Einer der größten deutschen Sportler der Geschichte wird 50. Boris Becker begeistert zu aktiver Zeit eine ganze Generation, ist sportlich auf dem Olymp. Doch wie bei so vielen "Helden des Sports" kommt mit dem Karriereende der tiefe Fall. Ein Phänomen, das gerade im Sport immer wieder zu beobachten ist.

Ein Interview

Dreimal hat Boris Becker Wimbledon, das schillerndste Tennis-Turnier der Welt, gewonnen.

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Er war die Nummer eins der Tenniswelt und hat Millionen an Preis- und Werbegeldern verdient. Doch das alles ist lange her.

Privat lief es beim gebürtigen Leimener weniger gut. Scheidungen, Besenkammeraffäre, schlechte Investitionen. In einer Dokumentation der ARD gibt er öffentlich zu, zahlungsunfähig zu sein.

Er reiht sich ein in eine lange Liste gescheiterter Spitzensportler. Franz Beckenbauer (WM-Affäre) oder Jan Ullrich (Dopingskandale, Alkoholdelikte) sind nur zwei Beispiele der jüngeren Vergangenheit.

Diplom-Psychologe Jan-Mathis Wasserfuhr spricht im Interview über Absturzursachen, die Zusammenhänge von großem Ruhm und tiefem Fall, sowie verzerrter Wahrnehmung der Öffentlichkeit.

Herr Wasserfuhr: Ist es ein ungeschriebenes Gesetz, dass Helden des Sports nach der Karriere in tiefe Löcher fallen?

Jan-Mathis Wasserfuhr: Nein. Nicht unbedingt. Auch wenn es den Anschein macht, dass solche Verläufe immer wieder passieren.

Die Wahrnehmung davon ist aber durch gewisse Beobachtungseffekte verzerrt, weil sie oft mit überhöhtem Interesse verfolgt und dementsprechend auch öffentlich diskutiert werden.

Wenn man genauer hinschaut, kann man sogar feststellen, dass selbst wenn ein "Held" sich gerade in seiner Hochphase befindet, es immer wieder, auch ganz menschlich, zu Leistungsschwankungen kommt.

Eine klare Unterscheidung zwischen "Fliegen" und "Fallen" ist also nur selten möglich.

Oft wird, gerade bei Einzelsportlern, von öffentlichem Druck gesprochen. Was macht diese Erwartungshaltung der Öffentlichkeit mit einem Menschen?

Dies ist häufig abhängig davon, was für eine Persönlichkeit mitgebracht wird. Einigen hilft es weiter, sich vor Augen zu führen, wer oder wie viele Menschen gerade auf einen schauen.

Diese Sportler brauchen das Publikum, die Atmosphäre - in gewisser Weise eine Bühne. Andere sehen dies eher als zusätzliche Belastung an.

Mit ihnen muss trainiert werden, gewisse Aspekte des Sportlerseins auszublenden, um unbelastet Leistung abrufen zu können. Ähnlich zu öffentlichkeitsscheuen Popstars, die vor Tausenden Menschen auftreten und viel Wert auf die richtige Ausleuchtung ihrer Bühne legen, damit sie die Massen nicht mehr wahrnehmen können bzw. müssen.

Gerade jüngere Sportler müssen ganz behutsam auf den richtigen Umgang mit Erwartungshaltungen von Seiten der Öffentlichkeit vorbereitet oder auch davor geschützt werden.

Welche Rolle spielen die Medien dabei?

Die Medien spielen dabei eine tragende Rolle: Immer mehr Menschen interessieren sich nicht mehr nur für die Leistung, sondern auch für das Privatleben ihrer Stars.

Dieses Bedürfnis wissen die Medien mit den richtigen Beiträgen in Click-Zahlen umzuformen, ohne an die weitreichenden Folgen, zum Teil tendenziöser Berichterstattung zu denken.

Ist zu großer Ruhm von Natur aus gefährlich?

In Zeiten von allen möglichen Formen von Social Media bedeutet es vor allem, ständig in der Öffentlichkeit zu stehen.

Dies kann sich für manche oder für eine Zeit lang sehr angenehm anfühlen oder in Abhängigkeit von der Persönlichkeitsstruktur sogar erstrebenswert sein.

Dauert dies zu lange an oder wird plötzlich als unkontrollierbar wahrgenommen, kann zu großer Ruhm aber auch zu einer Entfernung von der "normalen Welt" und so zu zum Teil unrealistischen Erwartungshaltungen führen.

Dem gilt es vorzubeugen und frühzeitig entgegen zu steuern, wenn man auch nach einer erfolgreichen Karriere glücklich sein möchte.

Warum gelingt es manchen Stars wie z.B. Philipp Lahm oder Dirk Nowitzki vermeintlich "normal“ zu bleiben, obwohl sie auch ihr ganzes Leben in der Öffentlichkeit standen?

Was die beiden Herren genau getan haben, kann ich nicht sagen, doch werden sie sich gefragt haben, womit sie sich nach ihrer sportlichen Karriere beschäftigen möchten und wie sie dies frühzeitig vorbereiten können.

Individuelle Unterschiede sind hier sehr groß, aber ausschlaggebend.

Wie beugt man einem Absturz nach beendeter Karriere vor?

Solange man auf seine Bedürfnisse achtet und sich darauf vorbereitet nun mehr Zeit zu haben und vielleicht ja auch ganz logisch und gesund, eben nicht mehr so sehr im Fokus des öffentlichen Interesses stehen zu können/dürfen/müssen, kann es sehr wohl möglich sein nach einer sportlichen Karriere nicht "abstürzen" zu müssen.

Hierfür gibt es viele Beispiele. Nicht jeder Mensch, der in Rente geht, muss zwangsläufig depressiv werden, auch wenn hier ein gewisses Risiko besteht.

Bei Leistungssportlern birgt gerade das im Vergleich zur arbeitenden Bevölkerung geringes "Renteneintrittsalter" Risiko und Chance zugleich.

Wie sieht das in der täglichen Arbeit aus? Was machen Sportpsychologen beispielsweise in Vereinen oder beim Training mit Einzelsportlern?

Neben dem Training mentaler Techniken geht es vor allem um die Betreuung junger Sportler sowie um das Vorbereiten auf die Zeit neben dem Sport - sprich das richtige Erholen - aber auch die Zeit nach der aktiven Karriere.

Sind erfolgreiche Einzelsportler anfälliger für Abstürze als Mannschaftssportler?

Der Mannschaftssport bietet jungen Sportlern natürlich die Möglichkeit sich mit sportlichen aber auch persönlichen Fragen an ältere, bereits erfahrenere Kollegen zu wenden.

Erfolg und Niederlagen können gemeinsam gefeiert und überwunden werden. Dies schweißt zusammen, auch für die Zeit nach der aktiven Karriere.

Eine Faustformel kann dies aber nicht sein. Auch hier ist die individuelle Persönlichkeit ausschlaggebend und entscheidend für den Umgang mit der "zweiten Lebenslinie".

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