Auch bei der Weltmeisterschaft in Russland wird mal wieder über das Thema Handspiel gestritten. Viele fragen: Warum urteilen die Schiedsrichter so unterschiedlich? Kann man das nicht vereinheitlichen? Die Antwort lautet: Das ist gar nicht so einfach.

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Im entscheidenden Spiel der Gruppe D zwischen Nigeria und Argentinien (1:2) lief die 76. Minute, als der Ball hoch in den argentinischen Strafraum flog. Marcos Rojo wollte die drohende Gefahr per Kopfball bereinigen und setzte deshalb zum Sprung an.

Aber die Klärung verlief seltsam, denn der Innenverteidiger der "Albiceleste" köpfte sich den Ball selbst an den Arm. Die Nigerianer reklamierten vehement einen Elfmeter, doch Schiedsrichter Cüneyt Çakır ließ weiterspielen.

Nach einer kurzen Unterredung mit seinem Video-Assistenten in Moskau entschied er sich schließlich, die Szene am Spielfeldrand selbst noch einmal zu begutachten. Nach nur wenigen Sekunden kehrte der Referee aufs Spielfeld zurück und signalisierte: kein Elfmeter, da kein strafbares Handspiel.

Warum entscheiden die Referees so unterschiedlich?

Das wunderte so manchen, schließlich hatte es am Abend zuvor in der Partie zwischen dem Iran und Portugal (1:1) in einer vermeintlich sehr ähnlichen Szene einen Handelfmeter gegeben.

Dem portugiesischen Verteidiger Cédric war der Ball im eigenen Strafraum aus kurzer Distanz an den Arm geköpft worden, auch in diesem Fall hatte der Unparteiische Enrique Caceres zunächst weiterspielen lassen.

Auf Empfehlung des Video-Assistenten kam es jedoch zu einer Review am Spielfeldrand, danach erkannte der Referee, anders als Çakır, auf Strafstoß.

Wie kann es sein, fragten viele, dass die Schiedsrichter selbst nach Inanspruchnahme des Videobeweises mal so entscheiden und mal so?

Die Antwort ist: Im Fußball gibt es nur ganz wenige Dinge, die so kompliziert zu beurteilen sind wie Handspiele. Kaum eines geschieht, ohne dass anschließend lang und breit darüber diskutiert wird, ob es nun strafbar war oder nicht.

Wann ist ein Handspiel strafbar?

Strafbar ist es immer dann, wenn Absicht vorliegt - so steht es jedenfalls in den Regeln. Aber wie findet der Schiedsrichter heraus, ob der Ball absichtlich mit der Hand berührt worden ist oder nicht? Er kann ja nicht die Gedanken des betreffenden Spielers lesen.

Deshalb orientiert er sich an Anhaltspunkten: Wie und aus welcher Entfernung kam der Ball auf den Spieler zu? Konnte er mit ihm rechnen? War seine Armhaltung oder -bewegung fußballtypisch, also normal für diesen Sport? Oder hat er womöglich versucht, sich mit den Armen größer zu machen, um den Ball aufzuhalten?

Es liegt in der Natur der Sache, dass sich all dies längst nicht immer eindeutig bestimmen lässt. Und oft finden sich sowohl Anhaltspunkte, die für ein strafbares Handspiel sprechen, als auch Gründe, das Gegenteil anzunehmen.

Manchmal unterscheiden sich Szenen nur durch Kleinigkeiten, die den Unterschied zwischen "strafbar" und "nicht strafbar" begründen.

Auch Schiedsrichter können irren

Hinzu kommt der Faktor Mensch. Zwar agieren auf den Fußballplätzen und vor den Monitoren sehr gut geschulte Unparteiische, doch auch diese können sich irren - vor allem, wenn sie unter Zeitdruck entscheiden müssen.

So wie am Montagabend im Spiel zwischen dem Iran und Portugal. Denn beim Handspiel von Cédric sprach kaum etwas für Absicht im regeltechnischen Sinne: Der Portugiese wurde aus kürzester Distanz angeköpft, er stand mit dem Rücken zum Ball, konnte ihn also gar nicht kommen sehen und ihm daher auch nicht ausweichen. Seine Arme waren in einer normalen, fußballtypischen Haltung. Es hätte deshalb keinen Elfmeter geben dürfen.

Cüneyt Çakır dagegen hat das Handspiel von Marcos Rojo richtig eingeschätzt: Dass der Argentinier sich den Ball gegen den eigenen Arm köpfte, war ein unglückliches Versehen. Seinen Arm hatte er nicht zum Ball geführt, sondern so bewegt, wie man das nun mal tut, wenn man zum Kopfball geht.

Warum eine Vereinfachung schwierig ist

Viele Fans wünschen sich eine Vereinfachung der Regel, mehr Klarheit. Sie argumentieren, die Grauzone beim Handspiel sei einfach zu groß, die Beurteilung durch die Schiedsrichter daher zu uneinheitlich.

Das ist nachvollziehbar, doch es deutet auch auf ein Dilemma hin: Wie sollte eine Regelung aussehen, die keine Spielräume mehr kennt? Die einfachste Möglichkeit bestünde sicherlich darin, einfach jedes Handspiel zu ahnden, ohne Ausnahme.

Das aber würde mit hoher Wahrscheinlichkeit dazu führen, dass die Spieler bewusst auf die Arme und Hände ihrer Gegner zielen würden, um Freistöße und Strafstöße herauszuholen. Gerade die Verteidiger wären fast schon gezwungen, ihre Arme hinter dem Rücken zu verstecken, um nicht getroffen zu werden.

Eine bizarre Vorstellung. Dann schon lieber die jetzige Regelauslegung, so unbefriedigend und kompliziert sie manchmal auch sein mag. Näher an der Praxis als eine Bestimmung, die nur noch Schwarz und Weiß kennt, aber kein Grau mehr, ist sie allemal.

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