Lothar Matthäus tauchte lange eher im Boulevard und auf den Klatsch-und-Tratsch-Seiten auf und wurde dafür von vielen belächelt. Mittlerweile ist ihm aber eine erstaunliche Wandlung zum respektierten TV-Experten gelungen. Wie er das geschafft hat, erklärt ein Experte im Gespräch mit unserer Redaktion.

Eine Analyse
Dieser Text enthält eine Einordnung aktueller Ereignisse, in die neben Daten und Fakten auch die Einschätzungen von Andreas Reiners sowie ggf. von Expertinnen oder Experten einfließen. Informieren Sie sich über die verschiedenen journalistischen Textarten.

Lothar Matthäus hatte genug. Es reichte ihm, endgültig. Gerade war seine vierte Ehe mit Liliana in die Brüche gegangen, ausgetragen über den Boulevard, als Schmierentheater des Sommers 2010. Mit Streit, Seitensprüngen und Lügen und vielen daraus resultierenden, negativen Schlagzeilen.

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Deshalb wollte Matthäus etwas radikal ändern. "Ein Lothar Matthäus gehört in den Sportteil und nicht auf die Klatschseiten. Daran arbeite ich", sagte er vollmundig und für die damalige Zeit üblich in der dritten Person. Denn der deutsche Rekordnationalspieler und frühere Weltfußballer war dabei, sein Denkmal dauerhaft zu zerstören. Mit vielen unüberlegten und flapsigen Sprüchen, mit Doku-Soaps oder VIP-Sendungen hatte er es geschafft, seinen exzellenten Ruf als lebende Fußball-Legende zu demolieren.

In seiner damaligen, etwas schiefen Logik kündigte er seinen Wandel natürlich über den Boulevard an. Doch rückblickend muss man sagen: Matthäus hat Wort gehalten. Seine Veränderung von der manchmal peinlichen und auch belächelten Skandalnudel zum seriösen und vielleicht derzeit auch führenden Fußball-Experten Deutschlands ist beachtlich.

Das Geheimnis des Erfolgs: Matthäus spricht über Fußball

Denn Matthäus macht inzwischen das, was er am besten kann: über Fußball sprechen. Und das fachlich fundiert und auf den Punkt. Kritisch. Mit offenem Visier. Seriös. Ein Wort, das damals, bevor Matthäus beschloss, wieder mehr im "kicker" als in der "Gala" oder der "Bunte" aufzutauchen, in seinem Zusammenhang vergleichsweise selten genutzt wurde.

Heute ist das anders, ihm ist als Fußball-Fachmann eine Art Rehabilitation gelungen. "Er ist sehr strukturiert und professionell, bereitet sich intensiv vor, er zeigt klare Kante. Er ordnet die Dinge seriös, authentisch, bodenständig und klar ein und ist dabei sehr stark am Fußball selbst dran, es ist wenig Show und Boulevard dabei", analysiert Sportökonom und Kommunikationswissenschaftler Christoph Bertling von der Sporthochschule Köln im Gespräch mit unserer Redaktion den "neuen" Lothar Matthäus: "Er ist darauf konzentriert, was das Spiel ausmacht. Er geht mit der Zeit und mit dem Spiel, was die Expertise noch glaubwürdiger macht."

Fifa-Weltelf hat "a lot of offenders"

Nun legt man einen Ruf aber nicht einfach so ab, wie man ein Trikot auszieht. Noch heute wird "Loddar" oft belächelt, wenn er seinen fränkischen Akzent auspackt und die Konsonanten T und P verschwinden und durch D und B ersetzt werden.

Oder wenn er wie früher in seinem ausbaufähigen Englisch ("I hope, we have a little bit lucky") parliert. 2022 sah er in der Fifa-Weltelf "a lot of offenders". Was übersetzt keine Offensivspieler, sondern Straftäter sind. Doch was früher für Kopfschütteln oder Unverständnis gesorgt hätte, ist heute Kult. "Das macht ihn markanter", sagt auch Bertling. "Als Kommunikationsberater würde ich ihm raten, dass er daran nicht arbeiten und es nicht abstellen sollte. Das macht ihn aus, er ist damit authentisch."

Wenn denn die Mischung stimmt, denn zu viel "Wäre, wäre Fahrradkette" oder "Der Rücken ist die Achillesferse des Körpers" ist dann auch nicht gut. Denn es lenkt dann zu sehr von seiner eigentlichen Stärke ab, der Analyse, die schnörkellos und ohne Krawall auskommt.

Die Vergangenheit hat geholfen

Geradlinig verlief diese Metamorphose aber nicht. Beruflich musste er sich erst eingestehen, dass der Trainer-Job nicht die Zukunft ist; nach seiner Entlassung als Nationaltrainer Bulgariens 2011 fand er keine neue Anstellung. Vielleicht war es auch der Umstand, dass vor allem in der Heimat Fans auf die Barrikaden gingen, wenn er irgendwo als Coach gehandelt wurde, der das Umdenken noch einmal verstärkte. Parallel dazu wurde das Private immer weniger öffentlich zelebriert.

Bei der Entwicklung als Experte half ihm seine gewaltige Reputation als Größe des deutschen Fußballs. Immerhin ist er auch bereits seit 2012/13 Experte für den Pay-TV-Sender Sky, hinzu kamen zahlreiche weitere Experten- und TV-Jobs, mit denen er sein Profil schärfen konnte. "Er hatte die Zeit, um zu lernen, sich langsam zu wandeln. Zeit, die andere wahrscheinlich gar nicht bekommen würden, wenn sie sich nicht wie Matthäus so eine sportliche Reputation aufgebaut hätten", so Bertling.

Hinzu kommt, dass er perfekt zu Sky und dessen Publikum passt. "Er ist für die Zielgruppe perfekt, die wirklich am Fußball interessiert sind, die das Spiel besser verstehen und lesen wollen. Jeder, der sich für Fußball interessiert, fühlt sich von der Art und Fachlichkeit abgeholt. Das macht ihn besonders in seinem Profil", so Bertling.

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Kritisch und unabhängig

Zu diesem Profil gehört auch das, was vielen Expertinnen und Experten und auch Sendern heute fehlt: Distanz und eine kritische Herangehensweise, ohne dabei beleidigend oder anmaßend zu werden.

Sein Schlagabtausch mit Bayern-Boss Oliver Kahn vor dem Spitzenspiel gegen Borussia Dortmund unmittelbar nach der Entlassung von Trainer Julian Nagelsmann ist ein Paradebeispiel dafür, wie man journalistisch vorgeht und argumentativ nachhakt.

Aus dem TV-Clinch ging Matthäus als Sieger hervor. "Lothar hat sich nach seiner Karriere zum Chefkläger des deutschen Fußballs aufgeschwungen, auf allen Kanälen", meckerte Kahn am Tag danach bei "Bild TV". Wenn die Kritisierten so inhaltslos zurückpoltern, weiß man, dass man alles richtig gemacht hat.

Vergleich mit Christoph Kramer

"Was da Deutschland gespielt hat, das war das Schlechteste, was ich eigentlich in meiner langen, langen Laufbahn fast schon gesehen habe", sagte er zuletzt zur Leistung der Nationalmannschaft beim 2:3 gegen Belgien. Was das knappe Ergebnis übertünchte, nämlich die Leistung, sprach Matthäus offen an. "Seine Unabhängigkeit macht ihn stark, er nimmt kein Blatt vor den Mund und ist komplett inhaltlich orientiert. Was es sehr erfrischend macht", sagt Bertling dazu.

Und wie sieht der Kommunikationsexperte den direkten Vergleich mit Christoph Kramer, der für das ZDF analysiert und zuletzt bei der WM in Katar bei den Zuschauern der beliebteste TV-Experte war? "Er ist auch analytisch, er hat aber mehr Witz, dazu kommt Jugendlichkeit, wodurch eine jüngere Zielgruppe mehr mit ihm verbinden kann", so Bertling.

Bei Matthäus hingegen komme Erfahrung hinzu und die verschiedenen Perspektiven, die er einbringe. "Beide sind mit ihrer Art auf den jeweiligen Sendern gut eingesetzt, um die jeweiligen Zielgruppen anzusprechen", so Bertling, der über alle Zielgruppen hinweg aber Matthäus vorne sieht. Denn der 150-malige Nationalspieler, Europameister, Weltmeister und Weltfußballer hat einfach die etwas größere Expertise - die er auch endlich erfolgreich einsetzt.

Über den Experten: Christoph Bertling ist Sportökonom und Kommunikationswissenschaftler an der Sporthochschule Köln.
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