Der FC Girona wirbelt die spanische Primera Division durcheinander und lässt die Top-Klubs aus Madrid und Barcelona alt aussehen. Ein ehemaliger Bayern-Spieler und ganz viel Guardiola sind die Eckpfeiler einer Erfolgsgeschichte, die aber eher nicht zum Märchen taugt.

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Am Anfang steht das Wort. Und weil dem so ist, hat Miguel Angel Sanchez Munoz einfach mal Katalanisch gelernt, als hörbares Zeichen seiner Verbundenheit zum neuen Arbeitgeber und den Menschen dort. Eigentlich kommt er ja aus Vallecas, einem Stadtteil im Südosten von Madrid. Fast 30 Jahre hat er für Rayo Vallecano gespielt, den Klub mit dem eigenwilligen Stadion, das an einem Kopfende keine Tribüne hat, sondern nur eine hoch aufgezogene Wand mit allerhand Werbetafeln darauf.

Sanchez Munoz, den alle Welt nur Michel nennt, hat Rayo auch trainiert. Erst die zweite Mannschaft, dann die Profis. Im Frühjahr 2019 haben sie ihn – die Klub-Ikone, den Aufstiegstrainer – dann aber entlassen. Rayo ist ein paar Wochen später trotzdem abgestiegen.

In Huelva ist ihm Gleiches gelungen und widerfahren: Erst der Aufstieg in die Primera Division, dann die Entlassung und am Ende auch der Abstieg seines Klubs. Seit Sommer 2021 hat Michel beim FC Girona das Sagen. Beim Klub aus der katalanischen Provinz soll er schon ein halbes Jahr später vor dem Aus gestanden haben, weil ein Abstieg in die dritte Liga bedrohlich nahe gerückt war und die Mechanismen des Geschäfts dann in der Regel greifen.

Nur dieses eine Mal gab es da eine Klubführung, die immer überzeugt war von den Qualitäten ihres Trainers. Michel blieb anders als in Vallecas und in Huelva im Amt, führte seine Mannschaft über die Playoffs in die erste Liga. Und schreibt nun mit dem FC Girona so etwas wie eine neue Erfolgsgeschichte.

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Großes Lob von Carlo Ancelotti

Nach einem guten Drittel der Saison führt die Primera Division nicht Meister Barcelona oder Real Madrid oder Atetico an, sondern der Klub aus dem 100.000-Einwohner-Städtchen im Norden Kataloniens. Elf von 13 Saisonspielen hat Girona gewonnen und nur eines verloren: Gegen Real Madrid, dem ein überragender Jude Bellingham damals genügte.

Das war Ende September und die Experten waren sich einig, dass Gironas fulminanter Lauf nun ein jähes Ende finden würde. Nach dem Madrid-Spiel hat der Underdog aber sechs Siege aneinandergereiht und die Tabellenspitze längst wieder von Real übernommen. "Girona hat es bisher besser als alle anderen gemacht: besser als wir, besser als Barca, besser als Atletico Madrid." Das sagte Real-Trainer Carlo Ancelotti vor dem Spiel seiner Mannschaft in Girona. Trotz des Sieges dürfte sich an dieser Ansicht bis heute kaum etwas geändert haben.

Girona hat die meisten Siege eingefahren und dabei die meisten Tore erzielt (31) und darf von sich behaupten, dass es den intensivsten Fußball der Primera Division spielt mit einer Mannschaft fast ohne große Namen. Der ehemalige Bayern-Spieler Daley Blind – neuer Abwehrchef und mit 33 Jahren so etwas wie der Vater der Kompanie – dürfte in Deutschland ein Begriff sein und überhaupt der bekannteste Spieler im Kader.

Die City Football Group – und Guardiola

Akteure aus neun Nationen tummeln sich da, zusammengetragen aus allen Teilen der Erde – dank tatkräftiger Unterstützung der City Football Group und der Girona Football Group. Beide halten 44,3 Prozent der Anteile am Klub, seit 2017 hat diese sehr spezielle Art der Doppelspitze im Klub das Sagen.

Die City Football Group (CFG) gehört Scheich Mansour Bin Zayed Al Nahyan, einem Mitglied der Herrschaftsfamilie von Abu Dhabi und gleichzeitig Besitzer von Manchester City. Dem Konglomerat gehört ein Dutzend angeschlossener Klubs aus der ganzen Welt an, darunter ManCity, New York City FC, Melbourne City FC, Yokohama Marinos, Montevideo City Torque, der FC Palermo – und eben Girona.

Die Girona Football Group gehört Pere Guardiola. Der Bruder von ManCity-Trainer Pep Guardiola unterhält zudem Anteile an der Spielerberater-Agentur Sports Entertainment Group. Einer ihrer Klienten: Daley Blind. Über das weltweit gespannte Netz werden in der CFG Spieler hin und her geschoben, die engen und in Pere Guardiolas Fall sogar familiären Kontakte zum großen Manchester City helfen Girona dabei exorbitant.

Über die CFG oder deren Kontakte ist nicht nur Blind in der katalanischen Provinz gelandet, sondern auch die beiden Ukrainer Artem Dovbyk und Viktor Dsygankov. Verteidiger Eric Garcia ist vom FC Barcelona ausgeliehen, spielte davor aber schon in Manchester. Dazu kommen Mittelfeldspieler Yangel Herrera und Außenverteidiger Yan Couto (beide ehemals ManCity) oder der Brasilianer Savio, der per Leihe aus Troyes gekommen war – ebenfalls ein Klub aus dem CFG-Stall.

Parallelen zum Red-Bull-System

Das alles erinnert frappierend an die Idee von Red Bull mit seinen Satelliten-Klubs und dem Transfer von Spielern im Mikrokosmos. Ein Transfermarkt im Transfermarkt, gedeckt von den Regularien des internationalen Fußballs. Deshalb bleibt ein fader Beigeschmack, taugt der spektakuläre Aufstieg des FC Girona auch nicht ganz zum Märchen.

Vielmehr ist es ein Erfolg vom Reißbrett oder aus einem Versuchslabor. An einem kleinen Standort wird dank eines engagierten Trainers mit ungewöhnlichen Methoden und einem großen Pool an schnell verfügbaren und auf dem kleinen Dienstweg transferierbaren Spielern ein wenig ausprobiert. Und wenn sich dann erste Erfolge einstellen, wird der eingeschlagene Weg weiter beschritten.

Mit entsprechendem Personal und natürlich üppigen finanziellen Ressourcen. Die sind auf dem Papier beim FC Girona zwar einigermaßen überschaubar. Der Apparat dahinter aber ist gewaltig. Und der aktuelle Erfolg deshalb auch leichter zu erklären.

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