Max Kruse ist derzeit der beste offensive Mittelfeldspieler Deutschlands und in der Form seines Lebens - bei Joachim Löw und in der Nationalmannschaft aber weiter kein Thema. Warum eigentlich?

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Sein vorläufiges Ende in der Nationalmannschaft besiegelte eine Pressemitteilung, die so verkopft daherkam wie die Auftritte der deutschen Nationalmannschaft zuletzt.

"Nach Einschätzung des Bundestrainers sei Max Kruse seiner Vorbildrolle als Nationalspieler bei verschieden Vorfällen nicht nachgekommen und habe sich unprofessionell verhalten", war zu lesen.

Joachim Löw schickte den damaligen Wolfsburger 2016 in den Tagen vor den Testspielen gegen England und Italien wieder nach Hause.

Der Bundestrainer schob noch einige eigene Worte nach. Er wolle Spieler, die sich auf den Fußball und die damals anstehende Europameisterschaft konzentrieren, Kruse habe sich zum wiederholten Male unprofessionell verhalten, Löw wolle das nicht weiter tolerieren und akzeptieren. "Wir brauchen Spieler, die konzentriert und fokussiert sind."

Löws Entscheidung ist fast auf den Tag genau drei Jahre her - und Max Kruse ward seit seiner Suspendierung nicht wieder im Dunstkreis der deutschen Nationalmannschaft gesehen.

Löw gab die Aufgebote für den Confed Cup 2017 und die Weltmeisterschaft 2018 bekannt. Beide Male fehlte Kruse in der Auflistung - obwohl er bei seinem neuen Klub Werder Bremen aufgrund seiner Leistungen durchaus ein geeigneter Kandidat gewesen wäre.

In Bremen erwachsen geworden

"Die Tür für Max ist nicht zu. Das, was war, spielt keine Rolle mehr", sagte der Bundestrainer im Rahmen der Kadernominierung für den Konföderationenpokal. Aber nun, im Frühjahr 2019, liegt die Vermutung nahe, dass doch noch einiges von damals eine Rolle spielt. Zumindest für Joachim Löw.

Max Kruse ist seit dem vergangenen Herbst einer der besten deutschen Offensivspieler der Bundesliga. Nach einer letzten persönlichen Verfehlung - Kruse kam mit Übergewicht aus der Sommerpause und hatte damit bis zur Länderspielpause im Oktober zu kämpfen - ist der mittlerweile 31-Jährige wieder voll in der Spur und bei und für seinen Klub so wertvoll wie noch nie.

Kruse ist in Bremen nicht nur in die Rolle des Kapitäns geschlüpft, sondern geht darin sowohl auf als auch abseits des Platzes regelrecht auf. Kruse ist Anführer und Sprachrohr seiner Mannschaft, dabei engster Verbindungsmann zu Trainer Florian Kohfeldt und auch eingebunden in die Erarbeitung spieltaktischer Konzepte und Maßnahmen.

Nach seiner jüngsten Gala gegen Bayer Leverkusen wollten die Lobeshymnen auf Kruse gar mehr enden. Er fungiere als "Groß- wie als Kleinhirn seiner Mannschaft", schrieb die "Süddeutsche Zeitung", "seine Spielintelligenz ist faszinierend." Kruse ist in Bremen erwachsen geworden.

Löws 4-3-3 wäre perfekt

In den Top Ten der Scorerliste in der Bundesliga tummeln sich nur drei Spieler mit einem deutschen Pass. Hinter Marco Reus (15 Tore, neun Assists) und Kevin Volland (elf Tore, sieben Assists) liegt Kruse auf Rang acht (acht Tore, neun Assists). Damit hat der Bremer acht Spieltage vor Schluss schon mehr Scorerpunkte gesammelt als in der gesamten vergangenen Saison.

Und dass es mit Kruse ein Spieler eines - zumindest tabellarisch - eher Mittelklasseteams unter die besten Zehn schafft, der erwiesenermaßen nicht so viele gute Mitspieler um sich weiß wie Reus oder Volland, stellt seine Leistung mit Nachdruck heraus. Die deutsche Nationalmannschaft hat davon aber weiterhin nichts.

Vergangenen Donnerstag hatte der Bundestrainer einen Neustart ausgerufen. Auf einer Pressekonferenz bezog Löw Stellung zum Beben nach der Ausbootung der verdienten Spieler Jerome Boateng, Mats Hummels und Thomas Müller.

Gleichzeitig stellte er seine Pläne für die Zukunft vor. Mit einem anderen, schnelleren, variableren Fußball. Mit neuen Ideen im Ballbesitz und gegen den Ball. Mit ein paar Neulingen im Kader. Aber eben ohne Kruse.

Dabei würde Löws Konzept eigentlich perfekt zu den Stärken Kruses passen. In einem 4-3-3 soll die Nationalmannschaft künftig ihre Gegner bespielen, mit mehr Umschaltfußball als bisher, ohne dabei die generelle Dominanz und auch den Ballbesitzfußball der vergangenen Jahre ganz zu vergessen.

Im Grunde sind das Parameter wie jene, die Florian Kohfeldt bei Werder Bremen definiert. Etwas überspitzt formuliert soll die Nationalmannschaft in Zukunft ein bisschen so spielen wie Werder - da ergäbe es Sinn, den dafür prädestinierten Spieler zu nominieren.

Es gibt keinen Besseren

In Deutschland gibt es derzeit keinen anderen Spieler, der die Position der falschen Neun so geschickt interpretiert wie Kruse, der mal Mittelstürmer und dann wieder Regisseur ist, plötzlich als linker Flügelspieler auftaucht und für den Gegner nicht greifbar ist.

Mit seinen ausweichenden Bewegungen reißt Kruse enorme Löcher in gegnerische Abwehrreihen, ist sowohl im Dribbling als auch im Passspiel sicher und verliert so gut wie keinen Ball. Dazu kommt diese spezielle Schlitzohrigkeit, die man entweder hat oder eben nicht.

Selbst Mario Götze kann da nicht mithalten - und Götze spielt beim BVB eine wahrlich starke Saison. Aber auch der Dortmunder ist ja von Löw nicht nominiert worden, vielleicht benötigt Löw diese Art Spieler momentan einfach nicht.

Ein wenig Reibung könnte der Mannschaft nicht schaden. Gerade jetzt, wo sich nicht nur eine neue Spielidee, sondern auch eine neue Hierarchie herauskristallisieren soll.

Aber so hat Löw noch nie funktioniert: Der Bundestrainer lässt sich nicht vom externen Druck leiten oder verfährt nach dem Muster, immer nur die besten Spieler des Landes zu nominieren.

Löw ist auf eine gewisse Harmonie und die Mischung innerhalb der Gruppe bedacht. Nur so funktioniert aus seiner Warte das Biotop Nationalmannschaft - und sehr wahrscheinlich wird das auch bis zu seinem letzten Tag als Bundestrainer so bleiben.

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