Oliver Kahn sagte kürzlich, dass ihn der FC Bayern in seiner Zeit als Vorstandsvorsitzender an die Serie "Succession" erinnert habe und stichelte so gegen Uli Hoeneß. Prof. Florian Becker erklärt, warum sich vor allem Männer schwertun, ihr Lebenswerk in andere Hände zu geben und welche Auswirkungen das hat.

Eine Analyse
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Lange hatte Oliver Kahn zu den Umständen geschwiegen, unter denen er als Vorstandsvorsitzender des FC Bayern München zum Ende der Saison 2022/23 von seinen Aufgaben entbunden worden war. Kürzlich meldete sich der frühere Weltklasse-Torhüter aber zu Wort und antwortete auf die Frage, ob er sich in einer Amtszeit nicht genug um Ehrenpräsident Uli Hoeneß gekümmert habe, mit einer Gegenfrage.

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"Kennen Sie 'Succession'? Eine grandiose Serie über einen Patriarchen und mächtigen Medienmogul, der keinen für fähig hält, ihn zu beerben", sagte Kahn in einer Reportage des "Spiegel". Der 54-Jährige spielte damit auf Parallelen zwischen Hoeneß und dem fiktiven Konzernchef Logan Roy an, der in vier Staffeln der Serie von Brian Cox verkörpert wird.

Roys Lebenswerk ist ein mächtiges Medienimperium, über das er mit eiserner Hand herrscht. Die Handlung der Serie dreht sich darum, dass der alternde Patriarch die Geschäfte nun in die Hände seiner Kinder übergeben muss, aber nicht loslassen kann. Immer wieder mischt er sich ein, was zu Konflikten führt und Kahn offensichtlich an seine Zeit beim FC Bayern mit Hoeneß erinnerte.

Hoeneß stichelte gegen Tuchel

Wie groß Hoeneß' Einfluss beim FC Bayern nach wie vor ist, zeigte sich erst kürzlich, als er öffentlich über die schwierige Trainersuche sprach und den noch amtierenden Trainer Thomas Tuchel und vor allem dessen Fähigkeiten bei der Weiterentwicklung von jungen Spielern kritisierte. Dieser fühlte sich daraufhin in seiner Trainerehre gekränkt.

Tuchel bezeichnete Hoeneß in diesem Zusammenhang als "unseren Boss", was darauf hindeutet, dass der langjährige Spieler, Manager und Präsident des FC Bayern im Tagesgeschäft noch eine weitaus größere Rolle spielt, als es für ihn als Ehrenpräsident und Mitglied des Aufsichtsrats eigentlich angedacht ist. Wie der fiktive Logan Roy und viele andere mächtige Männer scheint Hoeneß Probleme damit zu haben, die Verantwortung für sein Lebenswerk weiterzugeben.

"Wenn du eine sehr erfolgreiche, effektive Organisation aufgebaut hast, identifizierst du dich extrem damit. Es wird zum Teil deiner eigenen Identität", erklärt der Wirtschaftspsychologe Prof. Florian Becker im Gespräch mit unserer Redaktion: "Wenn man dann sieht, wie diese Pflanze, der starke Baum, der da herangewachsen ist, plötzlich 'krank' wird und seine Blätter verliert, ist es menschlich sehr nachvollziehbar, dass man einen Teil der eigenen Identität bedroht sieht und versucht ist, wieder reinzureden und zu dirigieren."

Jemand wie Hoeneß "kann Impulsgeber sein"

Grundsätzlich finde er das nicht schlecht, sagt Becker und zieht den Vergleich zur eigentlich repräsentativen Rolle des Bundespräsidenten: "So jemand kann ein Impulsgeber sein. So jemand kann den Elefanten im Raum ansprechen, den sonst niemand anspricht, oder auch mal auf den Tisch hauen, ohne Ängste haben zu müssen. Es gibt heutzutage aus meiner Sicht insgesamt – das betrifft nicht nur den FC Bayern – zu wenig Leute, die sich noch trauen, unangenehme Dinge anzusprechen und unangenehme Fragen zu stellen. Die Tabus ansprechen und frei sind, weil sie nicht sanktioniert werden können."

Überstrahlen diese Impulse aber die Arbeit der Menschen, die eigentlich in der Verantwortung stehen, kann das für diese unangenehm werden. "Wenn du zuerst an andere delegierst und dann aber immer reinredest, ist es auch nicht gut. Du musst den Leuten ihre Chance, ihren Freiraum geben", erklärt Becker.

Oliver Kahn bekam im Jahr 2020 die Chance, das Erbe anzutreten. Er konnte den mächtigen Bayern-Patron aber nicht überzeugen. Im Mai 2023 wurde er als Vorstandvorsitzender entlassen, auch Sportdirektor Hasan Salihamidžić musste gehen.

"Die Berufung von Oliver Kahn als Vorstandsvorsitzender war ein großer Fehler. Und als ich erkannt habe, dass er das nicht kann, habe ich mit Karl-Heinz Rummenigge beschlossen, die Sache zu ändern", stellte Hoeneß später im "BR" klar, wer die Entscheidung getroffen hatte. Dass die Entlassung nur wenige Minuten nach dem Gewinn der deutschen Meisterschaft offiziell verkündet wurde, hätte durchaus auch eine Idee des eiskalten "Succession"-Patriarchen Logan Roy sein können.

Becker: "Es ist eine Gratwanderung"

Aktuell sind der neue Sportvorstand Max Eberl und Sportdirektor Christoph Freund auf Trainersuche und handeln sich dabei Absage um Absage ein. Zuletzt stand sogar eine Weiterbeschäftigung von Thomas Tuchel im Raum, doch am Freitag erklärte der Trainer endgültig, dass er den FC Bayern im Sommer verlassen werde. Vielleicht spielten dabei auch die Aussagen von Hoeneß eine Rolle, Tuchel ließ sich jedenfalls nicht mehr umstimmen.

"Die Frage ist, ob Hoeneß dem FC Bayern einen Gefallen getan hat, wenn eine Person angegriffen wird, mit der weitergearbeitet werden soll, mit der die Spieler weiterarbeiten sollen", erklärt der Experte. Es ist ein weiteres Beispiel für die schwierige Konstellation mit dem Altpräsidenten, der offensichtlich noch nicht loslassen kann und weiter im Tagesgeschäft mitmischt.

"Es ist eine Gratwanderung. Es ist so ähnlich wie beim Optimismus. Zu viel davon ist schlecht, zu wenig aber auch", sagt Becker. Die richtige Mischung scheint Uli Hoeneß dabei noch nicht gefunden zu haben. Was tatsächlich an Logan Roy und die Serie "Succession" erinnert.

Über den Gesprächspartner

  • Prof. Dr. Florian Becker ist Diplom-Psychologe und Spezialist für Wirtschaftspsychologie. Er lehrt und forscht an der Technischen Hochschule Rosenheim, ist Keynote-Speaker und für die Wirtschaftspsychologische Gesellschaft tätig. Als Berater, Beirat und Executive-Trainer hat er über 20 Jahre Erfahrung mit Unternehmen aller Größenordnungen und verschiedenster Branchen gesammelt.

Verwendete Quellen

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