Am 19. Spieltag standen die Schiedsrichter und ihre Video-Assistenten im Blickpunkt wie selten zuvor in dieser Saison. Manche Kritik schoss dabei übers Ziel hinaus. Umgekehrt begünstigte das Fehlen von Protest in einem Fall vermutlich sogar eine Fehlentscheidung.

Alex Feuerherdt, Schiedsrichter
Eine Kolumne

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Groß war die Verärgerung bei Eintracht Frankfurt nach dem Spiel am Samstag in Bremen (2:2). Denn die Hessen fühlten sich von Schiedsrichter Markus Schmidt kurz vor dem Schlusspfiff um einen Elfmeter und damit um die Möglichkeit gebracht, doch noch den Siegtreffer zu erzielen.

Passiert war dies: In der Nachspielzeit wollte Luka Jović den Ball nach einem Zuspiel von Sebastian Haller an der Strafraumgrenze der Hausherren an Niklas Moisander vorbeilegen, doch der Bremer Verteidiger beförderte die Kugel mit der Hand aus der Gefahrenzone - absichtlich, wie die Zeitlupe zeigte.

Der Unparteiische ließ jedoch weiterspielen, weil er das Handspiel nicht bemerkt hatte. Dennoch empfahl der Video-Assistent dem Referee kein Review. Und nicht nur bei Eintracht Frankfurt fragte man sich: Warum eigentlich nicht? Die Antwort lautet: Es ist kompliziert und verzwickt.

In Betracht gekommen wäre eine Intervention aus Köln, wenn das Handspiel im Strafraum geschehen wäre, also einen Strafstoß hätte nach sich ziehen müssen. Die Fernsehbilder ließen keinen eindeutigen Schluss zu, legten jedoch nahe, dass es knapp außerhalb des Sechzehners zum Kontakt gekommen war.

Zwei Fehlentscheidungen hoben sich gegenseitig auf

Dort darf der Video-Assistent bei ungeahndeten Foul- oder Handspielen aber nur dann einschreiten, wenn das Vergehen feldverweiswürdig war. Dafür sprach hier tatsächlich viel, denn durch seine regelwidrige Klärung hatte Moisander eine klare Torchance verhindert. Jović hätte sich ansonsten wohl frei vor Werders Torhüter Jiří Pavlenka befunden.

Dass der Video-Assistent trotzdem nicht eingriff, könnte daran gelegen haben, dass er bei der Überprüfung des Bildmaterials eine nicht geahndete Abseitsstellung von Jović im Moment des Zuspiels von Haller festgestellt hatte. Die Fernsehbilder legten das zumindest nahe.

In diesem Fall wäre das anschließende Handspiel bedeutungslos gewesen, weil die Begegnung zu diesem Zeitpunkt eigentlich schon unterbrochen hätte sein müssen. Vereinfacht gesagt hoben sich die beiden Fehlentscheidungen gegenseitig auf, deshalb gab es keine Intervention.

Hätte das Abseits von Stindl geahndet werden müssen?

Noch wütender auf den Schiedsrichter als die Frankfurter war Manuel Baum, der Trainer des FC Augsburg, nach der Partie seiner Mannschaft bei Borussia Mönchengladbach (0:2).

"Bei der Abseitsregel nicht sattelfest" sei der Unparteiische Harm Osmers gewesen und "zu faul", um seine Entscheidungen überprüfen zu lassen, sagte der Coach der abstiegsbedrohten Süddeutschen.

Dass das Tor der Gastgeber zum 1:0 durch Oscar Wendt in der 78. Minute anerkannt wurde, sei jedenfalls "eine katastrophale Fehlentscheidung" gewesen und habe "uns das Spiel gekostet".

Was Baum so erregte, war, dass das Schiedsrichterteam das Abseits von Lars Stindl beim Torschuss von Wendt nicht als strafbar gewertet hatte. Der Gladbacher hatte zwar den Ball nicht berührt, aber dem wenige Meter entfernten, auf der eigenen Torlinie stehenden Augsburger Kevin Danso vermutlich die Sicht versperrt.

Durch eine kurze Bewegung zum Ball hatte er ihn aller Wahrscheinlichkeit nach zusätzlich irritiert. Das legten zumindest die Aufnahmen der Hintertorkamera nahe, die auch zeigten, dass Danso mit Verzögerung reagierte, weil er den Ball durch die Sichtbehinderung erst spät sah.

Ein Eingriff aus Köln wäre ratsam gewesen

Für den Unparteiischen auf dem Feld und seinen zuständigen Assistenten ist eine solche Sichtfeldeinschränkung äußerst schwierig zu beurteilen, weil sie die Situation fast immer aus einem Blickwinkel beurteilen müssen, der dafür nicht optimal ist.

Im Unterschied dazu stehen dem Video-Assistenten zahlreiche Kameraeinstellungen zur Verfügung. Er hätte für einen Eingriff beim Spiel in Mönchengladbach allerdings zu dem Schluss gelangen müssen, dass es ein klarer und offensichtlicher Fehler des Referees war, nicht auf Abseits entschieden zu haben.

Beweisen ließ sich das zwar nicht, die Indizien waren aber so stark, dass sie eine Intervention ratsam erscheinen ließen. Harm Osmers hätte sich dann in der Review Area am Spielfeldrand selbst ein Bild machen können.

Dabei hätte er auch die Option gehabt, bei der Anerkennung des Tores zu bleiben, wenn er davon überzeugt gewesen wäre, dass Stindls Abseits nicht strafbar war. Doch der Video-Assistent hielt sich zurück.

Hannover: Kein Protest trotz Fehlentscheidung

Keinen Protest gab es dagegen von Hannover 96, obwohl Noah-Joel Sarenren-Bazee im Spiel bei Borussia Dortmund beim Stand von 1:0 für die Gastgeber von Thomas Delaney im Strafraum des BVB regelwidrig zu Fall gebracht worden war, ohne dafür einen Elfmeter zu bekommen.

Was in der Realgeschwindigkeit für sämtliche Spieler - und sicherlich auch für Schiedsrichter Manuel Gräfe - wie ein Pressschlag aussah, entpuppte sich in der Zeitlupe als Tritt auf das Sprunggelenk des Hannoveraners.

Es ist nicht auszuschließen, dass das vollständige Ausbleiben von Reklamationen gegen die Entscheidung des gut postierten Unparteiischen, diesen Zweikampf als regelgerecht einzustufen, den Video-Assistenten zu dem Schluss kommen ließ, dass kein klarer und offensichtlicher Fehler von Gräfe vorgelegen haben kann.

Obwohl die Bilder dem widersprachen – weshalb der Projektleiter des DFB für die Video-Assistenten, Jochen Drees, gegenüber der Sportschau sagte, dass ein On-Field-Review am Spielfeldrand "sinnvoll gewesen wäre".

Nürnberg und Wolfsburg: Kritik trotz richtiger Entscheidung

Bei den Spielen des 1. FSV Mainz 05 gegen den 1. FC Nürnberg (2:1) sowie zwischen dem VfL Wolfsburg und Bayer 04 Leverkusen (0:3) dagegen griffen die Video-Assistenten jeweils einmal ein, nachdem ein Abseitstor zunächst anerkannt worden war.

In beiden Fällen waren die Entscheidungen dabei sehr knapp und nur mithilfe der kalibrierten Abseitslinien zu treffen. Diese zeigten, dass es jeweils um wenige Zentimeter ging.

Die Trainer der Teams, deren Tor annulliert worden war, mochten sich damit nicht abfinden. Der Nürnberger Coach Michael Köllner sagte, der "Grundsatz des Videobeweises" werde so "ad absurdum geführt", denn das Abseits habe man "mit normalen Menschenaugen" nicht erkennen können.

Und der Wolfsburger Übungsleiter Bruno Labbadia meinte: "Ich glaube, es heißt: Im Zweifel für den Angreifer. So habe ich das gelernt." Das verwunderte dann doch ein wenig: Kritik an richtigen Entscheidungen?

Mit den zur Verfügung stehenden technischen Hilfsmitteln können die Video-Assistenten in der Bundesliga Abseitsstellungen seit dieser Saison zentimetergenau feststellen. Gewiss: Es sind weiterhin - grundsätzlich fehlbare - Menschen, die das Bild mit dem Moment des Abspiels bestimmen und die kalibrierten Linien an die maßgeblichen Körperteile der betreffenden Spieler anlegen.

Doch diese Menschen sind hervorragend geschult, sie verfügen über ein sehr gutes Auge. Und die Technik könnte diese Aufgaben auch gar nicht übernehmen, jedenfalls noch nicht.

Die Abseitsentscheidungen gegen Nürnberg und Wolfsburg, die mithilfe der Video-Assistenten getroffen wurden, waren deshalb nach menschlichem Ermessen korrekt, so eng es bei ihnen auch zuging. Es wäre gut, wenn das auch im Moment der Niederlage akzeptiert werden könnte, selbst wenn es schwerfällt.

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