Am Freitag starten in Köln die World Dwarf Games, die Weltspiele der Kleinwüchsigen. Wir haben uns mit Patricia Carl-Innig, der Vorsitzenden des Bundesverbandes Kleinwüchsige Menschen und ihre Familien e.V. (BKMF) , über die Bedeutung der Spiele für kleinwüchsige Menschen, das Interesse an den Spielen, nervige Vorurteile, unfassbare Reaktionen und den harten Kampf um Inklusion unterhalten.
Patricia Carl-Innig will gar nicht verhehlen, dass sie aufgeregt ist. Denn auf den Bundesverband Kleinwüchsige Menschen und ihre Familien e.V. (BKMF) wartet die große internationale Bühne, die World Dwarf Games, die Welt-Kleinwuchsspiele.
Vom 28. Juli bis 5. August treffen sich in Köln über 1.000 kleinwüchsige Teilnehmerinnen und Teilnehmer, darunter 500 Athletinnen und Athleten aus 25 Ländern, um sich in den Sportarten Fußball, Basketball, Leichtathletik, Volleyball, Schwimmen, Bogenschießen, Tischtennis, Badminton, Powerlifting und Boccia unter gleichen Voraussetzungen zu messen. Patricia Carl-Innig wird das Event am Freitag offiziell eröffnen.
Frau Carl-Innig, wer sich erstmals für die World Dwarf Games interessiert, dürfte von dem Ansatz möglicherweise überrascht sein, denn an den Weltspielen kann jeder teilnehmen. Daneben gibt es in zehn Sportarten immerhin 800 Wettkämpfe. Sind die Spiele vom Grundgedanken her olympischer als Olympia selbst?
Patricia Carl-Innig: Möglicherweise. Wir finden es wirklich gut, dass es sich nicht an die Para-Athleten richtet, die unterstützt und gefördert werden, aber in einer Sphäre Sport machen, die für eine "normale" kleinwüchsige Person überhaupt nicht denkbar ist. Kleinwüchsige Menschen haben oft Zugangsschwierigkeiten zum Sport. Deshalb ist der Grundgedanke der Spiele sehr, sehr gut und auch sehr inklusiv, auch wenn es nur den Kleinwuchs betrifft.
Warum ist der Zugang zum Sport für viele Kleinwüchsige so schwierig?
Im Behindertensport sind die Bedingungen sehr unterschiedlich. Und dann ist es ganz schwierig, die unterschiedlichen Behinderungen auf einen gemeinsamen Nenner zu bringen. Deshalb erleben wir, dass es für viele, wenn sie nicht gerade Zugang zu einem Behinderten-Sportverband haben, schwierig ist, im Alltag Sport zu treiben. Sie müssen dann oft sehr individuell ihr eigenes Ding machen.
Wie wichtig sind dann die World Dwarf Games?
Sehr! Um den Team-Gedanken zu erleben und sich auf Augenhöhe körperlich zu messen, um zu sehen, wo man sportlich steht. Diese Möglichkeit gibt es sonst nicht, weil man nicht die gleiche Leistung wie ein durchschnittlich großer Mitmensch erreicht. Und die Spiele sind für viele eine einmalige Gelegenheit, um internationale Kontakte zu knüpfen. Denn es geht nicht nur um den Sport, sondern es geht auch um den Austausch, die Community noch mal zu erweitern.
Wie wichtig ist Sport generell für Kleinwüchsige?
Grundsätzlich ist es wichtig, dass sich kleinwüchsige Menschen bewegen. Aber da geht es vor allem um Bewegung im Alltag. Wir müssen nicht versuchen, die nächsten Kugelstoßer-Legenden zu werden. Aber Bewegung ist wichtig, weil viele durch die Fehlstellung der Wirbelsäule irgendwann körperliche Schwierigkeiten bekommen. Diese Spiele sind ein niedrigschwelliger Anreiz, um Breitensport auszuprobieren.
Die jüngste Teilnehmerin ist zwei, die älteste 74 – das liefert Stoff für viele Geschichten. Werden diese noch zu wenig erzählt?
Kleinwuchs rückt oft erst ins Bewusstsein, wenn man eine persönliche Betroffenheit hat. Vorher macht man sich keine Gedanken darüber, wie hoch eigentlich im Alltag alles ist. Wie schwierig es zum Beispiel ist, einen Geldautomaten zu erreichen. Diese Geschichten zeigen, dass sich diese Spiele nicht nur an Sportler richten, sondern Anknüpfungspunkte bieten und eine Begegnungs-Plattform sind, weil der Teilnehmerkreis so vielfältig ist.
Wie wichtig sind denn die sportlichen Erfolge bei den Spielen?
Wenn das Kind oder die Freundin/der Freund auf einer Bühne steht und eine Medaille überreicht bekommt, ist das für alle Beteiligten ein besonderer Moment. Deshalb sind die Medaillen, die Erfolge, durchaus auch sehr wichtig. Unabhängig davon glaube ich, dass dieser Moment, sich auf dem Platz mit anderen zu messen, ein noch spezielleres Gefühl ist.
Spitzensportler aus dem Ausland sind auch dabei, bekannte deutsche Para-Sportler nehmen an dem Event aber nicht teil. Bedauern Sie das?
Ich bin hin- und hergerissen. Einerseits sind sie natürlich gute Vorbilder, andererseits verzerren sie den Wettbewerb enorm, weil sie die Medaillen abräumen in ihren Kategorien. Es ist schön, sie im Wettbewerb zu erleben, doch andererseits tut es mir dann um die leid, die sich ausprobieren wollen und kein realistisches Bild ihrer Leistung bekommen. Manche der bekannten Para-Sportler dürfen aufgrund von Wettkampfvorbereitungen und wegen des Verletzungsrisikos auch nicht teilnehmen. Deshalb ist es im Endeffekt aus deutscher Sicht genau richtig so.
Was ist denn an Medaillen aus deutscher Sicht möglich?
Das ist eine komplette Wundertüte, weil wir auch sehr, sehr viele Teilnehmer haben, die noch in keinem sportlichen Wettbewerb aufgetaucht sind. Auch die Teilnehmer anderer Nationen sind schwer einzuschätzen. Einige kommen mit großen Delegationen. Die machen den weiten Weg nicht, um einfach nur mitzumachen. Deshalb bleibe ich bei meiner Einschätzung erst einmal zurückhaltend.
Wie wichtig ist das Event für den Bundesverband Kleinwüchsige Menschen und ihre Familien (BKMF)?
Das Event bringt uns Erfahrungen und schafft für die Teilnehmer bleibende Momente. Das finde ich entscheidend, ganz unabhängig von der Frage, ob wir danach noch häufiger sportliche Wettbewerbe ausrichten wollen. Doch durch die Spiele haben wir in unserem Verband ein großes sportliches Interesse geweckt. Wir hoffen, dass wir daraus etwas machen können, das den Verein in seiner Bandbreite noch mal erweitert.
Das Event zeigt Ihnen auch, wie es um das Interesse, die Öffentlichkeit und die Unterstützung bestellt ist. Wie fällt da Ihre Bilanz aus?
Wir haben eine gute Unterstützung erreicht, wie zum Beispiel finanziell durch die "Aktion Mensch", aber auch durch die Sporthochschule Köln, die uns das Gelände zur Verfügung stellt. Unabhängig davon reißen die WDG ein großes Loch in die Rücklagen des BKMF. Wir werden auf Spenden angewiesen sein, um auch in Zukunft Angebote machen zu können. Wir sind positiv überrascht vom medialen Interesse. Vielleicht hat sich da im Nachgang der Special Olympics das Bewusstsein geändert, und wir haben einen veränderten Zeitgeist erwischt. Wir schauen aber ganz genau, dass wir nicht alles machen, was angefragt wird. Es soll nicht defizitorientiert sein, auf einer Mitleidsschiene, oder eine gaffende Berichterstattung sein.
Wie ist es um die Förderung des Sports an sich für Kleinwüchsige in Deutschland bestellt?
Die Behindertensport-Verbände haben ein großes Interesse an kleinwüchsigen Athleten, die schauen auf Veranstaltungen, ob es potenzielle Leistungsträger gibt und sind auf der Suche nach Nachwuchs. Aber Eltern und Kinder müssen bereit sein, sich in diese Maschinerie zu begeben. Das erlebe ich auch bei "normalen" Kindern und Jugendlichen, dass die Eltern ganz viel finanzielles und zeitliches Engagement hineinstecken müssen, um das zu unterstützen. Beim Breitensport ist es schwierig, da erlebe ich, dass sich viele individuelle Lösungen suchen, weil es keine etablierten Möglichkeiten gibt. Wir versuchen deshalb als Verein, Ideen zu vermitteln.
Wie schwierig ist der öffentliche Umgang mit Kleinwüchsigkeit?
Es funktioniert nur, sobald Menschen an Vielfalt gewöhnt sind. Man muss sie ein bisschen dazu zwingen. Die komischen Reaktionen nehmen erst ab, wenn die Menschen daran gewöhnt sind, dass es Menschen in unterschiedlichen Größen und Ausführungen gibt. Es hängt auch davon ab, wo man ist. Denn in der Provinz sind die Reaktionen krasser als in einem Ballungsraum wie Berlin. Deshalb bin ich auch von Brandenburg nach Berlin gezogen. Es interessiert die Leute hier gar nicht, wie ich aussehe. Trotzdem bin ich heute immer noch irritiert, wenn Leute mich penetrant anschauen und förmlich anstarren.
Warum ist das so?
Diese Menschen haben es nicht gelernt, damit umzugehen und geben das oft auch an ihre Kinder weiter. Denn ich erlebe, dass Eltern ihrem Kind sagen: "Schau da nicht so hin", und das Kind anblaffen und wegziehen. Und dann verbindet das Kind etwas Negatives mit der Situation, eine kleinwüchsige Person getroffen zu haben. Dabei sollen sie lernen, dass es dazugehört und dass Vielfalt normal ist.
Was man oft liest, ist, dass kleinwüchsige Menschen ausgelacht und verspottet werden…
Ja, das stimmt. Noch schlimmer ist es, mit dem Handy fotografiert zu werden.
Das kommt auch vor?
Das erlebe ich auch und reagiere dann auch entsprechend. Wie kann man über jemanden lachen, weil die Person klein ist oder einfach anders aussieht? Ich mache den Menschen schon sehr deutlich, dass ich sie für sehr wenig intelligent halte. Leider kommt das nicht selten vor, und vor allem dann, wenn Menschen in einer Gruppe unterwegs sind.
Was macht das mit Ihnen?
Das nimmt einen immer mit, auf so eine Art und Weise konfrontiert zu werden. Aber inzwischen stresst mich das nicht mehr, weil ich entsprechend reagiere, vor allem dann, wenn mein Kind dabei ist, um ihm mitzugeben, dass es immer Menschen geben wird, die lachen. Ja, ich erlebe Hindernisse durch meinen Kleinwuchs, aber ich habe dadurch so viel dazugewonnen: an Erfahrungen, an Menschen, an Begegnungen.
Inwiefern helfen diese Erfahrungen bei der Verbandsarbeit?
Ich habe selbst die Erfahrung gemacht, dass mir der Verein viel gebracht hat, gerade auch in der Pubertät, wo es wichtig war, eine Art Peergroup zu haben. Für viele ist der Verein wie eine zusätzliche Familie, ein zusätzliches Netzwerk. All das stärkt für den Alltag. Es ist hilfreich, wenn man auf Leute trifft, die ähnliche Erfahrungen machen oder gemacht haben und darüber hinweg sind. Und ich erlebe das jetzt bei der Verbandsarbeit, bei Seminaren und auch beim Thema Sport. Das Wichtigste ist: Das Kind kann mit dem Kleinwuchs nur so gut umgehen, wie es die Eltern tun.
Wie problematisch ist das Thema Mobbing heute?
Wir sagen ganz klar: Der Kleinwuchs muss gar nicht das Ziel des Mobbings sein. Für Mobbing kommen manchmal viel trivialere Sachen infrage. Man sollte aber den Kleinwuchs nicht zu einer Angriffsfläche werden lassen. Deshalb ist es wichtig, dass Kinder von den Eltern erfahren, dass sie kleinwüchsig sind und nicht von anderen, sonst wird es zu einem Unsicherheitsfaktor. Eltern müssen einen entspannten Umgang mit dem Kleinwuchs finden, denn dann ist das Kind auch entspannt.
Welche Vorurteile oder Diskriminierungen gibt es, die sich hartnäckig halten?
Viele sind immer überrascht, dass meine Eltern und auch meine Tochter nicht kleinwüchsig sind. Ganz schwierig finde ich es, wenn Leute immer noch Liliputaner sagen. Oder dass Kleinwüchsige immer noch angefragt werden, um die Rollen von Fabelwesen zu spielen. Ich hätte kein Problem damit, wenn es andere Sendungen gäbe, wo kleinwüchsige Menschen ganz normale Rollen spielen. Aber das ist noch nicht ausgewogen. Vieles beruht einfach auf Unwissenheit.
Wo sehen Sie Deutschland 2023 bei den Themen Inklusion, Chancengleichheit, Barrierefreiheit?
Bei Barrierefreiheit fehlt so vieles. Solange private Anbieter nicht dazu verpflichtet werden, barrierefreie Angebote zu schaffen, hilft das alles nicht. Da gibt es viel Nachholbedarf in allen Bereichen, denn man erlebt oft, wie rückständig Deutschland da teilweise noch ist. Das hat dann nichts mit einem selbstbestimmten Leben zu tun. Es stört mich sehr, dass Menschen mit Behinderung immer wieder suggeriert wird, dass sie auf Hilfe angewiesen sind, obwohl sie an so vielen Stellen sehr selbstständig sind. Und es gibt an vielen Stellen immer noch Barrieren in den Köpfen, auf die man stößt. Viele Erwachsene haben das Gefühl, dass sie sich immer noch ein bisschen mehr anstrengen müssen, um zu zeigen, dass der Kleinwuchs sie nicht in ihrer Leistungsfähigkeit einschränkt. In Deutschland hat man oft das Gefühl, eine Belastung zu sein und das ist belastend, es entspricht eigentlich nicht der Zeit. Es ist aber wichtig, sich die Inklusion zu erkämpfen.
In dem Zusammenhang gibt es eine interessante Frage: Sind Menschen behindert oder werden sie von der Gesellschaft behindert?
Eindeutig beides. Ja, ich werde an vielen Stellen behindert, aber ich bin eben auch behindert. Ich habe Einschränkungen aufgrund meiner körperlichen Statur. Und die sind nicht weg, wenn alles barrierefrei ist, dann bin ich immer noch behindert. Aber das ist okay, weil eine Behinderung auch einfach nur eine Eigenschaft ist, die nur einen Teil meiner Persönlichkeit ausmacht, aber für mich wichtig ist.
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