Loris Karius erlitt im Champions-League Finale eine Gehirnerschütterung, Christoph Kramer ging schon mehrmals k.o. Das Risiko einer Kopfverletzung im Fußball ist größer als dies vielen bewusst ist. Und es betrifft keineswegs nur Profi-Fußballer.
Waren die Torwartpatzer von
Kopfverletzungen werden unterschätzt
Mit diesem Schicksal steht er nicht alleine da. Kopfverletzungen sind im Fußball weiter verbreitet als bislang angenommen.
"Im Jahre 2017 waren 6,6 Prozent aller Verletzungen in der 1. und 2. Bundesliga Kopfverletzungen", sagt Dr. Ingo Tusk, der Mannschaftsarzt der deutschen Frauen-Nationalmannschaft, im Gespräch mit unserer Redaktion.
Diese Kopfverletzungen sind nicht zu unterschätzen. 32 Prozent davon waren Prellungen, 16 Prozent Schädel-Hirnverletzungen. "Die größte Gefahr beim Fußballspielen geht von dem Anprall bei einem Kopfball-Zweikampf aus", erklärt Tusko.
Bilder, in denen zwei Spieler mit den Köpfen zusammenprallen, sind im Profifußball keine Seltenheit. Manche Profis erwischt es sogar häufiger. Beispiel
Der Innenverteidiger von Borussia Mönchengladbach zog sich alleine im zweiten Halbjahr 2017 einen Nasenbeinbruch im Spiel gegen den VfB Stuttgart zu, dann eine Schädel-Prellung im Spiel gegen Borussia Mönchengladbach, zudem eine Risswunde an der Lippe gegen RB Leipzig.
Im WM-Finale von 2014 war es ebenfalls Kramer, der sich bei einem Zusammenprall eine Gehirnerschütterung zuzog und danach nicht einmal mehr wusste, in welchem Spiel er sich befand. Insgesamt ging Kramer innerhalb von vier Jahren drei Mal k.o. – somit häufiger als die meisten Boxer.
Fußball gefährlicher als Boxen
Der deutsche Box-Profi Jürgen Brähmer behauptet sogar, dass Fußballspieler gefährlicher leben als Boxer: "Wir sind zu vielen Untersuchungen verpflichtet, die Fußballer nicht. Ein befreundeter Radiologe hat mir gesagt: Müssten Fußballer genauso wie Boxer einen Gehirncheck machen, gäbe es erschreckende Erkenntnisse."
Der Boxer führt im Gespräch mit unserer Redaktion fort: "Die Anzahl der Erschütterungen ist aufgrund der Kopfbälle im Fußball viel höher als im Boxen. Wir Boxer haben im Jahr vielleicht drei Kämpfe. Fußballprofis absolvieren locker zwanzig Mal so viele Spiele, das Training außen vor gelassen."
Tatsächlich kann auch das Kopfballspiel zu Schädigungen am Gehirn führen. Prof. Gereon Nelles vom Berufsverband Deutscher Neurologen erklärt im Gespräch mit unserer Redaktion die Problematik: "Das Gehirn ist nicht fest im Schädelknochen verwachsen, sondern schwimmt in einer Flüssigkeitshülle. Wenn dann von außen ein Schlag kommt, wie zum Beispiel bei einem Kopfball, schlägt das Gehirn mit einer gewissen Wucht an die Innenseite des Schädelknochens. Das kann zu kleinen Verletzungen führen."
Ein einzelner Kopfball stellt zwar keine Gefahr dar. "Aber wenn so etwas in einer Sportlerkarriere über 20 Jahren wiederholt geschieht, bei Profis sogar mehrmals täglich, können diese immer wiederkehrenden Mikroverletzungen Folgen haben", erzählt Nelles.
Das geht mit Konzentration- oder Gedächtnisstörungen los und reicht bis hin zur Chronisch-traumatischen Enzephalopathie (CTE), die bei American-Football-Spielern sehr verbreitet ist. Betroffene leiden unter Schwindel, Kopfschmerzen oder Übelkeit, manchmal auch unter Verhaltensstörungen.
Auch Kinder und Jugendliche sind betroffen
Wie groß die Gefahr für Fußballspieler nun wirklich ist, lässt sich schwer abschätzen. "Leider sind die Langzeitfolgen bei Fußballspielern nicht so gründlich erforscht wie im American Football", sagt Nelles. Angesichts der derzeitigen Erkenntnisse rät er allerdings zu Vorsichtsmaßnahmen: "Man könnte eine Überlegung anführen, dass Fußballspieler mit einem Kopfschutz ausgestattet werden. Die Gefahr, sich eine Kollisionsverletzung zuzuziehen, ist groß."
Nicht nur Profis sind von der Gefahr einer Kopfverletzung betroffen. Auf Kinder und Jugendliche trifft das ebenfalls zu. Der US-amerikanische Fußballverband hat bereits reagiert: Seit dem Jahre 2015 sind Kopfbälle bei Kindern bis zehn Jahren verboten. Zudem darf bis zur Vollendung des 14. Lebensjahres kein Kopfballtraining stattfinden.
Eine Maßnahme, die Nelle als sehr positiv empfindet: "Die Schädeldecke ist bei Kindern noch etwas weicher als bei einem Erwachsenen. Einem Kind wiederholt Schläge am Kopf auszusetzen, auch wenn es nur Kopfbälle sind, würde ich daher vermeiden."
Die Gefahr von Kopfzusammenstößen ist bei Kindern teilweise sogar größer als bei den Profis. "Aus der fehlenden Spielintelligenz, gepaart mit dem hohen Ehrgeiz, entsteht ein Risiko", weiß Tusk.
Umso wichtiger, dass Eltern auf mögliche Symptome achten. "Wenn Kinder nach dem Training oder Spiel mit Kopftrauma schläfrig und apathisch sind oder über Kopfschmerz und Übelkeit klagen, sollte dringend ein Arzt aufgesucht werden", rät Tusk.
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