Hans-Joachim Watzke hat sich mit der Entlassung von Thomas Tuchel bei Borussia Dortmund selbst in die Schusslinie gebracht. Die Entscheidung für Trainer Peter Bosz ist nachvollziehbar - sie muss aber, in einem sehr schwierigen Umfeld, sofort passen.

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Eine seiner besten Ideen hatte Thomas Tuchel bei einem belanglosen Testkick in Asien. Er wollte Pierre-Emerick Aubameyang wenigstens ein paar Minuten spielen sehen, hatte aber auf den Positionen im offensiven Mittelfeld keinen Platz.

Also stellte er Aubameyang in den Sturm. Nach zehn Minuten hatte die Borussia drei Tore erzielt, alle drei der Gabuner.

Es waren Tuchels erste Tage als Cheftrainer von Borussia Dortmund und so etwas wie ein Erweckungserlebnis.

Unter Jürgen Klopp hatte Aubameyang, auch weil Robert Lewandowski noch da war, fast ausschließlich auf den Außenbahnen im offensiven Mittelfeld gespielt. Tuchel sah in ihm nach wenigen Minuten einen klaren Zentrumsstürmer.

In seinen ersten beiden Jahren beim BVB kam Auba auf 31 Tore. In den letzten beiden, mit Tuchel als Trainer, waren es 56. Zuletzt wurde er mit 31 Treffern Torschützenkönig der Bundesliga.

Aktienkurs um 80 Prozent gestiegen

Geschichten wie die von Aubameyang gab es einige beim BVB in den letzten beiden Jahren. Nun aber ist Tuchel Geschichte.

Als vor einem Jahr entgegen Watzkes Versprechen doch die Führungsspieler Mats Hummels, Henrikh Mkhitaryan und Ilkay Gündogan verkauft wurden, gab es erste Risse in der Beziehung zwischen Geschäftsführer und Trainer.

Mit dem Umgang des Bombenattentats auf die Mannschaft und den Debatten, wer was wann und in welcher Form in den Tagen danach formuliert und auf die Durchführung des Nachholspiels 24 Stunden später gedrängt hat, erreichte der Zwist seinen Höhepunkt.

Spätestens seit dem Rauswurf von Tuchel, der vom BVB als "Trennung" verkauft wurde, steht Watzke nun auch selbst in der Schusslinie.

Er hat einen Trainer entlassen, der im Prinzip alle formulierten sportlichen Ziele zwei Spielzeiten nacheinander erreicht hat.

Denn Tuchel hat Spieler nicht nur entwickelt, sondern besser gemacht. Mkhitaryan sei hier als Beispiel genannt, der unter Klopp kaum funktionierte und nach nur einer Saison mit Tuchel für die Rekordablöse von 42 Millionen Euro veräußert wurde.

Tuchel hat auch endlich wieder einen Titel nach Dortmund geholt. Und - für einen börsennotierten Klub ist das am Ende auch sehr wichtig: Der Aktienkurs ist drastisch gestiegen.

Das ist sicher nicht allein Tuchels Verdienst. Aber Fakt ist: Die BVB-Aktie hat in den letzten beiden Jahren den höchsten Kursanstieg ihrer gesamten Laufzeit hingelegt, von 3,50 Euro auf 6,30 Euro.

Das sind satte 80 Prozent Steigerung. Jeder andere CEO eines Unternehmens würde dafür gefeiert werden. Tuchel wurde entlassen.

Watzke dachte angeblich über Rücktritt nach

Das klärende Gespräch mit der von Watzke "ergebnisoffenen Diskussion" wenige Tage nach dem Pokalsieg von Berlin soll am Ende gar nicht mehr so ergebnisoffen abgelaufen sein. 21 Minuten habe es gedauert.

So lange benötigten Watzke und Sportdirektor Michael Zorc, um Tuchel die Kündigung auszusprechen.

Vor dem Pokalfinale habe Watzke sogar über einen Rücktritt nachgedacht, allerdings nur für den Fall einer Niederlage gegen Frankfurt. So war es im "Spiegel" zu lesen.

Ansonsten blieb der Geschäftsführer bei seiner Meinung: "Ich sehe keinen gravierenden Fehler. Ich bin da in etwas reingeraten und wusste irgendwann nicht mehr, wie ich da rauskomme."

Das Risiko Peter Bosz

Mit der Installation von Peter Bosz geht Watzke ein enormes Risiko ein.

Der Niederländer verfügt als Trainer über keinerlei Bundesligaerfahrung und hat erst bei Ajax Amsterdam in der abgelaufenen Saison gezeigt, dass er auch bei großen Klubs in einem schwierigen Umfeld bestehen kann.

Zuvor war Bosz in den Niederlanden bei Mittelklasse-Vereinen und in Israel ein halbes Jahr bei Maccabi Tel Aviv angestellt.

Mammutaufgaben für den Neuen

Der neue Trainer steht vor einem Berg von Aufgaben. Bosz muss eine in sich zerrissene Mannschaft wieder vereinen.

Die Truppe ist in mindestens zwei, womöglich sogar mehrere Lager gespalten, die ehemaligen Klopp-Meister-Spieler wie Roman Weidenfeller, Marcel Schmelzer, Nuri Sahin galten als Tuchel-Gegner, die "Neuen" um Aubameyang, Roman Bürki oder Ousman Dembele waren eher auf Tuchels Seite.

Gerade der Franzose sorgte nun mit einem Interview bei "Sky" für Aufsehen, in dem er Tuchels Abgang so gar nicht nachvollziehen konnte. "Ich bin enttäuscht, weil er ein Trainer war, der mir viel Vertrauen geschenkt hat. Thomas war immer für mich da und hat mir viel beigebracht", sagte Dembele und schilderte auch seine Sicht der Dinge über die Tage nach dem Bombenanschlag.

"Viele Spieler wollten nicht auflaufen, eigentlich alle. Aber wir konnten nichts machen, es wurde so entschieden. Wir waren gezwungen, das Spiel zu absolvieren."

Tuchel habe voll hinter den Profis gestanden, "auch er hatte keinen Kopf für ein Fußballspiel. Alle von uns waren sich darüber einig, aber so ist das eben, die UEFA hat etwas dazu gesagt, auch unser Präsident hat gesprochen."

Dieser "Dissens", wie Watzke die unterschiedlichen Standpunkte nannte, wird den BVB offenbar noch eine ganze Weile begleiten.

Bosz muss passen

Für Bosz sind das denkbar ungünstige Voraussetzungen. Neben den handwerklichen Dingen muss der neue Trainer auch im zwischenmenschlichen Bereich einen Kraftakt hinlegen.

Dazu ist die Zukunft von Aubameyang ungewiss und mit Marco Reus die zweite große Offensivwaffe noch lange verletzt. Für einen Novizen in der Liga ist das ein dickes Brett.

Hans-Joachim Watzke wird genügend Gründe gehabt haben, seine Sichtweisen in den Gremien zu präsentieren, um dann auf einstimmige Beschlüsse zu kommen.

Er hat verantwortlich im Sinne des Klubs gehandelt, zumindest aus seiner Sicht. Mit Bosz muss jetzt aber alles passen und das möglichst gleich vom ersten Spiel an.

So überragend Watzke den BVB vom Beinahe-Exitus bewahrt und wieder zurück in die europäische Spitze geführt hat, so ein wackeliges Händchen hat er bisher bei seinen Trainerentscheidungen bewiesen.

Klopp war ein sensationeller Griff, aber auf Grund der Verbindungen zwischen Dortmund und Mainz in gewisser Weise auch naheliegend.

Die anderen Trainer in Watzkes Ägide haben kaum bleibenden Eindruck hinterlassen. Bert van Marwijk, Jürgen Röber und Thomas Doll sind allesamt gescheitert, Thomas Tuchel in letzter Konsequenz auch.

Peter Bosz hat einen Vertrag bis zum Sommer 2019 unterschrieben. Es dürften die aufregendsten zwei Jahre seiner Trainerkarriere werden.

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