- Dieses Mal hat es nicht mehr gereicht, Werder Bremen steigt nach 41 Jahren ab.
- Der Sturz in die Zweitklassigkeit ist ein sportliches und finanzielles Desaster für den Klub.
- Aber wie konnte es so weit kommen?
Theo Gebre Selassie und Thomas Schaaf, beide aus einer anderen Zeit, zeigten sich bis zum Ende. Gebre Selassie war der letzte Bremer Spieler, der vom Platz schlurfte. Er weinte, auf der Tribüne weinten seine Frau und seine Kinder. Der Tscheche verabschiedet sich nach neun Jahren bei Werder mit dem Abstieg aus der Bundesliga.
Schaaf stellte sich den Fragen der TV-Sender, leer, ausgebrannt, wie nach einer kompletten Saison. Dabei hatte Schaaf nur dieses eine Spiel gecoacht. Schaaf und Gebre Selassie arbeiteten schon vor einer gefühlten Ewigkeit zusammen, nun gehen sie gemeinsam in die Geschichte ein.
Werder Bremen steigt nach 41 Jahren aus der Bundesliga ab. Das ist eine kleine Zäsur für die Liga, die doch in letzter Zeit so viele große Klubs verabschiedet und einige von ihnen auch wieder aufgenommen hat. Für Werder ist es eine Zeitenwende. Der Sturz in die zweite Liga ist kein Betriebsunfall oder eine Verkettung unglücklicher Umstände.
Er ist die logische Konsequenz eines sukzessiven Niedergangs, den viele gesehen und das Schlimmste befürchtet haben. Den die entscheidenden Personen aber zu lange nicht wahrhaben wollten.
Die Jagd nach einem Phantom
Werder Bremen hat auf der Jagd nach einem Phantom komplett vergaloppiert. In Bremen pflegen sie seit den 80er Jahren mal mehr, mal weniger einen eigenartigen Personenkult. Mit
Rehhagel und Schaaf stehen bis heute für das Bild von Werder vom seriösen, auf Kontinuität setzenden Klub, der sich den Mechanismen des Geschäfts so oft es eben geht entziehen will. In Bremen waren sie darauf zu Recht sehr stolz - sie haben aber auch übersehen, dass diese beiden Epochen nicht die Regel sind in der Bundesliga, sondern zwei sehr seltene Ausnahmen. Die Annahme, dass sich mit einer gewissen Beharrlichkeit schon bald wieder der neue Otto oder ein neuer Thomas würden finden lassen, am besten einer aus dem eigenen Stall, war grundfalsch.
Epochen sind im Fußball der Neuzeit eine Rarität, die Bremer Verantwortlichen glaubten dennoch daran, mit
Stallgeruch ist wichtig in Bremen
Filbry ist dabei der einzige ohne Werder-Vergangenheit. Bode und Baumann waren Spieler bei den Profis, Kohfeldt bei der Oberliga-Mannschaft und 20 Jahre im Klub. Baumann holte Kohfeldt von der zweiten Mannschaft hoch zu den Profis. Das selbe hatte er zuvor schon mit Viktor Skripnik und Alexander Nouri gemacht, ebenfalls Akteure mit Stallgeruch.
Was beim FC Bayern München trotz - oder gerade wegen? - einiger Reibereien ganz hervorragend funktioniert, ist in Bremen ein großer Teil des Problems: Ehemalige Spieler in den Führungspositionen funktionieren wie eine Familie. Bei den Bayern ist aber eine stattliche Leistungskultur implementiert. Bei Werder riecht alles sehr nach Klüngel. Die Versuche, mit externer Expertise eine Wende zu schaffen, wurden nach kurzer Zeit wieder beendet.
Bode holte Baumann ins Amt und schickte Thomas Eichin dafür weg. Zuvor musste der Schaaf-Nachfolger Robin Dutt gehen. Seitdem kamen Skripnik, Nouri und Kohfeldt ins Amt des Cheftrainers, Torsten Frings, Tim Borowski und der gebürtige Bremer Thomas Horsch wurden Co-Trainer, Schaaf bekam den neu geschaffenen Posten des Technischen Direktors, Werders Ehrenspielführer Clemens Fritz wurde zum Leiter der Scouting-Abteilung ernannt. Von außen wurde nur der eine oder andere Co-Trainer-Posten besetzt. Alle wichtigen Entscheidungen blieben innerhalb der Werder-Familie.
Frank Baumann hat schlecht eingekauft
Das alleine muss kein Malus sein - so lange diese Entscheidungen auch Hand und Fuß haben. Nur vergriff sich Werders Leitungsebene in den letzten Jahren immer öfter. Baumann vermasselte vier Transferperioden in Folge, im Gefühl des Angriffs auf Europa wechselte der Klub plötzlich seine vorher zart gezeigte Strategie, es nach und nach mit jungen Spielern zu versuchen und kaufte die Ersatzbänke anderer Bundesligisten leer.
Von Martin Harnik bis Ömer Toprak hat Baumann eine komplette Mannschaft mit alten, kaum entwicklungsfähigen Spielern zusammengestellt, die nun überdies nur noch wenig Markt- und Wiederverkaufswert haben. Immerhin fällt durch den Abstieg die Kaufklausel für Davie Selke unter den Tisch. Den hatte Baumann aus Berlin geliehen, Werder hätte beim Klassenerhalt kolportierte zehn Millionen Euro an die Hertha überweisen müssen. Die massiven Einbußen des Abstiegs wiegt das aber natürlich nicht mal annähernd auf.
Droht jetzt sogar die Insolvenz?
Werder steht finanziell vor dem Ruin. Vor wenigen Tagen ging der Klub mit einer Fan-Anleihe auf den Markt und musste dafür alle Zahlen offenlegen. Werder wandelt am Rande einer Insolvenz, muss innerhalb weniger Wochen Gelder aus Transfers generieren, um die Lizenzauflagen zu erfüllen. Und das auf einem Transfermarkt, der vermutlich erst nach der Europameisterschaft so richtig Fahrt aufnehmen wird. Mit Spielern, deren Entwicklung in den letzten Jahren rückläufig war. Für die Konkurrenz ist das ein Szenario wie gemalt, weil jeder den Bremer Druck kennt, unbedingt verkaufen zu müssen.
Die vergangene Saison haben die Bremer stets als Seuchenjahr eingestuft, als einen Ausrutscher. Die vielen Verletzten seien eine Plage vom bösen Fußballgott gewesen. Dabei waren selbst da die meisten Probleme hausgemacht und nicht einfach nur Pech. Corona konnte niemand ahnen, auch andere Klubs leiden darunter.
Die Bremer Verantwortlichen haben sich aber zu lange hinter der Pandemie und ihren wirtschaftlichen Folgen versteckt und damit hausgemachte Probleme zu erklären versucht. Erst jetzt, da Werder mit der Anleihe totale Transparenz zeigen muss, wird das ganze Ausmaß der Katastrophe sichtbar. Und daran ist nicht nur Corona schuld.
Jetzt gibt es wieder ein "Weiter so"
Auf einer Elefantenrunde im letzten Juli unmittelbar nach der Last-Minute-Rettung in Heidenheim wollte Werder die große Aufarbeitung liefern, fuhr dabei auf einer Pressekonferenz alle wichtigen Köpfe des Klubs auf und sagte am Ende: Doch nichts. Oder eben das, was man in Bremen so sagt nach der schlechtesten Saison der Klubgeschichte.
"Die, die denken, es gibt nur zwei Extreme - ein 'Weiter so' oder 'Köpfe rollen' - die werden wir nicht glücklich machen. Wir wissen, dass es kein 'Weiter so' geben kann. Ich glaube fest daran, dass wir uns treu bleiben müssen. Werder muss Werder bleiben - das ist auch eine wichtige Botschaft", sagte Marco Bode. Und das war dann schon der Anfang vom Ende.
Im Nachgang kann man nun alles kritisieren und man muss den Bremern ja lassen, dass sie stringent in eine Richtung gehandelt haben. Dass es aber nie einen alternativen Weg gab, einen Plan B, und das nach dieser einen unglaublich schlechten Saison, das muss man Werder tatsächlich vorwerfen. Das Prinzip Hoffnung und genau eine Vorgabe sind zu wenig, zumal sich das Unheil über einen so langen Zeitraum angekündigt hat.
Nun wird es vermutlich einen radikalen Schnitt auf allen Ebenen geben, könnte man meinen. Präsident Hubertus Hess-Grunewald argumentierte am Samstag nach dem Abstieg aber dagegen, kündigte bei "buten un binnen" an, mit der aktuellen Führungsmannschaft auch in die zweite Liga zu gehen. "Wenn wir über Wechsel oder 'Vorstand raus' diskutieren würden", meinte Hess-Grunewald, "wer soll denn dann die notwendigen Gespräche führen, wenn nicht die Verantwortlichen?" Offener, schonungsloser kann man nicht dokumentieren, dass man seine Hausaufgaben nicht gemacht hat.
Verwendete Quellen:
- butenunbinnen.de: Bei Werder heißt es jetzt: Weiter so
"So arbeitet die Redaktion" informiert Sie, wann und worüber wir berichten, wie wir mit Fehlern umgehen und woher unsere Inhalte stammen. Bei der Berichterstattung halten wir uns an die Richtlinien der Journalism Trust Initiative.