Seit 2017 steht der Weltrekord im Skifliegen bei 253,3 m. Das kann so bleiben, sagen Stars wie Andreas Wellinger. Es soll weiter gehen, sagt der Weltverband.

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Stefan Kraft bezahlte die Jagd nach dem Skiflug-Weltrekord beinahe mit Hals- und Beinbruch, selbst der tollkühne Andreas Wellinger fühlt sich jenseits des Grenzbereiches nicht mehr wohl. Im Masterplan des Weltverbandes für mehr Spektakel und Aufmerksamkeit spielt jedoch auch das Streben nach immer größeren Weiten eine zentrale Rolle. Bei der WM am Wochenende stellt sich deshalb die Gretchenfrage der Schanzen-Königsdisziplin: Wie weit ist weit genug? Und wie weit ist noch vertretbar?

"Eine Weitenjagd nur um eines Rekordes willen halte ich für gefährlich", sagte Wellinger vor der Einzelentscheidung der Titelkämpfe in Bad Mitterndorf am Freitag und Samstag (14:00 Uhr/ZDF) der Sport-Bild. Selbst der passionierte Adrenalin-Junkie aus Ruhpolding, für den das Skifliegen das schiere Sportlerglück bedeutet, mahnt: "Die Gesundheit von uns Athleten sollte über allem stehen."

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"Die Skiflug-WM ist wieder einmal das Highlight der Saison", sagt Wellinger trotzdem zu den anstehenden Titelkämpfen am Kulm in Österreich. Die Weitenjagd übt auf Athleten und Skisprung-Fans eine ganz besondere Faszination aus.

"Skifliegen ist einfach alles mal zwei. Es ist die Königsdisziplin des Skispringens", schwärmt auch Bundestrainer Stefan Horngacher. "Jeder Skispringer will irgendwann mal Skifliegen gehen. Das ist einfach das Größte."

Skifliegen ist in eine Ära des Stillstands eingetreten

Nach zwei Jahrzehnten mächtiger Leistungsexplosion ist das Skifliegen jedoch in eine Ära des Stillstands eingetreten. Zwischen 1994 und 2017 steigerten die besten Springers des Planeten den Weltrekord um fast 60 Meter. Nachdem 2011 der Vikersundbakken in Norwegen umgebaut worden war, schoss die Bestmarke binnen sechs Jahren von 239 auf 253,5 m - 2017 flog der Österreicher Kraft so weit.

Weil damals auch die anderen modernen Flugschanzen - Oberstdorf, Planica und Bad Mitterndorf - gerade ihren Umbau hinter sich hatten, überboten sich die Fachleute mit kühnen Prognosen. "300 Meter sind theoretisch möglich", sagte Walter Hofer, damals Renndirektor des Weltverbandes Fis. Stattdessen stoppte die Entwicklung, Krafts Bestmarke steht seit fast sieben Jahren. Die heutigen Anlagen, sagt Wellinger, "sind ausgereizt."

Mehr noch: Weite ist beim Fliegen nicht gleich Weite - es hängt stark an den Bedingungen, am Wind, am Schnee. Das musste Kraft 2023 in Vikersund schmerzlich erfahren. Dort segelte er auf 249 Meter, ein gutes Stück kürzer als sein Rekord. Dennoch warf der gewaltige Landedruck Krafts Körper nach hinten, sein Hinterkopf bollerte in den Schnee, der Weltrekordler blieb aber irgendwie auf den Ski. Und sprach von schierem Glück: "Ich dachte, ich breche mir auch noch die Beine."

Fis-Rennchef drängt auf den nächsten Schritt

Die Springer-Meinung ist klar: Weiter? Muss nicht sein. Das sieht Sandro Pertile offenbar einigermaßen anders. Der heutige Fis-Rennchef drängt auf den nächsten Schritt, propagiert weitere Umbauten, hält zehn, fünfzehn Meter mehr für möglich. Es passt zum Stil des Italieners.

Wo sein Vorgänger Hofer dosiert und weitblickend reformierte, äußerte Pertile zuletzt Planspiele, die in die Region des Hanebüchenen vordrangen. Stadionspringen beispielsweise auf mobilen Anlagen in Rio oder Dubai, wo eine Zielgruppe auch per Fernglas kaum zu erkennen ist, vielleicht auch in Peking, während dort die sündhaft teuren Olympiaschanzen seit den Winterspielen 2022 unbenutzt dahinschimmeln.

Pertile, so steht zu befürchten, plant am Bedarf vorbei. Auch beim Fliegen. Am Bedarf der Springer, die lieber heil bei 220 Metern landen als bei 260 zu zerbröseln. Und an denen der Zuschauer. "Die Fans", so hatte Walter Hofer angesichts der immer größeren Anlagen gewarnt, "sollen nicht nur irgendwo einen schwarzen Punkt fliegen sehen." (SID/dpa/lh)

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