Die Schiedsrichter und Video-Assistenten haben nach zuletzt turbulenten Tagen mit viel Kritik ein vergleichsweise ruhiges Wochenende. Unterdessen bemüht sich ihre sportliche Leitung die Kritiker zu beschwichtigen – und reagiert positiv auf den Vorschlag, Ex-Profis in die Kölner Video-Zentrale zu entsenden. Aber ist die Idee wirklich sinnvoll?

Eine Analyse
Dieser Text enthält eine Einordnung aktueller Ereignisse, in die neben Daten und Fakten auch die Einschätzungen des Autors einfließt. Hier finden Sie Informationen über die verschiedenen journalistischen Textarten.

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Die vergangene Woche vor dem 32. Spieltag der Fußball-Bundesliga war für die Schiedsrichter und ihre sportliche Leitung recht unruhig. Besonders drei Entscheidungen waren es, die zuletzt für Aufregung gesorgt hatten. Erstens ein zu Unrecht nicht gegebener Strafstoß für Borussia Dortmund im Spitzenspiel beim FC Bayern München einschließlich des fehlenden Eingriffs des VAR. Zweitens ein nicht gegebener Strafstoß für den 1. FC Union Berlin bei RB Leipzig trotz einer völlig zu Recht erfolgten Intervention des VAR. Drittens ein Handelfmeter für Borussia Mönchengladbach in Freiburg, den viele unberechtigt fanden. Dabei hatte der Referee auf Hinweis des VAR allerdings so entschieden, wie es die internationale Auslegung der Handspielregel vorsieht.


Auf die Unparteiischen respektive deren sportliche Leitung war danach viel Kritik eingeprasselt. Die früheren FIFA-Schiedsrichter Manuel Gräfe und Markus Merk rügten, es gebe trotz der Video-Assistenten zu viele falsche Entscheidungen, zudem gehe es bei den Unparteiischen zu wenig nach dem Leistungsprinzip.

Fröhlich und Drees reagieren positiv auf Matthäus


Rekordnationalspieler Lothar Matthäus wiederum forderte, Ex-Profis zur Unterstützung der Video-Assistenten einzusetzen. "Wir als ehemalige Fußballer können das besser bewerten, weil wir selber permanent und jahrelang in diesen Situationen waren und wissen, wie es aussieht, wenn man foult oder gefoult wird", sagte er.


Lutz Michael Fröhlich, sportlicher Leiter der Bundesliga-Schiedsrichter, und Jochen Drees, Projektleiter der Video-Assistenten, hatten jedenfalls einiges zu erklären, und sie bemühten sich, die Wogen zu glätten.
Fröhlich sagte etwa zu Matthäus‘ Anregung, man nehme konstruktive Vorschläge gerne auf und strebe "einen verstärkten gemeinsamen Austausch mit weiteren Fußballexperten, aktuellen und ehemaligen Spielern sowie Vereinsverantwortlichen an".


Drees zeigte sich in der Sendung "Sky Corner" ebenfalls offen: "Vielleicht ist es tatsächlich eine Idee, auf Leute zuzugehen, die nicht mehr im Tagesgeschäft sind, sich deren Know-how zunutze zu machen und Beratung von diesen Personen einzuholen."

Für die Referees lief der Spieltag bislang gut

Bis zu den beiden abschließenden Begegnungen an diesem Montagabend verlief der jüngste Spieltag für die Referees und deren Video-Assistenten in Köln recht glatt, anderes als vor einer Woche gab es keine wirkliche Aufregung.

Borussia Dortmund wurden in der Partie gegen den VfL Bochum (3:4) von Schiedsrichter Robert Hartmann zwei Strafstöße nach Handspielen zugesprochen, beide jeweils nach berechtigtem Eingriff des VAR. Für den dritten zu Recht gegebenen Handelfmeter, diesmal für Bochum, benötigte der Referee keine Unterstützung.


Im Spiel zwischen Arminia Bielefeld und Hertha BSC (1:1) ging Schiedsrichter Deniz Aytekin nach einem Zweikampf im Berliner Strafraum zwischen dem Herthaner Peter Pekarik und Joakim Nilsson zwar an den Monitor. Er blieb danach aber bei seiner Entscheidung, den Gastgebern keinen Strafstoß zuzusprechen. Und das war richtig.

Zwar gab es im Laufduell einen leichten Kontakt von Pekariks Fuß an der rechten Ferse von Nilsson, doch dieser eher geringe Impuls war nicht ausschlaggebend für den Sturz des Innenverteidigers der Arminia. Die Bilder widerlegten Aytekins Entscheidung jedenfalls nicht, und so sah es auch der Referee.

Sportlicher Leiter räumt "Prozessfehler" ein


Doch die Debatten über die Unparteiischen und vor allem über die Video-Assistenten werden auch in Zukunft immer mal wieder aufkommen, deshalb können einige grundsätzliche Überlegungen dazu hilfreich sein.
Lutz Michael Fröhlich und Jochen Drees hatten Fehler der Unparteiischen und der Video-Assistenten bei den Spielen Bayern –Dortmund und Leipzig – Union unumwunden zugegeben.


Fröhlich wies beim Fernsehsender Sky aber auch darauf hin, dass in dieser Saison in der Bundesliga bereits 94 klare Fehlentscheidungen mithilfe des VAR korrigiert worden seien. Dem stünden 14 Fälle gegenüber, in denen die Video-Assistenten entweder unnötigerweise interveniert oder einen erforderlichen Eingriff unterlassen hätten.


Der Grund dafür liege meist "in Prozessfehlern" oder "in der Kommunikation" zwischen Referee und VAR. Als Beispiel für einen solchen Prozessfehler nannte Fröhlich die ausgebliebene Intervention des Video-Assistenten nach dem Foulspiel von Pavard an Bellingham in der Begegnung des FC Bayern gegen den BVB.

Die Problematik existiert in allen europäischen Top-Ligen

Die ersten Bilder, die VAR Marco Fritz zu sehen bekommen habe, hätten eine "hohe Wahrscheinlichkeit" für einen regelwidrigen Einsatz von Pavard ergeben, aber "keine absolute Sicherheit" geschaffen.


Fritz sei deshalb zu dem Schluss gekommen, dass kein klarer und offensichtlicher Fehler des Unparteiischen Daniel Siebert vorlag, und habe mit der Durchsage "check complete" dem Referee signalisiert, das Spiel fortsetzen zu können.

Unmittelbar danach sei jedoch eine Kameraperspektive entdeckt worden, die Pavards Foul eindeutig gezeigt habe – aber da sei es bereits zu spät für eine Intervention gewesen.
Solche Fehler seien bei aller Technik, die eingesetzt werde, zwar menschlich, so Fröhlich. Man habe den Video-Assistenten deshalb aber gerade in der jetzigen, entscheidenden Saisonphase noch einmal geraten, dem Schiedsrichter bei einer unvollständigen Wahrnehmung eines Vorgangs die Möglichkeit zu geben, sich die Situation selbst am Monitor anzuschauen.

Diese Problematik existiert übrigens nicht nur in der Bundesliga, sondern ist auch in der anderen europäischen Top-Ligen in England, Spanien, Italien und Frankreich zu beobachten. Dort werden die Diskussionen über den VAR, bedingt auch durch eine andere Medienlandschaft als in Deutschland, teilweise noch erheblich heftiger geführt.

Der VAR leistet nüchtern betrachtet das, was er soll

Dass die Debatten immer wieder aufkommen, liegt nicht nur an Fehlern der Video-Assistenten. Sondern auch daran, dass bei den sogenannten subjektiven Entscheidungen – Foulspiele, Handspiele, Feldverweise – die Grenzziehung zwischen einer schlechten, aber gerade noch vertretbaren Entscheidung und einem klaren und offensichtlichen Fehler nach wie vor manchmal schwierig ist.

Man vergisst zudem bisweilen, dass die Eingriffe der Video-Assistenten in der großen Mehrheit unstrittig sind und dabei helfen, Fehlentscheidungen zu vermeiden. Diskutiert wird bei Spielern, Trainern, Fans und Medien nur über wenige Streitfälle und Fehler – das dafür allerdings umso schärfer, weil Klarheit und Fehlerfreiheit erwartet werden.

Dennoch führen weltweit immer mehr Ligen den VAR ein – weil dieser bei aller Kritik, nüchtern betrachtet, das leistet, was er leisten soll: Er reduziert die Zahl der gravierenden Fehlentscheidungen erheblich.

Dass das, anders als für die Vereine, insbesondere für die Fans im Stadion längst nicht immer das wichtigste Kriterium ist, gehört allerdings auch zur Wahrheit.

Viele finden es verständlicherweise vor allem unerträglich, dass ihr Torjubel unter Vorbehalt gestellt wird. Schließlich kann dem VAR bei der Überprüfung immer noch etwas auffallen, das zur Aberkennung des Tores führt.

Können Ex-Profis den Video-Assistenten helfen?

Könnten Ex-Profis den VAR durch ihre Unterstützung verbessern, wie Lothar Matthäus glaubt? Spontan mag man das logisch finden, doch die Sache hat auch einige Haken. Schiedsrichter und Video-Assistenten kennen die Regeln und deren Auslegung nun mal besser, und sie sind an die sich daraus ergebenden Vorgaben gebunden.

Bei einem Handspiel wie dem des Freiburgers Nicolas Höfler im Spiel gegen Mönchengladbach etwa mögen frühere Bundesligaspieler zwar argumentieren, dass eine solche Armhaltung für ein Tackling normal und natürlich ist.

Wenn aber die Regelauslegung der nationalen und internationalen Verbände vorsieht, dass bei einem so weit vom Körper abgespreizten Arm im Falle eines Handspiels im Strafraum auf Elfmeter zu entscheiden ist, hat der Referee keine andere Wahl, auch wenn ein Ex-Profi anderer Ansicht ist.
Genauso ist es bei der Beurteilung von Körperkontakten in Zweikämpfen oder von Foulspielen, bei denen sich die Frage stellt, ob es zwingend einen Feldverweis geben muss.

Bei Entscheidungen mit Ermessensspielraum mag der Erfahrungsschatz früherer Berufsfußballer gelegentlich hilfreich sein. Häufig aber machen Kriterienkataloge und sogenannte Referenzszenen den Unparteiischen klare Vorgaben.

Dennoch ist Jochen Drees, der VAR-Projektleiter, nicht abgeneigt, sich auf ein Experiment einzulassen: "Wenn wir es zu Anfang der neuen Saison anfangen würden und in der Sommerpause miteinander arbeiten und schauen, dass wir das auf die Beine stellen, wäre das ein lohnender Weg", sagte er bei Sky. Ob es wirklich dazu kommt?

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