Mats Hummels wird im Sommer von Borussia Dortmund zum FC Bayern München wechseln. Für viele BVB-Fans fühlt sich das an wie ein gebrochenes Versprechen. Aber ist Vereinstreue im Business Profi-Fußball überhaupt noch zeitgemäß?
Zuerst ging
Götze wechselte für 37 Millionen Euro, Lewandowski gab's nach dessen Vertragsende in Dortmund für die Münchner zum Nulltarif. Der Transfer von Mats Hummels spült dem BVB wieder viel Geld in die Kasse; die Rede ist von rund 35 Millionen Euro.
Ablösesumme lindert Abschiedsschmerz
Im Dortmunder Management dürfte diese hohe Ablösesumme den Abschiedsschmerz durchaus zügig lindern, vielen Fans ist das Geld hingegen herzlich egal. Mario Götze wird seit seinem Seitenwechsel bei Bayerns Gastspielen in Dortmund jedes Mal vernichtend ausgepfiffen und wüst beschimpft.
Bei seiner ersten Rückkehr in sein ehemaliges Zuhause wärmte er sich in der Deckung des Spielertunnels auf, um sich der Konfrontation mit den BVB-Fans am Spielfeldrand zu entziehen. Ob
Aus Kommentaren in sozialen Netzen und unter entsprechenden Artikeln kann man aber schon jetzt herauslesen, dass viele Fans über
Fußballfans erwarten von den Spielern ihres Vereins maximale Hingabe – auf und neben dem Platz. Die Spieler sollen im besten Fall die Farben und das Wappen ihres Klubs so sehr verehren wie sie selbst. Aber gemäß den Mechanismen der Branche wechseln Fußballer heute zum Teil jedes Jahr den Verein, was eine Identifikation im Sinne der Fans praktisch unmöglich macht und unterm Strich die Frage aufwirft: Ist Vereinstreue heute überhaupt noch zeitgemäß?
Ulf Baranowsky ist Geschäftsführer der Spielergewerkschaft VDV. Er sagt: "Ähnlich wie in anderen Branchen identifizieren sich auch viele Fußballprofis in hohem Maß mit ihrem Arbeitgeber. Viele Spieler, mit denen wir sprechen, schauen am Wochenende auf die Ergebnisse ihrer alten Klubs. Viele pflegen auch weiterhin Beziehungen dorthin, ob zu Ex-Kollegen oder zum Zeugwart."
Topleistungen auch ohne emotionale Bindung
Eine hohe Mitarbeiter-Identifikation erhöhe zwar die Erfolgswahrscheinlichkeit, "allerdings können auch Profis ohne eine tiefe emotionale Bindung und mit einer professionellen Distanz zu ihrem Klub Topleistungen bringen". Ein Beispiel: Als Robert Lewandowski zur Saison 2014/15 zum FC Bayern wechselte, schoss er auf Anhieb 25 Tore in 49 Pflichtspielen. Ob er das "Mia san mia" da schon im Herzen trug, sei mal dahingestellt.
Der Fußball tickt heute anders als noch vor ein paar Jahrzehnten. Er ist zu einem Business geworden, dessen Hauptakteure, die Spieler, nicht mehr die krummbeinigen Schnauzbartträger aus dem Nachbardorf sind, die ihre ganze Karriere bei einem einzigen Verein spielen, sondern international gefragte und hochbezahlte Arbeitnehmer.
Fußballer sind Marken, an denen Scharen von Menschen mitverdienen. Baranowsky sagt: "Auch wenn der Profi-Fußball für viele Fans sicherlich mehr ist als die schönste Nebensache der Welt, so ist er am Ende doch Teil einer Unterhaltungsindustrie. Und bei allem Verständnis für Emotionen sollte daher immer auch eine gewisse Nüchternheit in der Betrachtungsweise gewahrt bleiben."
Enttäuschung von Fans, etwa über Transferentscheidungen einzelner Spieler, sei aus seiner Sicht zwar nachvollziehbar, deren Kanalisierung müsse aber stets in einem respektvollen Rahmen bleiben.
Patrick Gorschlüter ist ein Sprecher des Bündnisses Aktiver Fußballfans (BAFF). Er hat in der Szene einen Wandel beobachtet: "Ich denke, dass jeder leidenschaftliche Fan, der seinem Verein treu zur Seite steht, sich dies auch von den Spielern und anderen Organen wünscht. Dennoch habe ich das Gefühl, dass in den letzten Jahren seitens der Fans mehr Verständnis aufkommt, sollte ein Spieler aufgrund einer sportlich oder damit einhergehend finanziell lukrativeren Situation zu einem anderen Verein wechseln wollen."
Nur ja kein Wechsel zum Rivalen!
Insbesondere Spielern, die sich durch großen Einsatz in die Herzen der Fans gespielt haben, werde ein Wechsel aufgrund einer besseren Perspektive mittlerweile verziehen oder sogar gegönnt, sagt Gorschlüter. Das Verständnis höre jedoch auf, wenn ein Spieler zu einem sportlichen oder lokalen Rivalen wechsle.
Übertragen auf den Fall Mats Hummels bedeutet das für die Fans des BVB einen inneren Zwiespalt: Zwar hat Hummels sich in den vergangenen achteinhalb Jahren so sehr für den Klub aufgerieben, dass er unter den Fans ein hohes Ansehen genießt. Den Wechsel zu den Bayern nimmt man ihm in Dortmund aber trotzdem krumm. Immerhin verbindet Borussia Dortmund und den FC Bayern eine jahrzehntealte Hassliebe.
Würde Hummels zu einem Klub in der Premier League oder zu einem der Topvereine in Spanien wechseln, würden ihm die meisten Fans vermutlich alles Gute wünschen.
Die Treue eines Spielers zu seinem Verein bleibt für Fans zwar wünschenswert, ist aber keine Pflicht, solange er nur vollen Einsatz zeigt und nicht im nächsten Jahr im Trikot des Erzrivalen kickt.
Gorschlüter sagt: "Ich vertrete die Meinung, dass sich der Fokus der Anfeuerung ein wenig verlagert hat. Natürlich geht es während des Spielbesuches darum, die Mannschaft nach vorne zu peitschen und gegebenenfalls einen Teil zum Erfolg beizutragen. Gerade den Ultras geht es jedoch heutzutage auch darum, durch das eigene Spektakel in der Fankurve, durch Kreativität und Lautstärke auf ihrer Ebene die Leidenschaft für den Verein zu zeigen - und den Wettstreit mit der Gästekurve zu gewinnen."
Die Identifikation der Fans finde mehr mit dem Verein und dessen Tradition statt, nicht mehr so sehr mit dessen Angestellten: "Spieler, die von ihrer Jugendzeit bis zum Karriereende nur für einen Verein spielen, erhalten in dieser Rolle beinahe eine Art Heldenstatus", so Gorschlüter.
Ein Held hätte auch Mats Hummels werden können. Alle Zutaten dafür waren in Dortmund vorhanden. Aber er hat den BVB um die Freigabe für einen Wechsel gebeten und wird in der nächsten Saison für den FC Bayern spielen. Für viele Fans mag sich das anfühlen wie ein gebrochenes Versprechen. Aber als gefragter Arbeitnehmer im Business Profi-Fußball ist sein Wechsel zu Deutschlands erfolgreichstem Verein praktisch ein logischer Schritt.
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