Die Frauen des FC Bayern München sind zum zweiten Mal in Serie Meister. In Deutschland deutet sich damit eine Wachablösung an der Spitze an. Darum ist der FCB stärker als die Konkurrenz.

Eine Analyse
Dieser Text enthält eine Einordnung aktueller Ereignisse, in die neben Daten und Fakten auch die Einschätzungen von Justin Kraft sowie ggf. von Expertinnen oder Experten einfließen. Informieren Sie sich über die verschiedenen journalistischen Textarten.

Nach dem Sieg in Leverkusen hat sich der FC Bayern München zum insgesamt sechsten Mal die Krone des deutschen Fußballs aufsetzen können. Die Frauen des FCB veredeln damit eine abermals herausragende Bundesliga-Saison.

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Zum zweiten Mal in der Geschichte gelingt ihnen damit die Titelverteidigung. Bereits 2015 und 2016 setzten sich die Münchnerinnen jeweils an die Spitze der Bundesliga. Auch damals wurde darüber diskutiert, ob man den VfL Wolfsburg als größten und stärksten Vertreter des deutschen Fußballs der Frauen ablösen könne.

Es folgten Jahre der grün-weißen Dominanz. Wolfsburg holte den Bundesliga-Titel zwischen 2017 und 2020 viermal in Serie und wurde zudem auch 2022 Meister. Es ist der Strohhalm, an den man sich beim VfL auch jetzt klammert. "Ich hasse dieses Wort", sagte Alexandra Popp jüngst in einer Medienrunde anlässlich des DFB-Pokal-Finals zwischen Bayern und Wolfsburg am kommenden Donnerstag, als sie nach einer vermeintlichen Wachablösung gefragt wurde.

Dafür müsse man über Jahre konstant Titel holen: "Der VfL Wolfsburg ist in den letzten Jahren eigentlich das Aushängeschild im deutschen Frauenfußball. Da jetzt von einer Wachablösung zu sprechen, finde ich unserer Arbeit gegenüber absolut respektlos." Und doch ist es ein Thema, mit dem man sich so langsam auseinandersetzen muss.

Denn der FC Bayern macht vieles besser als die Konkurrenz – und profitiert auch von strukturellen Umständen, die beim VfL nicht gegeben sind. Es droht eine neue Ära der Dominanz.

Wachablösung? Der FC Bayern fokussiert sich auf sich selbst

Ein großes Erfolgsrezept für die Münchnerinnen ist, dass sie sich mit Themen wie der Wachablösung so gut wie gar nicht beschäftigen. Medial wurde ihnen die Frage danach schon mehrfach zugespielt. Ob nun die sportliche Leiterin Bianca Rech, Trainer Alexander Straus oder eine der Spielerinnen: Die Antwort ist zumeist ablenkend, aber auch selbstbewusst.

Natürlich ist es das große Ziel, die klare Nummer eins im deutschen Fußball zu werden. Darum macht niemand in München einen Hehl. Doch von abstrakten Diskussionen darüber, wer jetzt gerade die Spitzenposition belegt oder das vermeintliche Top-Team in Deutschland ist, lassen sie sich nicht beirren. Immer mit dem größten Respekt vor Wolfsburg, aber auch dem Selbstverständnis, das es als FC Bayern braucht.

Der Fokus liegt immer auf den eigenen Zielen und der eigenen Qualität. Das Wort "Prozess" ist zum Mantra geworden. Straus wird nicht müde, zu betonen, wie wichtig Geduld und Entwicklung sind.

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FC Bayern: Ruhe als Erfolgsrezept

Geduld und Ruhe sind ohnehin ein großes Erfolgsrezept des FCB. Als es im Winter nicht so gut lief, man unter anderem die Tabellenführung in der Bundesliga verspielte und in der Champions-League-Gruppenphase ausschied, wuchs die Kritik im Umfeld des Klubs.

Ein Umfeld, das im Wandel ist. Durch das Wachstum sind viele Bayern-Fans auf die Frauen aufmerksam geworden, die hauptsächlich Fans der Männer sind. Das wiederum führte dazu, dass Ansprüche transferiert werden: Der FC Bayern ist der FC Bayern und "mia san mia". Anstecken lassen sich die Verantwortlichen davon aber nicht.

Trotz der kurzen Phase des Misserfolgs gab es keine Panik, keine Unruhe. Man weiß, dass das, was die Männer erreicht haben, nicht einfach innerhalb von wenigen Jahren entstanden ist – inklusive des Selbstverständnisses. Vertrauen in den eigenen Weg, Vertrauen in den Prozess, den man angestoßen hat und dabei auch das Durchleben von schwächeren Momenten – das ist etwas, was den FC Bayern so stark gemacht hat.

Bayern hat eine klare Identität entwickelt

Natürlich auch deshalb, weil sie wussten, dass sie sich in die richtige Richtung entwickeln. Mit Bianca Rech haben sie eine sportliche Leiterin, die einen nahezu optimalen Weg durchlief: Als ehemalige Spielerin des FCB bringt sie eine Verbundenheit mit dem Klub mit. Gleichzeitig hat sie sich als gelernte Sportökonomin viel Wissen angeeignet, das wichtig für eine solche Rolle ist.

Rech durchlief jedoch – anders als beispielsweise Oliver Kahn als ehemaliger CEO bei den Männern – verschiedene Positionen und Rollen beim FC Bayern, bevor sie am 1. April 2023 die Leitung der Abteilung Frauenfußball übernahm und damit Karin Danner beerbte. Es gab ein natürliches Wachstum. Zwischen 2012 und 2015 war sie im Bereich Jugendfußball bei Viktoria Köln tätig, dann wurde sie Teammanagerin beim 1. FC Köln. Denselben Posten bekleidete sie ab 2016 beim FCB.

Ab Sommer 2019 übernahm sie in München als Sportdirektorin. Der Ausgangspunkt der jetzigen Entwicklung. Zu Beginn ihrer Amtszeit sprach sie immer wieder von einem "Vierjahresplan". Innerhalb dieser vier Jahre entwickelte sie eine klare Identität auf und neben dem Platz. Mussten die Bayern zuvor häufig Schlüsselspielerinnen ziehen lassen, gelang es unter ihr, den Kader zusammenzuhalten und Jahr für Jahr sukzessive zu ergänzen.

Rech ist klar, bestimmt, zielorientiert und kann auch Entscheidungen treffen, die unbequem sind. Die Entlassung von Jens Scheuer kam 2022 für viele überraschend, doch die fehlende fußballerische Entwicklung war Rech trotz vieler Erfolge ein Dorn im Auge. Es folgte mit Alexander Straus ein Trainer, unter dem das Team attraktiven, ballbesitzorientierten Offensivfußball spielt.

FC Bayern: Viele Vorteile gegenüber Wolfsburg

Rech haut öffentlich nicht auf den Tisch, sondern lässt Taten sprechen. Wer sich mit ihr unterhält, bekommt einen Eindruck von ihrer Zielstrebigkeit und ihrem Ehrgeiz – manchmal auch von ihrem Selbstbewusstsein. Doch es gibt keine Spur von Arroganz oder Überheblichkeit. Sie würde das selbst vermutlich anders formulieren, doch der Aufstieg des FC Bayern trägt vor allem ihre Handschrift.

Sie hat Strukturen innerhalb des Klubs aufgebaut, von denen man noch lange profitieren wird. Nach und nach hat sie um sich herum kompetentes Personal installiert, Vorgänge optimiert und professionalisiert und den FC Bayern für die Zukunft ausgerichtet. Natürlich profitiert sie dabei auch von den Möglichkeiten, die der Gesamtverein bietet sowie dem erhöhten finanziellen Engagement. Doch auch das erfordert die Fähigkeit, sich innerhalb des Klubs zu positionieren und Interessen zu vertreten.

Diese Entwicklung einerseits, aber auch die strukturellen Vorteile des Standorts München im Vergleich zu Wolfsburg lassen erahnen, dass es für den VfL schwer wird, da mitzuhalten. Im Sommer verliert Wolfsburg Schlüsselspielerinnen wie Ewa Pajor, Dominique Janssen oder auch Lena Oberdorf, die ausgerechnet nach München wechselt. Es steht ein Umbruch an, den man in der Autostadt nicht mehr gewohnt ist.

Wolfsburg muss sich nicht nur neu aufstellen, sie müssen Wege finden, ihren Standortnachteil irgendwie auszugleichen. Der Klub scheint auch für Topspielerinnen zunehmend unattraktiver zu werden. Und genau das macht den kommenden Sommer zu einer riesigen Herausforderung. Sportlich ist der VfL nicht mehr so attraktiv wie früher. In Zeiten des Erfolgs wurde sich ausgeruht, eine klare Identität ist nicht mehr zu erkennen. All das, was die Bayern sich aufgebaut haben, ist in Wolfsburg nach und nach verschwunden.

Noch kann man sich an den Strohhalm vergangener Erfolge klammern. Geht es aber so weiter, ist der FC Bayern sehr bald enteilt. Unter der Voraussetzung, dass man sich in München eben nicht darauf ausruht, was man erreicht hat. Doch das ist derzeit nicht absehbar. Schließlich gibt es auch international noch viel Luft nach oben.

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