Josip Stanisic ist beim FC Bayern München ausgebildet worden und gewann dreimal die Deutsche Meisterschaft, ehe er nun an Bayer Leverkusen verliehen wurde. Im Interview mit unserer Redaktion spricht der 23-Jährige über den Meisterschaftskampf, über seinen Weg in den Profifußball und über die Europameisterschaft 2024.

Ein Interview

Herr Stanisic, wie ungewohnt ist es für Sie, nun als Spieler von Bayer Leverkusen der große Konkurrent des FC Bayern München zu sein?

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Josip Stanisic: Eigentlich gar nicht ungewohnt, abgesehen davon, dass ich nun ein anderes Trikot trage. Wenn ich bei einer Mannschaft bin, dann will ich immer gewinnen und auch um Titel spielen. Das war und ist auch jetzt mein Anspruch hier in Leverkusen. Vielleicht hätte niemand erwartet, dass wir so eine starke Saison spielen. Aber ich bin lieber Bestandteil einer Mannschaft, die um etwas spielt und nicht irgendwo im Mittelfeld steht.

Bayer Leverkusen ist die einzige Mannschaft, die in der Bundesliga noch kein Spiel verloren hat. Auch im DFB-Pokal und in der Europa League ist Ihre Mannschaft ungeschlagen. Was macht Leverkusen in dieser Saison so stark?

Ich würde sagen, die Breite des Kaders und dass gefühlt alle immer fit sind. Bei so vielen Spielen, wie wir sie haben, braucht man die Breite im Kader. Egal wer spielt, jeder bringt Top-Leistungen.

Trainer Xabi Alonso rotiert zwischen den Wettbewerben. Sie standen in fast allen Pokal- und Europa-League-Spielen in der Startelf, in der Bundesliga hingegen nur einmal. Wie gut können Sie sich mit dieser Arbeitsteilung anfreunden?

Ich sage mal so, jeder Profi will jedes Spiel bestreiten. Ich glaube, das geht nicht nur mir so, sondern allen in diesem Klub, und das wird auch so erwartet. Aber ich spiele jedes zweite Spiel - es könnte also durchaus schlimmer sein als jetzt. Deswegen betrachte ich jede einzelne Partie als Chance, um mich zu beweisen und der Mannschaft zu helfen. Es ist natürlich auch so, dass man als Verteidiger nicht ganz so oft eingewechselt wird. Das führt dazu, dass ich dann in der Bundesliga manchmal 90 Minuten auf der Bank sitze. Das macht natürlich niemandem Spaß. Aber wie gesagt, wir haben einen breiten Kader. Ich akzeptiere die Situation, ziehe Motivation daraus und gebe mein Bestes.

Was zeichnet Xabi Alonso als Trainer aus?

Jeder weiß, was für ein großartiger Fußballspieler er gewesen ist. Davor haben wir natürlich großen Respekt. Als Trainer ist er nicht nur menschlich ein super Typ. Es ist auch beachtlich, wie er in den Besprechungen jeden Gegner analysiert und uns top auf die Spiele vorbereitet. Es ist nicht vom Himmel gefallen, dass wir jetzt so einen guten Fußball spielen. Xabi Alonso besitzt Fußball-Intelligenz, er versteht das Spiel, aber er weiß auch, dass es in manchen Spielen nicht nur auf den Fußball ankommt, sondern man auch mal dagegenhalten und vor allem kämpfen muss. Er weiß immer, worauf es in bestimmten Situationen ankommt.

Im deutschen Fußball gibt es gefühlt vor allem zwei große junge Hoffnungsträger: Florian Wirtz von Bayer Leverkusen und Jamal Musiala vom FC Bayern München. Sie haben mit beiden zusammengespielt. Was sind die Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen den beiden deutschen Nationalspielern?

Beide können sehr, sehr viel mit dem Ball anfangen. Man kann ihnen immer den Ball zuspielen und die finden immer irgendeine Lösung. Jamal kenne ich natürlich schon viel länger als Flo. Jamal ist vielleicht noch ein bisschen flinker auf den ersten paar Metern. Aber Flo macht das auch sehr gut, stellt seinen Körper rein und ist auch sehr spielintelligent. Ich glaube, das sind zwei Jungs, die dem deutschen Fußball noch sehr viel Freude bereiten werden.

"Ich habe auch ein Probetraining beim FC Bayern gemacht, aber dort hat es nicht ganz gereicht"

Ist auch die Mentalität von Musiala und Wirtz ähnlich?

Ja, beide haben immer den Drang, Tore zu schließen. Jamal ist sauer, wenn er einmal schlecht spielt - der will immer besser werden. Bei Flo ist das genauso – auch beim Training. Wenn es im Training einmal schlecht läuft, schaltet er gefühlt noch einen Gang hoch und will es umso mehr wissen. Ich finde es geil, dass sie sich nicht auf ihrer fußballerischen Qualität ausruhen, sondern auch Kämpfer sind.

Sprechen wir über Ihren Werdegang: Was viele Fans vermutlich gar nicht wissen, ist, dass Sie den Großteil Ihrer Jugendzeit gar nicht beim FC Bayern verbracht haben, sondern bei 1860 München. Wie kam es dazu?

Ich habe in der U9 oder U10 auch mal beim FC Bayern ein Probetraining gemacht, aber dort hat es nicht ganz gereicht. Dafür wurde ich bei 1860 aufgenommen. Es gab mit 12 oder 13 Jahren noch einmal die Möglichkeit, zum FC Bayern zu wechseln. Aber wir hatten uns dagegen entschieden, weil die Chance einfach sehr gering ist, dort Profi zu werden. Aber in der U15 lief es bei 1860 nicht mehr so gut für mich. Ich hatte nur noch wenig gespielt, war schmächtig und noch nicht so in die Höhe gewachsen. Daher wurde ich nicht in die U16 übernommen. Da war ich sehr geknickt, weil ich dachte, das wäre vielleicht das Ende.

Wie ging es nach diesem Rückschlag weiter?

Ich bin zum SC Fürstenfeldbruck gewechselt, weil die auch für ihre gute Jugendarbeit bekannt sind – außerdem hat ein Kumpel von mir dort gespielt. In Fürstenfeldbruck fand ich den Spaß wieder zurück, habe viel gespielt und entwickelte mich weiter. Dann wurde ich vom FC Bayern gesichtet und zu einem Probetraining eingeladen. Letztendlich war es Tim Walter (heute HSV-Trainer, damals Jugendtrainer vom FC Bayern, Anm.d.Red.), der mich für die Jugend des FC Bayern haben wollte.

Wie verlief Ihre Jugendzeit beim FC Bayern?

In der U19 lief es ganz gut. Ich habe zwar zunächst nicht immer gespielt, weil man sich erst einmal zurechtfinden und an die Qualität gewöhnen muss. Aber ich habe nie aufgegeben. Im zweiten Jahr war ich dann Kapitän der U19, weil viele andere Spieler bereits zu den Profis hochgezogen wurden. Ich hingegen war kein Spieler, der irgendwelche Mannschaften übersprungen hat. Nach der U19 habe ich zwei Jahre für die 2. Mannschaft gespielt. In meinem ersten Jahr wurden wir in der 3. Liga mit Trainer Sebastian Hoeneß (heute Trainer des VfB Stuttgart, Anm.d.Red.) Meister. Leider sind wir ein Jahr später abgestiegen, weil viele Spieler uns verlassen hatten.

Wie ging der Übergang zu den Profis des FC Bayern vonstatten?

Für mich war damals klar, dass ich meinen Vertrag beim FC Bayern verlängere, aber wahrscheinlich verliehen werde. Ich sollte nach Heidenheim ausgeliehen werden, ich war auch schon dort vor Ort und hatte mit dem Trainer gesprochen. Allerdings sollte ich die Vorbereitung noch bei den Profis des FC Bayern mitmachen. Dann verletzte sich Benjamin Pavard. Daher hatte Julian (Nagelsmann) zu mir gesagt, dass ich auf jeden Fall bleiben solle. Ich bekam direkt am Anfang der Saison meine Chance, habe viele Spiele gemacht und auch die Chance genutzt. Ich hatte mich mit kontinuierlich guten und stabilen Leistungen in die Mannschaft gespielt und im Profikader gefestigt.

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"Was dann im Sommer passiert, wird man sehen"

Was war die größte Herausforderung, als Sie erstmals zu den Profis des FC Bayern hochgezogen wurden und plötzlich an der Seite von Weltklasse-Spielern trainierten?

Das Tempo. Damit meine ich nicht, dass die Spieler so schnell laufen, sondern dass sie einfach im Kopf extrem schnell sind. Ich kann mich gut daran erinnern, als ich erstmals eine Vorbereitung bei den Profis mitgemacht hatte: Als ich damals nach Hause kam, war ich im Kopf total müde. Meine Beine waren nicht das Problem, sondern der Kopf. Ich musste mich erst einmal mental daran gewöhnen, dass das Spiel schneller abläuft als in der Jugend oder bei der 2. Mannschaft.

Ist es für Sie klar, dass Sie nach dieser Saison zum FC Bayern zurückkehren? Oder könnten Sie möglicherweise auch in Leverkusen bleiben oder zu einem anderen Verein wechseln?

Ich bin ja für dieses Jahr ohne Option verliehen worden. Deswegen gehe ich natürlich zurück zu Bayern. Aber man weiß ja nie, was dann im Sommer passiert. Ich denke auch gar nicht daran. Ich bin jetzt hier, will mein Ding hier durchziehen, möglichst viel spielen, der Mannschaft helfen und mich auch persönlich weiterentwickeln. Was dann im Sommer passiert, wird man sehen.

Sprechen wir abschließend noch einmal über die Europameisterschaft 2024. Sie belegten mit Kroatien bei der Weltmeisterschaft 2022 Platz 3. Wie schätzen Sie die Chancen Ihrer Mannschaft bei der EM ein? Mit Spanien, Italien und Albanien könnte Ihre Gruppe kaum stärker besetzt sein…

Ich glaube, dass wir eine gute EM spielen werden. Natürlich haben wir eine schwierige Gruppe erwischt. Es kommt also darauf an, dass man die Gruppenphase übersteht – egal wie. Und in den K.O.-Spielen kann dann immer alles passieren, das kennen wir Kroaten vielleicht am besten. Ich glaube, dass wir als Mannschaft sogar besser gegen gute Gegner agieren, die ebenfalls Fußball spielen wollen. Dann bekommen wir mehr Räume und sind torgefährlicher. Ich glaube jedenfalls, dass wir sehr gute Chancen haben, in der Gruppe auch weiterzukommen.

Und wie schätzen Sie die deutsche Nationalmannschaft ein? Nach den letzten Ergebnissen ist die Stimmung hierzulande sehr gedrückt…

Ich glaube, dass man Deutschland nie abschreiben darf. Klar, in den letzten Jahren lief es nicht besonders rund. Solche Phasen hat, glaube ich, jede Nation einmal. Deswegen darf man das jetzt nicht dramatisieren. Sicherlich waren die Ergebnisse für die deutschen Fans zuletzt ein Schock, weil man es gewohnt ist, um Titel mitzuspielen und jedes Spiel zu gewinnen. Aber wenn ein Umbruch stattfindet, ist es ganz normal, dass es auch einmal hakt. Ich glaube, dass Deutschland die Gruppe überstehen wird. Und in den K.O.-Spielen haben sie dann genauso wie wir die Chance, gegen jeden Gegner zu gewinnen. Ich sehe keine Übermannschaft bei der EM, gegen die niemand eine Chance hat. Daher bin ich guter Dinge, dass auch Deutschland gut abschneiden kann.

Über den Gesprächspartner

  • Josip Stanisic (Jahrgang 2000) durchlief die Jugend beim TSV 1860 München und dem FC Bayern München. Beim FC Bayern wurde er Profi und absolvierte 41 Pflichtspiele. Der Außenverteidiger gewann dreimal die Deutsche Meisterschaft. Für die laufende Saison wurde er an Bayer Leverkusen verliehen. Mit der Nationalmannschaft von Kroatien landete Stanisic bei der Fußball-Weltmeisterschaft 2022 auf dem 3. Platz.
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