Robert Lewandowski gilt als bester Mittelstürmer der Welt - bei der EM 2016 in Frankreich wartet er aber immer noch auf sein erstes Tor. Im Viertelfinale gegen Portugal kommt es zum Showdown mit Cristiano Ronaldo. Für Lewandowski ist das Gefahr und Chance zugleich.

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Es ist der Fluch der guten Taten, der Robert Lewandowski bei der Europameisterschaft einholt. Lewandowski gilt als komplettester Angreifer der Welt, er hat bei Bayern München in der abgelaufenen Saison alleine in der Liga 30 Tore geschossen und damit so viele wie seit fast 40 Jahren kein Spieler mehr in einer Bundesliga-Saison.

In der Qualifikation zur Europameisterschaft haben die Polen 33 Treffer erzielt, so viele wie kein anderes Team. Auf Lewandowskis Konto gingen 13 Tore. Und natürlich wurde er damit auch in diesem "Wettbewerb" zum erfolgreichsten Angreifer überhaupt.

Nun steht aber die EM auf dem Programm, mit anderen Gegnern als Hannover, Darmstadt, Georgien oder Gibraltar. Lewandowski war vor dem Start ins Kontinentalturnier einer jener Spieler, von denen man Großes erwartete. Nicht nur, dass sie selbst überragende Leistungen zeigen. Sondern dass sie ihre Mannschaft mitreißen werden, einer "Ein-Mann-Armada" gleich die Gegner quasi alleine besiegen.

Lewandowski und Müller "gleichauf"

Robert Lewandowski ist mit einer großen Bürde, aber auch mit großen Hoffnungen in die EM gestartet. Und bisher, so muss man sagen, haben sich von seinen persönlichen Hoffnungen nur ein paar erfüllt. Die Bürde dagegen wird mit jeder Partie schwerer. Kurios dabei: Auch seinem Bayern-Mitstreiter Thomas Müller ergeht es bisher genauso.

Polen hat das Viertelfinale erreicht, ohne dass Lewandowski einen einzigen Treffer dazu beigesteuert hat, analog dazu steht Deutschland in der Runde der letzten Acht ohne einen Müller-Treffer.

Das ist natürlich ein Problem, wenn der beste Angreifer nach vier Spielen immer noch ohne eigenes Tor dasteht und sich ein ganzes Land förmlich Sorgen macht und darum bettelt, dass der Überspieler doch nun endlich treffen möge. Es ist aber auch beruhigend zu wissen, dass Polen auch ohne Lewy-Tore schon so weit gekommen ist. Und irgendwann muss er ja treffen ...

Andere Spielanlage als im Klub

Wenn es am Donnerstagabend gegen Portugal um den Einzug ins Halbfinale und damit den größten Erfolg der polnischen Fußballgeschichte seit 40 Jahren geht, rückt sogar der ansonsten omnipräsente Cristiano Ronaldo ein wenig in den Hintergrund. Alles blickt auf Lewandowski, dessen Torflaute in der Heimat eine mittlere Staatskrise ausgelöst hat.

Chancen auf das erlösende erste Tor waren vor allen Dingen in den Gruppenspielen genug da. Aber Lewandowski hat ein wenig seine Leichtigkeit verloren. Und natürlich wird er immer auch von mindestens zwei Gegenspielern gleichzeitig gedeckt.

In der Partie gegen die Schweiz konnte man erstmals erahnen, wie sehr ihn das alles wurmt. Lewandowski, trotz der für einen Angreifer angeborenen Eigensinnigkeit vor dem Tor mit einem sehr ausgeprägten Gedanken für das Kombinationsspiel und mannschaftsdienliches Verhalten ausgestattet, wollte sein Tor unbedingt erzwingen.

Die Vergleiche mit seiner Saison bei den Bayern hinken ohnehin. Der deutsche Rekordmeister generiert pro Spiel zwischen einem halben und einem Dutzend bester Torchancen, er erdrückt seine Gegner und spielt sie so lange auseinander, bis ein freier Schuss aus nächster Nähe möglich ist.

Die Polen sind eine blitzsaubere Kontermannschaft. Dieser Spielstil liegt dem ebenso schnellen wie wendigen und robusten Lewandowski zwar auch - im Nationaldress bekommt er gerade bei dieser EM aber nicht fünf, sechs gute Einschussmöglichkeiten serviert, sondern vielleicht nur eine oder zwei. "Lewandowski hat kapiert, dass Fußball ein Mannschaftssport ist", sagt Polens Legende und Verbandspräsident Zbigniew Boniek. "Er ist so intelligent, dass er sich für seine Mannschaft opfert."

Unterstützung von allen Seiten

Das stimmt, ist aber keine wirklich neue Erkenntnis. Lewandowski war schon immer ein erstaunlich selbstloser Spieler, der das Wohl der Gruppe seinen eigenen Interessen übergeordnet hat. Dass seine Berater vor der EM mal wieder mit einem Wechsel kokettierten und er deshalb womöglich mehr auf seinen eigenen Vorteil bedacht sei und Tore schießen wolle, ist eine Vermutung. Die aber durch rein gar nichts zu belegen ist.

Boniek will mit seiner Einschätzung zumindest ein wenig den Druck von seinem wichtigsten Spieler nehmen. Ebenso wie die Mitspieler. "Robert arbeitet immer für uns und wir arbeiten für ihn. Alle gönnen ihm endlich den ersten Treffer in Frankreich", sagt Mittelfeldspieler Krzysztof Maczynski.

Sein Trainer Adam Nawalka bezeichnete Lewandowski auf der abschließenden Pressekonferenz am Mittwochabend zum Trotz ungefragt wieder als "besten Stürmer der Welt" und verwies auch auf eine Statistik, die auch ein kleines Mosaiksteinchen im Gesamtbild von Lewandowskis bisheriger Turnierleistung ist. Sein Kapitän würde so hart attackiert wie kein anderer Spieler, die Schiedsrichter "sollten mehr auf brutale Fouls achten", so Nawalkas Rat an Dr. Felix Brych, der die Partie in Marseille leiten wird.

Keiner wird öfter gefoult

Ganz so abwegig sind Nawalkas Ausführungen nicht, erinnert man sich nur an das brutale Einsteigen des Schweizers Fabian Schär im Achtelfinale gegen Lewandowski und wirft man einen Blick in die Statistik, die den 27-Jährigen als meistgefoulten Spieler des gesamten Turniers ausweist. 16 Mal langten die Gegner schon hin, von allen Stürmer kommt Lewandowski nur sein Teamkollege Arkadiusz Milik noch einigermaßen nahe (zehn Fouls).

Die Portugiesen mit Pepe und Ricardo Carvalho in der Innenverteidigung werden sich "rührend" um Lewandowski kümmern, man darf getrost eine "gesunde" Härte erwarten. Dass der Pole mit einer rauen Gangart auch umzugehen weiß und selbst mal austeilt, spricht für ihn. Dass sein Selbstvertrauen aber nicht überdimensional gewachsen ist in den Tagen in Frankreich, macht die Angelegenheit nur spannender.

Direkter Vergleich mit Ronaldo

Große Spieler zeichnet es aus, dass sie große Spiele entscheiden. Für viele Polen ist das Viertelfinale gegen Portugal vier Jahre nach dem schmachvollen Aus bei der Heim-EM so etwas wie das Spiel ihres Lebens. Polen benötigt ein wenig vom Bayern-Lewandowski, zumindest dessen Leichtigkeit und Nonchalance vor dem Tor.

Im Duell gegen die Portugiesen klingt im Subtext ja stets der Vergleich mit CR7 mit. Der Druck auf Lewandowski wird noch größer sein als jemals zuvor. Die Referenzgröße bewegt sich am Donnerstagabend auf demselben Spielfeld, jede seiner Aktionen wird - unfair oder nicht - am Ende auch mit jenen von Ronaldo verglichen werden.

Den Superstar im direkten Duell auszustechen, erfolgreicher zu sein, die eigene Mannschaft ins Semifinale zu führen und den Gegner nach Hause zu schicken: Das wäre der vorläufige Höhepunkt in Lewandowskis Nationalmannschaftskarriere.

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