Als Extremschwimmerin hat Nathalie Pohl bereits sechs der sieben Stationen der Ocean's Seven absolviert. Die finale Etappe ist in diesem Jahr geplant – sollte sie diese Herausforderung meistern, wäre sie die erste deutsche Frau, der das gelungen ist. Über spannende und gefährliche Erlebnisse im Meer, aber auch über Rückschläge, schreibt sie in ihrem Buch "Im Meer bin ich zu Hause". Im Interview mit unserer Redaktion spricht die 29-Jährige über die Vorbereitungen auf die finale Challenge, die Gefahren im Wasser und berichtet, wie es ist, im freien Meer mit Delfinen zu schwimmen.
Frau Pohl, Sie haben 2023 die sechste von sieben Etappen der Ocean's Seven absolviert. Gibt es schon ein konkret anvisiertes Datum für den finalen Teil dieser Challenge?
Nathalie Pohl: Tatsächlich befinden wir uns gerade mitten in den Vorbereitungen für den siebten Kanal, den Nordkanal zwischen Irland und Schottland. Stattfinden wird das Ganze voraussichtlich in der ersten Septemberwoche. Ein konkretes Datum kann man noch nicht nennen, weil wir natürlich sehr abhängig von den Wetterbedingungen sind.
Intensives Training für Ocean's Seven
Wie sieht Ihr sportlicher Alltag inmitten dieser Vorbereitungen aus?
Aktuell bin ich auf Mallorca zum Trainieren. Mit Blick auf den Nordkanal habe ich in den vergangenen sieben, acht Monaten viel Kältetraining absolvieren müssen, auch wenn mir das nicht immer gefällt (lacht). Deswegen verbringen wir im Frühjahr viel Zeit auf Mallorca: Die Wassertemperatur beträgt hier derzeit rund 14 Grad, das ist perfekt für die Vorbereitung. In Deutschland sind die Seen im Vergleich mit einer Wassertemperatur von etwa acht Grad noch zu kalt, um mehrere Stunden im Wasser zu verbringen.
Welche Rolle spielt die Wassertemperatur?
Eine riesige. Es mag komisch klingen, aber ich spüre jedes halbe Grad, was niedriger ist als 16 Grad. Das sind Temperaturen, bei denen es kritisch werden kann. Die Wassertemperatur im Nordkanal wird noch einmal zwei, drei Grad weniger als im Ärmelkanal sein, insofern stelle ich mich darauf ein, Neuland zu erleben.
Deswegen sind Alltagsdinge, wie etwa kalt Duschen, seit Jahren mein täglicher Begleiter, um sich dauerhaft nicht zu sehr an warmes Wasser zu gewöhnen. Natürlich trainiere ich im Winter in Deutschland auch im Hallenbad, wo nun einmal andere Wassertemperaturen herrschen, doch das Setzen kleiner Kälte-Akzente hilft mir persönlich enorm – auch mental.
Und welche Rolle spielt die Temperatur des Körpers?
Natürlich ist auch die Körpertemperatur wichtig. Es ist mir bisher einmal passiert, dass die Kerntemperatur meines Körpers gefallen ist, das war bei meinem ersten Versuch im Rahmen der Ocean's Seven im Ärmelkanal. Im Anschluss habe ich mehrere Wochen im Krankenhaus verbracht, wobei der Abfall der Körpertemperatur nur eines von mehreren körperlichen Problemen war. Man darf nicht vergessen, dass ich einen Extremsport betreibe, bei dem der Körper immer wieder neue Grenzen erreicht.
Insofern ist es umso wichtiger, entsprechend sensibilisiert zu sein. Schlussendlich bin ich aber auch abhängig von meinem Team, das ja in einem Begleitboot neben mir fährt. In einer Extremsituation ist es dann mein Team, das eine Entscheidung für mich übernehmen kann und muss. Auch wenn Extremschwimmen ein einsamer Sport ist und ich draußen auf dem Meer alleine bin, spielt das Team eine wirklich wichtige Rolle.
Man selbst befindet sich vermutlich auch in einem Tunnel …
Richtig. Ich war noch nie in der Situation, selbst über den Abbruch eines Wettbewerbs entscheiden zu müssen. Es mag an meiner Persönlichkeit liegen, aber es muss schon viel passieren, bis ich 'Ich kann nicht mehr' sage. Nach zwölf Stunden Schwimmen denkt man an vieles, aber nicht daran, aufzugeben. Vielmehr ist man darauf fokussiert, einen Arm vor den anderen zu schlagen.
Extremschwimmen ist nichts für schwache Nerven
Welche weiteren Faktoren neben der Temperatur machen das Extremschwimmen zu einem so gefährlichen Sport?
Es ist zum einen die große Distanz, die herausfordernd ist. Ich schwimme teilweise bis zu 15 Stunden – während dieser Zeit kommen viele Faktoren zusammen: Der Körper geht an seine Grenzen. Zudem ist man wahnsinnig abhängig von dem Element Wasser. Das hat sich zum Beispiel in Neuseeland gezeigt, wo mir die Durchquerung der Cookstraße erst im dritten Versuch gelungen ist. Während des zweiten Versuchs bin ich drei Stunden lang auf der Stelle geschwommen beziehungsweise bin eine Stunde lang rückwärts zurück in den Kanal gedrückt worden.
Beim Schwimmen selbst merkt man diese Gewalt des Meeres häufig gar nicht. Ich setze zwar einen Arm vor den anderen, merke aber nicht, dass ich gar nicht wirklich von der Stelle komme. Was ich hingegen wahrnehme, ist diese wahnsinnige Anstrengung. In solchen Momenten ist die realistische Einschätzung meines Teams über die Situation total wichtig. Es gibt einfach Tage, an denen die Natur gewinnt.
Trotz dieses Wissens ist es dennoch bestimmt nicht einfach, einen Wettbewerb abzubrechen …
Das stimmt, das ist nie leicht. Anfangs überträgt man eine Menge auf sich selbst, zweifelt an sich oder daran, ausreichend trainiert zu haben. Ich denke, dass aber genau das zu diesem Extremsport dazugehört. Man muss lernen, zu akzeptieren, nicht stärker als das Meer sein zu können.
Die mentale Ebene spielt eine immense Rolle beim Durchqueren der Gewässer. Wie gehen Sie mit Angst um?
Ich glaube, jeder von uns war schon einmal nachts am Strand und weiß, wie dunkel das Meer nach dem Sonnenuntergang wird. Insofern ist es wahrscheinlich klar, dass es alles andere als einfach ist, nachts in das stockfinstere Meer zu steigen. Ich denke trotzdem, dass man die Challenge nicht bestehen kann, wenn man die Angst zulässt. Ich habe auf jeden Fall den nötigen Respekt vor der Herausforderung und bin mir auch der Tatsache bewusst, dass jederzeit etwas passieren kann – ein Haiangriff zum Beispiel.
Aber es können natürlich auch andere Dinge passieren. In Japan etwa hatten wir einen Unfall, bei dem wir nachts mit dem Boot gegen einen Felsen gefahren sind. All diesen potenziellen Gefahren sollte man sich im Vorfeld unbedingt bewusst sein. Es reicht meiner Meinung nach nicht aus, zu sagen, dass etwas passieren kann – vielmehr sollten gewisse Gefahrensituationen in der Vorbereitung durchgespielt werden, um im Fall der Fälle entsprechend reagieren zu können.
Was für potenzielle Gefahrensituationen sind das?
Zum Beispiel, wie man sich verhält, wenn man einen Hai sieht. Natürlich ist es nochmal eine andere Situation, wenn tatsächlich etwas passiert, aber das Durchspielen möglicher Situationen ist absolut hilfreich. Dennoch vergeht kein Schwimmen oder Training, bei dem ich nicht Respekt habe vor der Kraft des Meeres.
Als erste Frau die Ocean's Seven bezwingen
Sollten Sie im September die finale Ocean's-Seven-Etappe meistern, wären Sie die erste deutsche Frau, der das gelungen ist. Erhöht diese Vorstellung den Druck nur noch mehr oder ist gerade dieser Druck das, was das Extreme im Extremschwimmen auch ausmacht?
Meine Einstellung rund um das Thema Rekorde hat sich sehr verändert in den vergangenen Jahren. Ich komme aus dem Beckenschwimmen, wo es um Hundertstel Sekunden geht und eine andere Form des Drucks herrschte. Natürlich wäre es gelogen, wenn ich behaupten würde, mir selbst keinen Druck zu machen. Aber ich habe beim Extremschwimmen gelernt, die Natur so zu nehmen, wie sie kommt.
Es gab schon so viele Tage, an denen ich gut vorbereitet ins Wasser gestiegen bin, um nach zwölfeinhalb Stunden in der Cook Street zu merken, nicht gegen die Strömung anzukommen. Trotzdem hoffe ich natürlich, die erste deutsche Frau zu werden, die die Ocean's Seven bezwingt. Aber auch, wenn es mir nicht gelingen sollte, weiß ich, dass ich das Schwimmen und den Sport liebe. Ich liebe es, im Meer zu sein – wobei es gelogen wäre, wenn ich behaupten würde, es zu lieben, 15 Stunden bei 14 Grad zu schwimmen (lacht).
Pohl teilt ihre Reise mit ihrem Buch "Im Meer bin ich zu Hause"
Es gibt Fotos von Ihren Challenges, die zeigen, wie Sie beim Schwimmen streckenweise von Delfinen begleitet wurden. Was machen diese beeindruckenden Erlebnisse mit Ihnen?
Das sind Momente, die ich enorm wahrnehme und die mir viel bedeuten. In erinnere mich etwa an das Schwimmen in der Cook Street, als ich an einem Punkt wegen der starken Wellen körperlich und mental sehr angeschlagen war. Dann kamen die Delfine, die mich über zwei Stunden lang beim Schwimmen begleitet haben. Sie haben sogar während meiner Trinkpausen auf mich gewartet, ehe sie dann mit mir weitergeschwommen sind. Dieses einzigartige Erlebnis hat mir in dieser Situation neue Energie gegeben. Es hat mir gezeigt, wie schön das Meer ist und was es für ein Privileg ist, darin schwimmen zu dürfen. Schließlich bin ich dort ja Gast.
Auch wenn Sie sich als Gast beschreiben, fühlen Sie sich im Meer dennoch daheim – zumindest mit Blick auf den Titel Ihres Buches "Im Meer bin ich zu Hause". Was waren die Beweggründe, Ihre Erlebnisse aufzuschreiben?
Zum einen wollte ich das Buch gerne für mich schreiben, weil es mir wichtig war, diese einzigartigen Momente für immer festzuhalten. Deswegen wird jedes einzelne Schwimmen auch noch einmal ganz genau dargestellt und mit allen Emotionen, die ich durchlebt habe, beschrieben. Zum anderen würde ich mich freuen, wenn ich die Menschen für das Schwimmen begeistern könnte. Ich selbst bin durch ein Buch zum Freiwasserschwimmen gekommen, vielleicht kann ich auch einige Leserinnen und Leser dazu inspirieren, ins Wasser zu steigen.
Das Buch vermittelt auch eine wichtige Botschaft.
Genau, man sollte immer an sich glauben, auch wenn andere es nicht tun oder man auch Rückschläge einstecken muss. Dafür steht auch meine Reise. Von der Pandemie über Unfälle bis hin zu Verletzungen habe ich viele Dämpfer einstecken müssen, aber ich habe auch gelernt, wie wichtig es ist, seine Ziele nicht aus den Augen zu verlieren.
So bin ich beim Schreiben des Buches beispielsweise nochmals mit dem Rückschlag in Japan vor sechs Jahren (Pohl musste wegen eines Rippenbruchs die Durchquerung der Tsugaru-Straße vorzeitig verschieben; Anm. d. Red.) konfrontiert worden. Diese Zeit war hart für mich und ich habe mehrere Wochen gebraucht, um wieder fit zu werden – aber es hat sich gelohnt, weiterzumachen.
Ein Herz für Kinder
Wenn Sie gerade mal nicht durch die Weltmeere schwimmen, ermöglichen Sie sozial benachteiligten Kindern Schwimmkurse. Wie steht es um das Thema Schwimmen bei Kindern?
Dass sozial benachteiligte Kinder häufig nicht oder nicht gut schwimmen können, ist ein wichtiges Thema. In diesem Zusammenhang verteilen wir unter anderem Kursgutscheine bei den Tafeln in Deutschland. Trotzdem appelliere ich hier auch an die Eltern, die ihre Kinder manchmal einfach nicht zu den Schwimmkursen bringen. Ich finde es unverantwortlich, wenn Kinder nicht richtig schwimmen lernen. Jedes Kind in Deutschland sollte richtig schwimmen können, auch wenn es nicht unmittelbar am Meer lebt.
Richtig schwimmen zu können, kann unter Umständen auch lebenswichtig sein.
Absolut. Ich denke, es ist wichtig zu unterscheiden, dass Kinder nicht zwingend Tennisspielen können müssen. Beim Schwimmen hingegen sprechen wir von einer Fähigkeit, die möglicherweise Leben retten kann. Umso trauriger ist es, dass Kindern häufig der Zugang zum Schwimmen verwehrt bleibt, weil städtische Bäder schließen und weniger Wasserflächen zur Verfügung stehen. Dabei stelle ich immer wieder fest, welch großen Spaß Kinder beim Schwimmen und Schwimmenlernen haben.
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