• Zweitliga-Profi Mario Vuskovic droht wegen Epo-Dopings eine Sperre von bis zu vier Jahren.
  • Doch es herrschten Zweifel, ob die entnommene Probe tatsächlich positiv ist.
  • Am 10. März soll eine Entscheidung vor dem DFB-Sportgericht fallen – Ausgang komplett offen.
Eine Analyse
Dieser Text enthält eine Einordnung aktueller Ereignisse, in die neben Daten und Fakten auch die Einschätzungen von Andreas Reiners sowie ggf. von Expertinnen oder Experten einfließen. Informieren Sie sich über die verschiedenen journalistischen Textarten.

Die Folgen können fatal sein. Ein Desaster, eine Katastrophe, ein Drama. Zu viel steht auf dem Spiel, wenn am 10. März vor dem Sportgericht des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) die dritte Anhörung im Dopingfall Mario Vuskovic stattfindet. Der Profi des Zweitligisten Hamburger SV war im September 2022 positiv auf das Blutdopingmittel Epo getestet worden.

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Er steht deshalb möglicherweise vor den Trümmern seiner Karriere. Oder aber die Welt-Dopingagentur Wada vor der Frage, ob ihre Methode, Epo nachzuweisen, zu ungenau und damit möglicherweise überholt ist. Dabei geht es um nicht weniger, als um die Glaubwürdigkeit eines ganzen Systems.

"Der Fall wirft Fragen auf, die man diskutieren muss und die für den Gesamtumgang mit Epo von enormer Bedeutung sind", stellt Fritz Sörgel, der Leiter des Instituts für biomedizinische und pharmazeutische Forschung in Nürnberg, im Gespräch mit unserer Redaktion klar. Eine Frage kann er im Vorfeld bereits beantworten. Blutdoping, bislang vor allem bekannt aus dem Epo-verseuchten Radsport, erhöht die Ausdauer und macht "im Fußball auch Sinn. Das ist überall so, wo Ausdauer gefragt ist", so Sörgel.

Vuskovic ist aber der erste und bislang einzige nachgewiesene Fall im Fußball, "was mehr dafür spricht, dass es im Fußball nicht verwendet wird und keine Rolle spielt", so der Pharmakologe.

Nicht aus Versehen

Der Fall Vuskovic ist nicht nur aufgrund seiner Einzigartigkeit speziell, vor allem ist er komplex. "Er tut mir leid", sagt Sörgel. "Denn wenn er es gemacht hat, ist die Frage, wo er es herhat und wer ihn da beraten hat. Es war für mich von Anfang an eine suspekte Geschichte, die mich schockiert hat." Denn Blutdoping durch Epo passiert nicht aus Versehen, es muss injiziert werden.

Vuskovic wurde nach dem Training am 16. September 2022 positiv getestet, die B-Probe bestätigte das Ergebnis. Deshalb ist der 22-Jährige aktuell gesperrt, darf auch nicht mit dem Zweitligisten Hamburger SV, bei dem sein Vertrag bis 2025 läuft, trainieren. Er beteuert seine Unschuld.

Seine Anwälte greifen derweil das Kontrollsystem der Wada in seinen Grundfesten an. Vier unabhängige Gutachter erklärten die Probe, die im Labor im sächsischen Kreischa untersucht wurde, für falsch positiv. Einer davon, der Endokrinologe Lorenz Hofbauer, bezifferte die Wahrscheinlichkeit, dass die Probe falsch positiv ist, "auf 80 bis 90 Prozent".

Wilder Schlagabtausch der Argumente

An den ersten beiden Verhandlungstagen warfen sich die Parteien deshalb vor allem Argumente für die eigene Sichtweise oder gegen die andere um die Ohren. So wurde die angeblich statistisch belegte Quote von 43 falsch-positiven Ergebnissen pro 1.000 Tests auf Epo mit dem Jahresbericht der Nationalen Anti-Doping-Agentur (NADA) gekontert, der für 2021 insgesamt 4.355 Epo-Tests ohne ein einziges positives Ergebnis aufweist. Auch eine Unterbrechung der Kühlkette als mögliche Ursache wurde von Institutsleiter Sven Voss nachvollziehbar widerlegt.

Das große Problem aber: Es gibt bei dem von der Wada vorgeschriebenen SAR-PAGE-Verfahren kein Schwarz oder Weiß beim Epo-Nachweis, kein Grün für unschuldig oder Rot für schuldig. Sehr vereinfacht gesagt: "Bei dem Verfahren versucht man im Labor, aus dem Urin das künstliche Epo herauszufiltern. Diese Probe wird mit Gel auf eine Bahn aufgetragen und mit einer Probe ohne künstliches Epo verglichen, um herauszufinden, ob Unterschiede festzustellen sind", erklärt Sörgel.

Augenmaß und Interpretationssache

Der Rest ist buchstäblich Augenmaß, Interpretationssache durch ausgebildete Experten, von denen es nicht so viele gibt. Viermal wurde das Verfahren in Kreischa wiederholt, abgesichert durch ein Sechs-Augen-Prinzip durch drei Experten. Das Problem des Augen-Prinzips erklärt Sörgel mit einem zum Alltag gewordenen Corona-Schnelltest, den inzwischen wohl jeder kennt. Für den einen ist der zweite Strich erkennbar, für den anderen ist der Test noch negativ. Augenmaß und Interpretationssache eben.

Wie sicher die Wada-Methode tatsächlich ist, "kann man nicht sagen, denn die Details, die man dazu bräuchte, gibt die Wada nicht heraus. Denn dann werden die Leute darin herumstochern und sagen‘ Hier ist euer Problem‘." Die Wada sei "ein Geheimklub", kritisiert Sörgel, sie müsse sich aber – auch unter dem Druck der Medien und der Öffentlichkeit - täglich beweisen und sich fragen lassen, ob alles richtig laufe. "Man kann nicht sagen, dass sie komplett versagt, viele Dinge laufen richtig", sagt der Dopingexperte. "Aber in diesem Fall verteidigt sie ihr eigenes Feld, weil die Konsequenzen für sie verheerend wären. Das darf es aber auch sein. Denn die Methode muss jetzt auf den Prüfstand gestellt werden", fordert Sörgel.

Hinzu kommen auch Dinge, die das Ergebnis verfälschen können, wie hohe körpereigene Epo-Werte. Bei Vuskovics Urinprobe war ein relativ hoher Anteil von körpereigenem Epo festgestellt worden, wie der "kicker" berichtet. "Man sieht bei der Probe schon, dass etwas verändert ist", erklärt Sörgel. "Das reicht aber nach Meinung der Gutachter nicht aus." Für Sörgel wiederum ist das Quartett "ausreichend. Sie kommen aus völlig verschiedenen Gebieten und haben mit Doping nichts zu tun, sie sind unabhängig."

Fall Bol nährt die Zweifel

Parallel nährt ein weiterer Fall aus Australien die Zweifel an der Vuskovic-Probe. Denn nachdem der Mittelstreckenläufer Peter Bol positiv auf künstliches Epo getestet wurde, gab es bei seiner B-Probe einen "atypischen Fund", wodurch kürzlich seine Sperre aufgehoben wurde. "Dass der Sportler freigesprochen worden ist, sagt eigentlich alles aus", betont Sörgel.

Das DFB-Sportgericht versuchte im Fall Vuskovic daher das Nachvollziehbare: ein weiteres unabhängiges Gutachten. Wenig nachvollziehbar aber, dass damit Professor Jean-Francois Naud aus Kanada beauftragt wurde, der wie auch Voss zur achtköpfigen "EPO Working Group" der Wada gehört. Wie die "Süddeutsche Zeitung" berichtet, hatte Naud dann auch kein neues Gutachten erstellt, sondern die Arbeit der Kollegen in Kreischa abgesegnet, weil sie die Richtlinien eingehalten hätten. Damit war das Thema für ihn erledigt. "Wenn du den Sumpf trockenlegen willst, darfst du nicht die Frösche fragen", sagt Sörgel dazu. "Ich kann von der Wada keine C-Probe erwarten, mit der sie die eigene Methode möglicherweise ad absurdum führt."

Massenspektrometrie wäre eine Alternative

Was wäre die Alternative? "Den größten Teil der Dopingsubstanzen kann man mit Massenspektrometrie messen. Das ist der Goldstandard, weil man damit einen bestimmten Stoff sehr spezifisch und ohne großes Risiko, danebenzuliegen, bestimmen kann", sagt Sörgel. Das Problem: Es ist eine aufwändige und teurere Methode, die längst nicht jedes Labor durchführen kann. Eine Möglichkeit, so Sörgel: "Die Analyse zentralisieren. Doch in dem ganzen System spielt die Politik spielt eine große Rolle, Geld natürlich auch, aber auch Egos."

Dabei geht es nicht nur um A- und B-Proben und den wichtigen Kampf gegen Doping, sondern auch um Sportler-Schicksale, um Karrieren. Weshalb ein positives Ergebnis hieb- und stichfest sein sollte. Was die aber offenbar angreifbare Methodik der Wada für frühere Fälle bedeutet, mag man sich gar nicht vorstellen. "Zu sagen, dass niemals jemand zu Unrecht verurteilt wurde, ist falsch. Es wird Fälle geben", sagt Sörgel. Wie viele, ist Spekulation. Doch es gibt sie.

Der deutsche Crossläufer Benedikt Karus wurde zum Beispiel 2015 wegen Blutdopings gesperrt, eine von ihm initiierte massenspektrometische Untersuchung ergab ein negatives Ergebnis, das die Nada aber nicht akzeptierte. Wie die "SZ" berichtet, gab es bei einem weiteren Fall, beim Tschechen Woytech Sommer, 2018 am Ende eines langen Verfahrens einen Deal mit Verschwiegenheits-Anordnung: Die Aufhebung des Freispruchs, wobei Sommer trotzdem wieder starten durfte. Denn klar: Der Ruf der Dopingbehörde steht bei jedem Fehler auf dem Spiel.

"Riskant und gewagt"

Vuskovic hilft das alles im Moment nicht, er muss hoffen, dass das DFB-Sportgericht trotz der Wada-Absage für den 10. März, wenn das Urteil gefällt werden soll, im Idealfall eine unabhängige C-Probe durchführen lässt, die zu seinen Gunsten ausfällt. Denn für ihn geht es um seine Zukunft als Fußball-Profi, eine Sperre von vier Jahren würde seine Karriere mit einem Schlag beenden.

"Ihn mit dieser Methodik eindeutig schuldig zu sprechen, ist riskant und gewagt", sagt Sörgel. Ein Freispruch wiederum dürfte die Doping-Methodik auf den Prüfstand stellen. Es steht viel auf dem Spiel.

Über den Experten:
Fritz Sörgel ist Professor für Pharmakologie und seit 1987 Leiter des Instituts für biomedizinische und pharmazeutische Forschung in Nürnberg. Für seine Arbeit in der Antibiotikaforschung und der Entwicklung eines Programms zur Förderung von Gymnasiasten in den Naturwissenschaften erhielt er 2007 das Bundesverdienstkreuz am Bande.
Verwendete Quellen:
  • "sueddeutsche.de": Der Ruf der globalen Dopinganalytik steht auf dem Spiel
  • "kicker.de": Fall Vuskovic: Verlängerung und neuer Streit
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