• Am Samstag absolviert die deutsche Nationalmannschaft ein Freundschaftsspiel gegen Israel. Grund genug, um einmal nachzuforschen: Wie steht es um das Problem des Antisemitismus im deutschen Fußball?
  • Beschimpfungen, Beleidigungen und Angriffe gehören für viele jüdische Fußballer und Sportler noch immer zum Alltag.
  • Makkabi Deutschland-Präsident Alon Meyer nimmt die Menschen, aber auch die Verbände in die Pflicht: "Was zählt, ist der gelebte Alltag".

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"Drecksjude" gehört dazu. "Man hat wohl vergessen, euch zu vergasen" ebenfalls. Außerdem haben "die Scheiß-Juden den Schiedsrichter bezahlt", der doch bitte sein "Juden-Trikot ausziehen" soll. Und sowieso: "Alle Juden bekommen immer alles vom Staat in den A…. geschoben." Es sind Zitate, die betroffen machen, und sie fallen laut der Studie "Zwischen Akzeptanz und Anfeindung" der Initiative "Zusammen1 – Für das, was uns verbindet" auf deutschen Fußballplätzen. Sie zeigen: Antisemitismus im Sport ist Alltag - vor allem im Fußball.

Hinter der Studien stehen der jüdische Turn- und Sportverband Makkabi Deutschland in Zusammenarbeit mit dem Zentralrat der Juden in Deutschland und der Jüdischen Gemeinde Düsseldorf. Makkabi Deutschland hat 5.500 Mitglieder, aufgeteilt auf 39 Ortsverbände. Von den rund 300 befragten jüdischen und auch nichtjüdischen Sportlern mehrerer Makkabi-Ortsvereine waren 39 Prozent beim Sport von einem antisemitischen Vorfall betroffen. Bei den Fußballern waren es sogar 68 Prozent, mehr als die Hälfte davon mehrfach.

Wichtige Studie aus dem Jahr 2021

"Angehörige der Fußballabteilung sind demnach fast 18 Mal stärker gefährdet als die Mitglieder der sonstigen Abteilungen", heißt es in der Studie. Denn Antisemitismus haben 49 Prozent der Befragten auch ohne Makkabi-Bezug im Sport miterlebt, der Anteil der Angehörigen der Fußballabteilung liegt mit 63 Prozent auch hier höher als bei den Mitgliedern der sonstigen Sparten (37 Prozent).

Die Studie wurde vor einem Jahr veröffentlicht und hat weder etwas von ihrer Aktualität noch von ihrer Eindringlichkeit verloren. Vor dem Länderspiel der deutschen Nationalmannschaft am Samstag in Sinsheim gegen Israel rückt das Problem des Antisemitismus im Fußball wieder verstärkt in den Blickpunkt, obwohl er für viele Juden zum Alltag gehört, inzwischen auch wieder gehäuft.

"Das Problem ist in den letzten Jahren erheblich gestiegen, die Hemmschwelle ist viel niedriger geworden", sagt Alon Meyer, Präsident von Makkabi Deutschland, bei Sky. "Die Leute sagen viel schneller etwas, viel schlimmer. Die Anfeindungen werden immer aggressiver und passieren öfter." Beleidigungen und Beschimpfungen sind das eine, Handgreiflichkeiten oder Attacken mit Messern oder Baseballschlägern sind allerdings ebenfalls ein Bestandteil der traurigen Realität. Und das passiere weitestgehend im Fußball, so Meyer, vor allem in den unteren Klassen.

Meyer: Situation ist inakzeptabel

Die Situation für Jüdinnen und Juden auf deutschen Fußballplätzen sei "inakzeptabel", sagte Meyer den Zeitungen der Funke Mediengruppe: "Vor allem, wenn es im Nahen Osten eskaliert, dann ist es hier besonders schrecklich. Spielen wir dann am Wochenende in der Kreisliga gegen einen Gegner mit überwiegend muslimischen Spielern, dann ist das Stress, Hektik, Aggression."

Seit der Flüchtlingswelle 2015 sei es schlimmer geworden, erklärt Meyer. Hinzu komme "der Einfluss der radikalen Parteien im Bundestag", die auch in immer mehr Landtagen zu finden seien, so der 47-Jährige. "Dass dies eine Wirkung auf unsere Gesellschaft hat, haben wir gespürt."

"Ich war ein Wrack, zum Tode verurteilt": Holocaust-Überlebende über die Befreiung des KZ Auschwitz

Eva Umlauf ist eine der jüngsten Holocaust-Überlebenden. Als Kleinkind kam sie in das Vernichtungslager Auschwitz. "Ich war ein Wrack, zum Tode verurteilt", sagt die gebürtige Slowakin im Gespräch mit unserer Redaktion. Wir haben mit ihr über die Deportation, ihren Umzug ins "Land der Täter" und neuen Antisemitismus gesprochen.

Verbände kämpfen gegen Antisemitismus

Der Kampf gegen Antisemitismus findet auf Verbandsebene immerhin längst statt. Der Deutsche Fußball-Bund (DFB) unterstützt die erwähnte Makkabi-Initiative, er hat Anlaufstellen für Gewalt- und Diskriminierungsvorfälle in allen 21 Landesverbänden installiert. Die Verleihung des Julius Hirsch Preises (seit 2005), die jährliche Israelreise der U18-Nationalmannschaft mit dem Besuch der Internationalen Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem oder der NIE WIEDER-Aktionstag, der am Jahrestag der Auschwitz-Befreiung stattfindet, gehören zu weiteren Aktivitäten des Verbandes.

Die Deutsche Fußball Liga (DFL) kooperiert jetzt erstmals mit dem World Jewish Congress (WJC) und dem Zentralrat der Juden in Deutschland, am 30. März findet unter dem Titel "Antisemitismus und Profifußball: Herausforderungen, Chancen, Netzwerk" eine gemeinsame Veranstaltung in Dortmund statt. Makkabi Deutschland arbeitet an einem Meldesystem für antisemitische Vorfälle, das auf den Internetseiten der Klubs installiert werden soll, damit Diskriminierung mit nur einem Klick und anonym gemeldet werden kann.

"Das Erinnern an die gemeinsame Geschichte und das Mahnen ist für uns sehr wichtig", sagte DFB-Manager Oliver Bierhoff vor dem Länderspiel. Im Vorfeld wurden die U13-Junioren des TuS Makkabi Frankfurt – dem größten Ortsverein unter dem Dachverband - eingeladen, sie sind im Rahmen einiger Präventionsprojekte gegen Rassismus und Antisemitismus eingebunden.

Reichen die Initiativen?

Doch reicht das alles? Die Studie sagt "Nein": Lediglich 27 Prozent der Befragten sehen den organisierten Sport auf den Umgang mit Antisemitismus vorbereitet. Es habe sich unheimlich viel getan, sagt Meyer in einem DFB-Video, doch man stehe erst am Anfang, "es liegt noch ein langer Weg vor uns." Er mahnt: "Was zählt, ist der gelebte Alltag auf und neben dem Sportplatz. Wir brauchen Menschen, die sich einsetzen, wenn andere angegriffen werden." Und keine Floskeln.

Denn Antisemitismus ziehe sich durch wie ein roter Faden, von der Kreisliga bis zu den Profis, so Meyer. "Wir müssen den Sport nutzen, um positive Akzente zu setzen, um dem, was wir gerade erfahren, entschieden entgegenzutreten." Die anständige Mehrheit müsse aus der Komfortzone heraus, so Meyer.

Möglichkeiten gibt es einige. Bereits in der Schule könne das Thema Antisemitismus "positiv angegangen werden", indem man das jüdische Leben mit all seinen Facetten in den verschiedensten Fächern aufgreife, so Meyer. Wichtig wäre zudem eine Aufklärungsarbeit vor Ort, indem auf die Vereine im Vorfeld zugegangen wird oder im Nachhinein nach einem Vorfall durch einen Besuch der Anne-Frank-Bildungsstätte, wie Meyer vorschlägt: "Dort werden die Täter aufgeklärt, warum es Israel gibt, warum Deutschland und das Judentum in einer besonderen Beziehung stehen".

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Verbände noch mehr gefordert

Meyer nimmt aber auch die Verbände in die Pflicht, wie den DFB oder den Deutschen Olympischen Sportbund (DOSB), die "mit den finanziellen Möglichkeiten, die ihnen zur Verfügung stehen, die guten Bewegungen wirklich unterstützen" sollten, so Meyer: "Sie müssen das Potenzial von Initiativen wie ‚Zusammen1‘ erkennen und diese nicht nur mit Worten, sondern mit Taten aktiv unterstützen."

Antisemitismus mag vor allem im Fußball ein Problem sein. Der Fußball war aber – im positiven Sinne - immer auch "Vorreiter, das ist die Stärke des Sportes", so Meyer: "Er ist schon immer ein Schlüssel für Wandel." Dieser Schlüssel muss nur richtig genutzt werden. Und das nicht nur rund um ein Länderspiel.

Verwendete Quellen:

  • Meyer bei Sky
  • facebook.com: Meyer beim DFB
  • zusammen1.de: Die Studie "Zwischen Akzeptanz und Anfeindung"
  • nrz.de: Meyer im Funke-Interview
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