Die Handball-Weltmeisterschaft im eigenen Land ist das große Sport-Highlight dieses Winters. Handball-Legende Stefan Kretzschmar spricht im Interview über die Chancen der deutschen Nationalmannschaft, die Stärken und die Schwächen sowie die stärksten Konkurrenten.

Ein Interview

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Herr Kretzschmar, wie groß ist die Chance, dass wir erneut ein Handball-Märchen im eigenen Land wie 2007 erleben und Weltmeister werden?

Stefan Kretzschmar: Ich bin sehr optimistisch, weil der Heim-Vorteil im Handball eine große Rolle spielt. Alle Gastgeber konnten diesen Vorteil in den vergangenen Jahren bei Großturnieren nutzen.

Zudem bietet die Vorrunde die Möglichkeit, mit klaren Siegen viel Selbstvertrauen zu tanken. Es gibt sieben oder acht Nationen, die das Halbfinale erreichen können. Ich bin zuversichtlich, dass auch Deutschland das schaffen wird.

Was sind denn die Stärken unserer Nationalmannschaft?

Wir sind vor allem auf der Torhüterposition mit Andreas Wolff, Silvio Heinevetter und dahinter Dario Quenstedt gut aufgestellt. Zudem können wir mit dem Kieler Innenblock Patrick Wiencek und Hendrik Pekeler, dazu noch Finn Lemke, eine gute Abwehr stellen.

Ein wichtiges Mittel besteht darin, unsere Kreisläufer Wiencek, Pekeler und Jannik Kohlbacher im Angriff gut einzusetzen und zudem nach Ballgewinnen schnelle Gegenstöße [Konter, Anm.d.Red.] zu laufen.

Und wo liegen die Schwächen?

Wir haben nicht diesen einen Top-Spieler in unseren Reihen, der die Kohlen im Alleingang aus dem Feuer reißt. Wir können das nur als Mannschaft lösen. Die siegreiche Europameisterschaft 2016 hat bewiesen, dass das möglich ist.

Etwas Sorgen bereitet mir nur die Situation im linken Rückraum, weil uns dort durch die Verletzung von Julius Kühn ein überragender Mann fehlt.

Bundestrainer Christian Prokop erlebte bei der Europameisterschaft vor einem Jahr mit dem 9. Platz einen unglücklichen Einstand. Das Verhältnis zwischen Trainer und Spieler galt als zerrüttet. Über eine Trennung wurde spekuliert. Nun haben sich alle noch einmal für die Heim-WM zusammengerauft. Kann das wirklich gutgehen?

Ja. Denn ich glaube nicht, dass das Verhältnis zwischen Trainer und Spieler immer freundschaftlich sein muss. Zudem ist im letzten halben Jahr viel passiert. In der Mannschaft entstand eine lockere Stimmung.

Und alle wissen, dass die Stunde geschlagen hat. Es geht um den deutschen Handball. Im Jahre 2024 wartet mit der Europameisterschaft im eigenen Land das nächste Highlight. Wenn die Mannschaft erfolgreich spielt und im Hintergrund ein gutes Marketing betrieben wird, kann das den deutschen Handball nachhaltig nach vorne bringen.

Zum Auftakt trifft die deutsche Nationalmannschaft auf Korea, also ein Zusammenschluss der nord- und südkoreanischen Handballer. Was ist von diesem und den weiteren Vorrundengegnern zu erwarten?

Gegen Korea würde mich alles andere als ein deutlicher Sieg wundern. Danach wartet mit Brasilien die stärkste südamerikanische Handball-Nation. Auch Russland ist ein ernstzunehmender Gegner mit vielen guten Spielern.

Frankreich ist ohnehin der große Top-Favorit auf die Weltmeisterschaft. Als letzter Vorrundengegner wartet dann Serbien, die früher eine gute Nationalmannschaft hatten, aufgrund des Umbruchs aber schlagbar sein dürften. Insgesamt ist das keine einfache Gruppe.

Die deutsche Nationalmannschaft muss in der Vorrunde zumindest auf Platz 3 landen, um die Hauptrunde, also praktisch die zweite Gruppenphase, zu erreichen…

Genau. Und dann warten Kracher wie Spanien, Kroatien und Island oder Mazedonien. Es gibt also einige Hürden, um das Halbfinale in Hamburg zu erreichen.

Wer zählt neben Frankreich und Deutschland noch zum Favoritenkreis auf den WM-Titel?

Ich erwarte auf jeden Fall Dänemark, Norwegen und Frankreich im Halbfinale. Um den vierten Platz im Halbfinale duellieren sich wahrscheinlich Deutschland, Kroatien und Spanien.

Der Spielplan sieht sehr anspruchsvoll aus. Deutschland bestreitet in der Vorrunde fünf Spiele innerhalb von acht Tagen. Zwischen den Partien gegen Russland und Frankreich liegen gerade einmal 26 Stunden. Ist eine Handball-WM härter als eine Fußball-WM?

Vom Spielplan her auf jeden Fall. Im Handball ist es normal, dass man zwischen zwei Spielen oft keine Pause hat. Eine WM ist ein Mörder-Programm. Wenn man das Finale erreicht, hat man zehn Spiele in 17 Tagen bestritten. Aber Handballer kennen es nicht anders.

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