Die beiden deutschen Schiedsrichter bei der EM, Felix Brych und Daniel Siebert, haben in der Vorrunde geglänzt. Im Achtelfinale dagegen lief es nicht ganz so rund. Vor allem Brych hatte viel Mühe mit einer hektischen Partie.

Alex Feuerherdt, Schiedsrichter
Eine Kolumne
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Dass gleich zwei deutsche Schiedsrichter bei einer Europa- oder Weltmeisterschaft eingesetzt werden wie nun Felix Brych und Daniel Siebert, war letztmals vor 25 Jahren der Fall: Damals nominierte die UEFA Hellmut Krug und Bernd Heynemann für die EM in England.

Es ist ein Zeichen der Wertschätzung durch den europäischen Fußballverband, dass der DFB jetzt wiederum zwei Unparteiische entsenden durfte. Brychs Berufung war dabei zu erwarten, der 45-Jährige gehört seit vielen Jahren zu den europäischen Top-Referees. 2017 leitete er sogar das Champions-League-Finale.

Dass auch der acht Jahre jüngere Siebert dabei ist, hat dagegen viele überrascht – ihn selbst übrigens auch. Schließlich gehörte er bislang nicht der "Elite Group" an, also der höchsten Kategorie der Schiedsrichter bei der UEFA.

Dennoch gab der europäische Schiedsrichter-Chef Roberto Rosetti dem Berliner den Vorzug gegenüber Felix Zwayer, Tobias Stieler und Deniz Aytekin, die formal eigentlich über Siebert stehen. Offensichtlich traute er ihm, dessen Coach bei einem Perspektivturnier er vor einigen Jahren war, mehr zu.

Warum Brych das Halten gegen Lukaku nicht ahndete

Die Vorrunde hätte für Brych und Siebert nicht besser laufen können. Beide pfiffen jeweils zwei Partien und bekamen viel Anerkennung für ihre unaufgeregte, sichere und souveräne Spielleitung. Ihre recht großzügige Zweikampfbewertung entsprach dabei der allseits gelobten Turnierlinie.

Der verdiente Lohn war, dass sie auch im Achtelfinale eingesetzt wurden. Felix Brych durfte am Sonntagabend die Partie zwischen Belgien und Portugal (1:0) leiten, bei der es phasenweise turbulent zuging. Er hatte alle Hände voll zu tun, um das im Laufe der Zeit immer emotionaler werdende Spiel unter Kontrolle zu behalten.

Eine negative Signalwirkung hatte dabei eine Szene in der 37. Minute: Bei einem belgischen Konter zog Romelu Lukaku mit dem Ball unwiderstehlich davon, Joao Palhinha zog ihn von hinten am Trikot. Lukaku blieb schließlich an einem Verteidiger hängen, verlor den Ball und protestierte.

Brych winkte jedoch ab und zeigte an: Kein Foul, weiter geht’s. Der Referee hatte das Halten augenscheinlich nicht wahrgenommen, weil er zentral hinter dem Zweikampf gelaufen war. Von dort konnte er nur Palhinhas Rücken sehen und nicht, wie der Portugiese seine Hände einsetzte.

Nach Palhinhas Fouls wurde das Spiel härter

Brychs Positionsspiel war dabei keineswegs falsch: Er musste dem Konter auf dem schnellsten Weg folgen, und das war nun mal der durch die Mitte. Sein Assistent musste sich auf ein mögliches Abseits konzentrieren und konnte daher nicht helfen. So wird erklärlich, warum der Freistoßpfiff und die fällige Gelbe Karte für Palhinha ausblieben.

Trotzdem war die Entscheidung des Unparteiischen, weiterspielen zu lassen, nicht korrekt. In der Folge wurde die Begegnung härter. Kurz vor der Pause konterte Belgien erneut, und wieder setzte sich Palhinha unfair ein: Er traf beim Tackling gegen Kevin De Bruyne zwar zuerst den Ball, räumte den Belgier danach aber auch rustikal ab.

Es war kein gesundheitsgefährdendes Foul, keines mit gestrecktem Bein, offener Sohle oder einem Tritt gegen eine verletzungsanfällige Körperpartie. Aber ein rücksichtsloses, also gelbwürdiges Vergehen war es allemal. Brych entschied auf Vorteil, weil der Angriff aussichtsreich schien, und verwarnte den Portugiesen in der nächsten Unterbrechung.

Ob Palhinha auch so zu Werke gegangen wäre, wenn er Minuten zuvor die Gelbe Karte bekommen hätte, ist Spekulation. Nun war jedenfalls Feuer im Spiel. Zum negativen Höhepunkt kam es nach 77 Minuten, als Thorgan Hazard weiterspielte, obwohl die Partie bereits unterbrochen war, und von Pepe rüde zu Boden gebracht wurde.

Pepe war mit der Gelben Karte gut bedient

Unten stellte der portugiesische Verteidiger seinem Gegner ein Bein, oben versetzte er ihm mit dem Unterarm einen seitlichen Bodycheck gegen Kopf und Hals. Der Unparteiische beließ es bei einer Gelben Karte, bewertete den Einsatz also nur als rücksichtslos und nicht als brutal.

Das war vertretbar, allerdings hätte es auch gute Argumente für einen Feldverweis gegeben – der Check war kein Schlag, aber auch nicht bloß ein Rempler. Die Rudelbildung, die dem Einsteigen von Pepe folgte, löste Brych im Verbund mit seinen Assistenten rasch und energisch auf.

Insgesamt wirkte der Referee aus München aber nicht so souverän wie in den beiden Spielen zuvor. Die großzügige Linie bei der Zweikampfbewertung führte hier außerdem, anders als in dem meisten EM-Spielen zuvor, eher dazu, dass die Spieler so manche Härten in die Partie brachten und Hektik aufkam.

Wirklich eingefangen bekam Brych sie nicht, es gab überdies wiederkehrende Proteste, und für den Unparteiischen wurde es zunehmend schwierig, Akzeptanz für seine Entscheidungen zu bekommen. Ein früheres Durchgreifen hätte dieses Problem womöglich verhindern können.

Siebert mit guter Leistung, doch es gab auch Kritik

Am Tag zuvor bot Daniel Siebert im Spiel Wales – Dänemark (0:4) alles in allem erneut eine gute Leistung, doch diesmal gab es auch Kritik: "Ich hatte das Gefühl, der Referee war von den Fans hier beeinflusst", sagte Gareth Bale, der Kapitän des unterlegenen Teams aus Wales.

16.000 Zuschauer waren im Stadion von Amsterdam, darunter zahlreiche stimmgewaltige dänische Fans. Dass der Unparteiische sich davon beeindrucken oder sogar leiten lassen hat, darf man gleichwohl bezweifeln. Aus der Bundesliga ist er deutlich größere und lautere Kulissen gewohnt.

Dessen ungeachtet konnte man zwei von Sieberts Entscheidungen tatsächlich kritisch sehen. Zum einen entschied er kurz nach der Pause einem Zweikampf zwischen Simon Kjaer und Kieffer Moore nicht auf Freistoß für Wales, obwohl der Däne seinen Gegner – was allerdings schwer zu erkennen war – regelwidrig am Fuß getroffen hatte.

Dänemark kam dadurch in Ballbesitz und schlug die Kugel nach vorne, die Waliser wehrten den Ball zwar ab, aber zu kurz, und der folgende dänische Angriff mündete schließlich im Treffer zum 0:2.

Weitere Einsätze für Brych und Siebert sind möglich

Zum anderen waren die Briten nicht einverstanden mit der Roten Karte gegen Harry Wilson kurz vor Schluss. Der Waliser hatte Joakim Maehle ohne Chance auf den Ball durch ein Tackling von hinten zu Fall gebracht. In der Realgeschwindigkeit sah das nach einem üblen Foul aus, der Feldverweis schien deshalb folgerichtig.

In der Wiederholung wurde allerdings deutlich, dass Wilson seinen Gegenspieler keineswegs brutal und gesundheitsgefährdend getroffen hatte. Weil das ausschlaggebend ist, hätte eine Gelbe Karte eigentlich genügt. Spielentscheidend war das jedoch nicht – zu diesem Zeitpunkt stand es bereits 0:3.

Ob Felix Brych und Daniel Siebert bei dieser EM noch einmal als Schiedsrichter zum Zug kommen, steht noch nicht fest. Die Einteilungen zu den Spielen, die Schiedsrichter-Chef Rosetti vornimmt, werden von der UEFA in der Regel erst zwei Tage vor dem Anpfiff veröffentlicht.

Rosetti weiß aber, was er an den beiden deutschen Referees hat, selbst wenn sie im Achtelfinale nicht so geglänzt haben wie in der Vorrunde. Zumindest der international erfahrene Brych dürfte Chancen auf ein weiteres Finalrundenspiel haben.

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