Einmal mehr ist der VfB Stuttgart unglücklich über die Leistungen des Unparteiischen und des Videoassistenten: Ein Handspiel der Leverkusener im eigenen Strafraum bleibt zur Verwunderung vieler ohne Konsequenzen, im Gegenzug schießt Bayer ein Tor. Auch der DFB-Lehrwart sieht das kritisch.

Alex Feuerherdt, Schiedsrichter
Eine Kolumne
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Es ist gewissermaßen die extremste Form des Videobeweises: Auf der einen Seite fällt ein Tor, doch anschließend stellt der Videoassistent fest, dass der Unparteiische vorher auf der anderen Seite ein elfmeterreifes Vergehen nicht geahndet hat. Dann passiert dies: Es kommt erst zu einem On-Field-Review, anschließend wird der Treffer der einen Mannschaft zurückgenommen und das andere Team bekommt einen Strafstoß zugesprochen.

So ist es erst am vergangenen Mittwoch im DFB-Pokal geschehen, als Borussia Dortmund in der Nachspielzeit das – vermeintliche – 3:1 gegen den SC Paderborn 07 erzielte, bevor die Partie kurz darauf mit einem 2:2 in die Verlängerung ging. Denn der Schiedsrichter hatte vor dem dritten Tor der Schwarz-Gelben ein Foul an einem Paderborner im Strafraum des BVB übersehen. Der VAR griff ein, den fälligen Elfmeter verwandelten die Gäste.

Fosu-Mensah und sein Reflex mit der Hand

In der Begegnung zwischen Bayer 04 Leverkusen und dem VfB Stuttgart (5:2) hätte es ebenfalls zu diesem Extremfall kommen können, wenn nicht sogar kommen müssen, und zwar nach 57 Minuten. Da nämlich schoss Saša Kalajdžić nach einem Eckstoß beim Stand von 2:1 den Ball aus acht Metern aufs Leverkusener Tor. Zwei Meter entfernt riss Timothy Fosu-Mensah reflexhaft beide Arme hoch und wehrte die Kugel mit der rechten Hand ab.

Schiedsrichter Sven Jablonski ließ jedoch weiterspielen und im Gegenzug traf Leon Bailey zum 3:1. Rund drei Minuten dauerte die Überprüfung durch den Videoassistenten Felix Zwayer, dann stand fest: Der Treffer bleibt gültig. Ein Review gab es nicht und folgerichtig auch keinen Handelfmeter für den VfB. Einmal mehr haderten die Stuttgarter mit dem Videoassistenten in Köln.

Für VfB-Sportdirektor Mislintat ist die Sache klar

Der Stuttgarter Sportdirektor Sven Mislintat preschte vor und bezog Stellung. Für ihn lag "eine krasse Fehlentscheidung" vor, durch die die Schwaben um die große Möglichkeit gebracht wurden, per Elfmeter zum 2:2 auszugleichen. "Es ist glasklar definiert, dass das ein strafbares Handspiel ist", so Mislintat. "Wenn wir bei den Regelschulungen einigermaßen aufgepasst haben, ist das der klarste, klarste, klarste Handelfmeter, den man geben kann. Beide Hände über der Schulter, die Hand ganz klar am Ball."

Die Handspielregel wurde zur Saison 2019/20 reformiert, doch seitdem ist sie teilweise umständlich formuliert. An manchen Stellen lädt sie zu Missverständnissen ein, an anderen scheint sie widersprüchlich. Der Satz aber, auf den die Situation in Leverkusen am besten passt, ist eindeutig: "Ein Vergehen liegt vor, wenn ein Spieler den Ball mit der Hand/dem Arm berührt und sich seine Hand/sein Arm über Schulterhöhe befindet."

Eine Ausnahme davon wird nur gemacht, wenn dieser Spieler zuvor den Ball mit einem anderen Körperteil absichtlich gespielt hat und ihm die Kugel dabei unkontrolliert an die Hand oder den Arm gesprungen ist. Das war bei Fosu-Mensah aber nicht der Fall.

Regelwerk kennt keine "Schutzhand"

Dass Handspiele grundsätzlich geahndet werden sollen, wenn der Arm oder die Hand dabei über Schulterhöhe gehalten wird, hat damit zu tun, dass diese Haltung im Fußball selten natürlich ist. Und die Armhaltung ist inzwischen das wichtigste Kriterium bei der Bewertung von Handspielen, weil sie sich leichter und zweifelsfreier bestimmen lässt als die Absicht des Spielers, die zuvor maßgeblich war.

Dass Fosu-Mensah seine Arme vor allem deshalb hochgerissen hat, weil er verhindern wollte, dass der Ball mitten in seinem Gesicht landet, ist übrigens unerheblich. Denn die "Schutzhand" kennt das Regelwerk nicht, auch wenn sich das Gerücht hartnäckig hält.

Eher schon könnte man argumentieren, dass Fosu-Mensahs rechter Arm, mit dem er das Handspiel beging, "vor dem Körper und nicht weit vom Körper, also nicht unnatürlich, nicht abgespreizt war", wie DFB-Lehrwart Lutz Wagner gegenüber dem "Kicker" sagte.

Aber auch für ihn lag "nach Abwägung von Pro und Contra ein strafbares Handspiel" vor, wenngleich "keine klare Fehlentscheidung und damit kein zwingender VAR-Eingriff" gegeben gewesen sei. Felix Zwayer bewertete die Situation genauso.

Doch bei aller Berechtigung, die eine hohe Eingriffsschwelle für die Videoassistenten hat: Es ist schwer zu verstehen, warum der Tatsache, dass Fosu-Mensah seine Hand in die Flugbahn des Balles führte und sie dabei klar über Schulterhöhe hielt, nicht das entscheidende Gewicht gegeben wurde.

Unglückliche Kommunikation des DFB

Recht unglücklich war auch die Kommunikation des DFB zu dieser Szene: Der Twitter-Account der DFB-Schiedsrichter vermeldete nach dem Tor lediglich einen Check auf Abseits, aber nicht, ob auch das Handspiel überprüft wurde.

Angesichts einer Unterbrechung von drei Minuten, der Tatsache, dass die Abseitsfrage schnell zu beantworten war, sowie deutlicher Stuttgarter Proteste war es zwar folgerichtig, dass Felix Zwayer sich auch das Handspiel angesehen hatte. Dennoch wäre eine offizielle Bestätigung hilfreich gewesen. So blieb es Lutz Wagner vorbehalten, im "Kicker" klarzustellen: "Das Handspiel von Leverkusen wurde vom VAR überprüft."

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