Die gute Nachricht für das WM-Gastgeberland zuerst: Brasilien kann immer noch Weltmeister werden. Die schlechte: Wenn die Selecao so weiterspielt, wird es nichts. Ein Neymar reicht eben doch nicht.
Was ist nur mit der brasilianischen Nationalmannschaft los? Vor Beginn des Turniers wurde der Gastgeber als der Favorit schlechthin gehandelt. Nach zwei Spielen muss man sagen: Brasilien wird wohl nur Weltmeister, wenn sie sich deutlich steigern oder der japanische Schiedsrichter aus dem Eröffnungsspiel noch mal ran darf.
Die Gründe für die beiden mauen Auftritte sind aber nicht nur bei Neymar und Co., sondern auch bei den Gegnern zu suchen. Die Spielidee der Selecao lässt sich nämlich in einem Satz zusammenfassen: Neymar wird's schon richten. Und das lässt sich mit ein wenig defensiver Disziplin, wie sie Kroatien und Mexiko an den Tag legten, ganz gut verteidigen. Wenn man dann noch ein bisschen Bock auf Angreifen hat und sich nicht nur hinten reinstellt, ist man plötzlich gar nicht mehr so chancenlos.
Brasilien leidet damit unter dem Messi-Syndrom, das auch die Argentinier seit Jahren heimsucht: Wenn man den kleinen Barca-Wirbler aus dem Spiel nimmt, hat man kaum noch was zu befürchten. Aber nicht unbedingt, weil die anderen Spieler auf Kneipenliga-Niveau kicken - sondern weil es keinen Plan B gibt, wenn der Superstar nicht funktioniert.
Neymar - und dann lange nichts
In den beiden bisherigen Spielen zeigte sich das ganz deutlich: Neymar fehlt die Hilfe aus dem eigenen Team. Oscar machte immerhin gegen Kroatien noch ein bisschen mit. Apropos Oscar: Stürmer Fred beispielsweise ist angesichts des Erfolgs seiner Schauspieleinlage im Eröffnungsspiel gedanklich wohl schon in Hollywood. Und kann jemand aus dem Stegreif eine gelungene Offensivaktion eines anderen brasilianischen Spielers nennen? Eben.
Hinzu kommt, dass Außenverteidiger Dani Alves - einst der wohl Beste seiner Zunft - derzeit das Stellungsspiel einer Parkuhr aufweist und versucht, das durch manische Flankenläufe zu vertuschen. Auch sein linkes Pendant Marcelo fällt noch eher durch aufgeregt wallendes Haupthaar denn mit durchdachten Aktionen auf.
Luiz Felipe Scolari: "Wir werden besser und besser"
Ansonsten kann sich Brasilien aber größtenteils wenigstens auf seine Defensive in der Mitte verlassen. An Thiago Silva muss man erst mal vorbeikommen und auch David Luiz ist bei aller Leichtsinnigkeit nicht umsonst der teuerste Abwehrspieler der Welt. Das zeigte sich auch im Spiel gegen Mexiko: Die Mittelamerikaner spielten zwar furchtlos nach vorne - die meisten Chancen resultierten aber aus Weitschüssen.
Eins muss man ebenfalls festhalten: Mit einem anderen Torwart bei den Mexikanern hätte Brasilien das Spiel wahrscheinlich gewonnen. Das ist dann wohl auch der Grund dafür, dass man auf brasilianischer Seite gar nicht mal so unzufrieden mit dem Spiel gegen den Angstgegner ist - oder zumindest so tut. "Meiner Meinung nach haben wir heute mindestens zehn Prozent besser gespielt als gegen Kroatien. Wir werden also besser und besser", sagte Coach Luiz Felipe Scolari. "Unser Weg ist nicht zu Ende. Ich war sehr glücklich mit dem, was ich auf dem Feld gesehen habe."
Das muss Scolari natürlich auch sagen. Nach der Gruppenphase, wenn dann irgendwann Gegner wie Spanien (die kommen noch!), Italien, die Niederlande oder eben auch Müllerland warten, wird sich zeigen, ob es sich dabei um berufsbedingte Halluzinationen oder eine realistische Einschätzung handelt. Seine Favoritenrolle ist Brasilien auf jeden Fall erst mal los. Aber vielleicht spielt es sich ohne Druck ja schöner.
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