Am Mittwoch startet die nordische Ski-Weltmeisterschaft im norwegischen Trondheim. Nach einem überraschend glanzvollen Saisonstart, vor allem von Pius Paschke, lief es in den vergangenen Wochen für die deutschen Skispringer alles andere als rund. Skisprung-Legende Sven Hannawald ordnet ein.

Eine Analyse
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Gut gelaunt zeigte sich Andreas Wellinger noch kurz vor der Weltmeisterschaft seinen Instagram-Fans. Mit selbstgebackener Pizza lässt es sich der 29-Jährige gut gehen. Nicht nur deshalb fährt er mit einem guten Gefühl nach Trondheim zur nordischen Ski-WM. Wellinger schaffte es bei der WM-Generalprobe im japanischen Sapporo mit Platz neun als einziger Deutscher in die Top Ten.

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Sie wollen retten, was noch zu retten ist: Vom besten Saisonstart der deutschen Skispringer in der Geschichte des Deutschen Ski-Verbands (DSV) ist es nicht mehr weit zu einer Horrorsaison für den kompletten Kader. Das letzte Großereignis der Saison ist die Gelegenheit, einen versöhnlichen Abschluss zu finden. Skisprung-Legende und ARD-Experte Sven Hannawald ordnet die Form der deutschen Springer ein.

Von der besten zur schlechtesten Saison: Grund ist das Material – weniger die Springer?

Mit sechs Siegen startete Pius Paschke so gut wie noch nie in die Saison – seit der Vierschanzentournee läuft es nicht mehr für ihn. Auch Andreas Wellinger ist von den Podestplätzen, die er zu Beginn der Saison erreichte, weit entfernt. Für Sven Hannawald liegen die Probleme nicht bei den beiden Springern. "Aus meiner Sicht sind die Probleme materialbedingt: In dieser Saison hatten die deutschen Springer den erfolgreichsten Start überhaupt", sagt er im Gespräch mit unserer Redaktion. "Gerade sind wir an einem Punkt, an dem wir darüber reden müssen, dass es die schlechteste Saison überhaupt werden könnte. So viele Fehler kann man innerhalb dieser Zeit gar nicht in einen Sprung einbauen."

Sprich: Die vom Weltverband FIS zur aktuellen Saison eingeführte Neuregelung, dass die Springer nur noch zehn Anzüge – und diese jeweils in bestimmten Saisonphasen – anziehen dürfen, fällt zu Ungunsten der deutschen Athleten aus. "Wenn es bei einem kompletten Team nicht läuft, liegt es immer am Material", sagt Hannawald. Er sehe keine großen Fehler in den Sprüngen der Deutschen, "und sie kommen nicht mehr mit. Das ist materialbedingt." Die Österreicher hingegen hätten einen guten Weg gefunden, mit der Materialänderung klarzukommen. In verschiedenen Saisonphasen dürfen die Verbände verschiedene Anzüge testen, schreibt die FIS vor. Neue Anzüge gab es etwa zur Vierschanzentournee. Auch zur WM gibt es zwei neue.

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Paschke und Wellinger noch mit den besten Chancen

Die Aufgabe des DSV war es in den vergangenen Wochen also, auf die neuen Anzüge optimal zu reagieren. Hannawald traut es Wellinger und Paschke, den beiden besten Deutschen der Saison, am ehesten zu, Erfolge bei der WM einzufahren. "Die stabilsten Springer in dieser Saison waren Andreas Wellinger und Pius Paschke. Wellinger hat die meiste Erfahrung – er ist derjenige, der sich am besten über Wasser hält. Ich würde auch Philipp Raimund nicht rausnehmen, er hat nur das Feingefühl für sich noch nicht entdeckt", sagt der frühere Sieger der Vierschanzentournee.

Der 34-jährige Paschke ist Fünfter im Gesamtweltcup, Wellinger Neunter. Youngster Philipp Raimund steht auf Platz 28. Hannawald hofft bei allen Dreien: "Die WM fängt für die Skispringer auf der kleinen Schanze an, hier kommt das Material noch nicht so zum Tragen, weil die Anlaufgeschwindigkeit nicht so hoch ist. Dort können sie in die Nähe der Medaillen kommen."

Sven Hannawald ist inzwischen als TV-Experte aktiv
Sven Hannawald ist inzwischen als TV-Experte aktiv. © IMAGO/Ulrich Wagner

Auch Wellinger selbst zeigte sich zuletzt zuversichtlich: "Es ist definitiv eine Frage der Geduld. Wir wissen beide, dass wir besser Skispringen können. Wir haben das in den letzten Wochen nicht aufs Papier gebracht", sagte er 29-Jährige vor der WM.

Nur geringe Chancen sieht Hannawald bei Karl Geiger und Stefan Leyhe, die ebenfalls für die WM nominiert sind. "Karl Geiger ist ein akribischer Arbeiter, das ist das Licht für ihn. Er hat aber schon Podestplätze hinbekommen", sagt Hannawald. "Stefan Leyhe hat extreme Schwierigkeiten mitzukommen." Im Gesamtweltcup steht Geiger auf Rang 15, Leyhe auf 39.

Warum die Medaillenchancen im Mixed besser sind

Anders als im Einzel dürfen sich die deutschen Springer im Mixed-Wettbewerb berechtige Medaillenhoffnung machen. In der bisherigen Saison stand das deutsche Mixed-Team nur in einem Wettbewerb nicht auf dem Podest. Das liegt laut Hannawald vor allem an den Springerinnen. "Beim Mixed-Team kommt durch die Frauen eine positive Ablenkung hinein. Das hat bisher sehr erfolgreich funktioniert, weil die Frauen eine gute Rolle spielen und liefern", sagt er.

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Denn anders als bei den Männern läuft es bei den Frauen auch im Einzel: Selina Freitag wurde zuletzt sechs Mal Zweite. "Ich bin sehr gespannt, ob ihr der große Coup gelingen könnte", sagt Hannawald. "Sie konnte sich in Ruhe im Hintergrund entwickeln, ebenso Agnes Reisch." Freitag und Teamkollegin Katharina Schmid gehen als große Medaillenfavoriten in die WM. Vielleicht bringen sie den nötigen Schwung mit, der auch die Männer zur Medaille führt – im Mixed wie im Einzel.

Über den Gesprächspartner

  • Sven Hannawald (50) ist einer der erfolgreichsten deutschen Skispringer und der letzte deutsche Gewinner der Vierschanzentournee (2001/02) mit Siegen auf allen vier Schanzen. Heute ist er Wintersportexperte der ARD.

Verwendete Quellen