Klatsche in Barcelona, kein Auswärtstor und der vielleicht beste Spieler der Welt in Topform: Es spricht scheinbar nicht mehr besonders viel für einen Champions-League-Finaleinzug des FC Liverpool. Und doch ist der Traum für das Team von Jürgen Klopp noch nicht vorbei.

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Es gibt da dieses Video von Gary Lineker und Rio Ferdinand. Der eine, Lineker, steht als ehemaliger Spieler des FC Barcelona und Bewunderer von Lionel Messi im leisen Verdacht, es im Zweifel mit der katalanischen Großmacht zu halten. Der andere, Ferdinand, gönnt als Ikone von Manchester United dem verhassten Rivalen aus Liverpool nicht das Schwarze unter den Fingernägeln.

Lineker und Ferdinand waren beide als Experten des englischen Senders BT Sport im Camp Nou und pfiffen nach dem aberwitzigen Freistoß von Messi zum 3:0 für den FC Barcelona auf jegliche Etikette: Lineker und Ferdinand rasteten salopp formuliert ziemlich aus, in etwa so wie die 90.000 Fans um sie herum, die es mit Barca hielten.

Messis Freistoß setzte den Schlusspunkt unter einen großen Fußballabend, der den FC Barcelona nicht nur nach Meinung der Experten mit anderthalb Beinen ins Finale hievte. Drei Tore Vorsprung, ein "zu Null" zu Hause, die Erfahrung von über hundert K.-o.-Spielen innerhalb der Mannschaft und natürlich Messi, der im Zweifel ein Spiel ganz alleine entscheidet: Es spricht tatsächlich fast alles für die Katalanen. Und doch gibt es für den FC Liverpool noch ein paar Hoffnungsschimmer.

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Das Ergebnis trügt

Barcelona 3, Liverpool 0. Auf dem Papier sieht das nach einer klaren Angelegenheit aus. Nach einer überlegenen Mannschaft auf der einen Seite und einer, die nur wenig zu bestellen hatte, auf der anderen. Aber dem war nicht so.

Barcelona verfolgte seinen von Trainer Ernesto Valverde kultivierten Pragmatismus, überließ Liverpool über drei Viertel der Partie den Ball und damit die Kontrolle und verlegte sich stattdessen auf weniger attraktive Manöver: Mit zwei eng und tief aneinanderstehenden Viererketten nahm Barca den Gästen das Tempo und die Tiefe im Spiel.

Den Rest erledigte der gut aufgelegte Marc-André ter Stegen, der Barcelona beim Stand von 1:0 mit zwei starken Paraden vor dem eigentlich überfälligen Gegentreffer bewahrte.

Liverpools Spieler waren schneller und handlungsschneller, als Mannschaft wurde die Truppe spätestens nach dem 0:1-Rückstand auch dominant. Sobald die Reds aber mal richtig Fahrt aufnehmen konnten, streute Barca mit abgezockten Spielern wie Ivan Rakitic, Sergi Busquets oder Arturo Vidal längere Verschnaufpausen ein.

Barcelonas Spieler suchten förmlich die Zweikämpfe und legten sich dann willig zu Boden. Viele Pfiffe des Schiedsrichters wurden ausgiebig genutzt, um den Rhythmus des Gegners zu brechen und Liverpool erst gar nicht in den Flow kommen zu lassen. Das war nicht besonders schön, aber legitim. Aber in der Spielanlage und in nahezu allen Statistiken waren am Ende die Gäste besser - nur halt nicht bei den erzielten Toren.

"Es geht darum, Tore zu schießen und keine zu kriegen. Das haben wir nicht so gut hingekriegt", sagte Jürgen Klopp nach dem Spiel bei Sky.

Mo Salah scheiterte am Pfosten, Sadio Mané traf aus bester Position das Tor nicht, Roberto Firminos Versuch wurde auf der Linie geklärt. Firmino dürfte im Rückspiel von Beginn an auflaufen und das Trio Infernale im Angriff perfekt machen.

"Aber wir haben ein super Spiel gemacht. Du weißt, dass der Gegner dich in den kleinen Momenten besiegen kann. Ich habe richtig Spaß gehabt, außer dem Ergebnis fand ich alles gut," so Klopp.

Barcas schwarze Stunde

In der vergangenen Saison gab es das schon einmal: Barca siegte im Hinspiel klar, schoss den AS Rom damals im Viertelfinale mit 4:1 aus dem Camp Nou. Zwei Eigentore ebneten den Weg zum Sieg, die Gäste waren ansonsten auf Augenhöhe mit Barca. Eine Woche später gab es dann das böse Erwachen für die Katalanen im Stadio Olimpico. Das 3:0 der Roma ging als eine der größten Sensationen in die Geschichte der Champions League ein und als Mahnmal für das Barca dieser Saison.

Jeder Spieler erinnerte am Mittwochabend sofort an die Ereignisse vor einem Jahr, die tatsächlich noch in den Köpfen schwirren. Das kann eine reinigende Wirkung haben und die Sinne schärfen - bei einem entsprechend negativen Spielverlauf, etwa mit einem frühen Gegentor, aber auch die bösen Geister schnell wieder aufwecken.

Dembélés Fehlversuch

Es hätte ja sogar noch schlimmer kommen können für Liverpool. Mit dem Abpfiff rannte die Mannschaft bei vollstem Risiko und ohne Absicherung in einen Eins-gegen-Drei-Konter, den die Gastgeber auch gut ausspielten - bis zum Abschluss von Ousmane Dembélé.

Das Ausspielen des Gegners, Passschärfe und -genauigkeit von Messi: Alles war perfekt. Dann kam Dembélés Versuch, der mit "kläglich" noch milde umschrieben ist. Ein viertes Gegentor hätte den ziemlich sicheren Todesstoß für die Reds bedeutet. So aber ging Liverpool mit ein wenig Hoffnung und fast schon Auftrieb aus der Partie.

Die Lage in der Liga

Liverpool dürstet nach dem ersten Meistertitel in der Liga seit 29 Jahren. Dieses große Ziel steht über allem, die Mannschaft spielt eine absolut herausragende Saison. Zwei Spiele stehen noch aus, und nach - im besten Fall - zwei Siegen kämen die Reds auf sagenhafte 97 Punkte; die trotzdem zu wenig sein könnten, weil Manchester City derzeit nun mal einen Punkt mehr auf dem Konto hat.

Am Wochenende muss Liverpool nach Newcastle, bei einem Remis oder einer Niederlage wäre die Meisterschaft wohl futsch - dann könnte sich die Mannschaft komplett auf das CL-Rückspiel konzentrieren.

This is Anfield

Anfield Rd, Liverpool L4 0TH, lautet die offizielle Adresse des mystischen Orts, an dem das Wunder wahr werden soll. Hier sind schon unzählige große Mannschaften zerschellt, und auch am Dienstag wird fast das Dach wegfliegen, sollte Liverpool das erste Tor gelingen - im günstigsten Fall noch in der ersten Halbzeit.

Die Anfield Road kann eine Wucht entfalten wie kaum ein anderes Stadion in Europa. Barca hat den Reds eine Lehrstunde in Sachen Erfahrung, Effizienz und Kälte vor dem gegnerischen Tor erteilt. Aber der FC Liverpool lernt erfahrungsgemäß schnell.

"Ich bin doch nicht doof und werfe meiner Mannschaft vor, dass sie die Torchancen nicht verwertet hat", sagte Jürgen Klopp. "Ich bin froh, dass wir viele gehabt haben." Für den FC Barcelona dürfte das im Hinblick auf das Rückspiel Warnung genug sein.

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