dem Feld.

Sven Ulreich ist dabei gut beraten, gar nicht erst zu versuchen den Bayern-Kapitän zu kopieren. Daran würde er scheitern. Er muss der Mannschaft auf seine Weise weiterhelfen. Nicht mehr, aber eben auch nicht weniger.

Das Spiel gegen Schalke mit zwei guten Paraden und einem ansonsten unauffälligen Spiel war dafür schon mal ein ziemlich guter Anfang.

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