Für viele ist es Luxus pur, ein gelebter Traum – für andere der Inbegriff des Massentourismus und einfach nur gruselig: Kreuzfahrten. Autor Robert Penz, Fachmann unter anderem für unsere ZDF-"Traumschiff"-Minutenprotokolle, wagt den Selbstversuch.

Eine Reportage
Dieser Text enthält neben Daten und Fakten auch die Eindrücke und Einschätzungen von Robert Penz. Informieren Sie sich über die verschiedenen journalistischen Textarten.

Langweilig, bieder und den Betuchteren vorbehalten – das sind so Stereotype, die Kreuzfahrten zugeschrieben werden. Und dann gibt es ja noch "Das Traumschiff", das mit Florian Silbereisen und Barbara Wussow unbeholfen versucht, Abenteuer und Exotik in unsere Wohnzimmer flimmern zu lassen. Aber wie ist das eigentlich, wenn eine Landratte, die sich in Urlauben bevorzugt in kleinen Pensionen einnistet, aus Neugier mal auf einem Kreuzfahrtschiff eincheckt, um mit über 3.500 Cruising-Fans zwei Wochen auf hoher See zu verbringen? Ich kann's Ihnen sagen.

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Apropos einchecken: Gestandene Seeleute sagen natürlich "einschiffen" statt einchecken und "ausschiffen", wenn’s darum geht, das Schiff zu verlassen. Wovon ich maritimer Dödel und Nautik-Simpel, dem bis dato nur "anschiffen" ein Begriff war, natürlich keine Ahnung hatte. Ich nähere mich, nachdem der Uber-Fahrer, der mich zum Hafen gebracht hat, und ich einander angebrüllt haben, in Miami nur semi-entspannt dem Pier. Am Terminal, das dem eines Flughafens ähnelt, zeigt sich gleich: Hier wird primär Englisch gesprochen. Was angesichts des Abfahrtshafens natürlich nicht sonderlich überrascht.

Wie viele Deutschsprachige sich auf dem Kreuzfahrtschiff "Norwegian Joy" der Reederei "Norwegian Cruise Line" verstecken, wird sich noch zeigen. Spätestens morgen in der Früh, wenn sie nach dem Massenstart aufs Sonnendeck unter Einsatz von Ellenbogen und Fäusten und mit Schaum vor dem Mund zu den Liegestühlen sprinten, um darauf ihre Handtücher zu werfen, während die entspannten Natives noch ihre Kissen im Gesicht haben. Wohin geht es überhaupt? Es geht von Miami nach Kolumbien, Panama und Costa Rica und schließlich noch über Guatemala und Mexiko nach Los Angeles.

Nach einer knappen Stunde Wartezeit in besagtem imposanten Terminal bin ich dann recht rasch an Bord. Ich stapfe die Gangway hinauf, folge willfährig den mir den Weg weisenden, freundlichen Uniformierten und stehe bald darauf in der Mitte eines langen schmalen Gangs vor der "Kajüte 9170". Wobei: Kajüte sagt man ja nicht mehr, glaube ich, ich stehe also wohl vor meiner Kabine. Wobei es auch sein kann, dass eine Kabine, wie eine Koje beispielsweise, nur ein Teil einer Kajüte ist – also gar nicht synonym verwendet werden darf. Es ist kompliziert.

Aber schön, dass ich angekommen bin. Meine Kabine ist mit knapp über 20 Quadratmetern nicht allzu klein und auch durchaus wohlgestaltet und bequem. Das Asset schlechthin: der Balkon, auf dem man beim Schlürfen eines Tequila Sunrise oder Nautical Negroni sicher gepflegt whales und dolphins watchen kann.

Und natürlich einfach deppert aufs Meer schauen. In Zeiten wie diesen sollte man im Sinne des Entschleunigens ja generell zwei Dinge viel häufiger tun: deppert dasitzen und deppert schauen!

Der Hocker für den Schreibtisch mag ja in seiner Symbiose aus ästhetischer Eleganz und funktionaler Raffinesse die Quintessenz modernen Sitzkomforts verkörpern, meinen hohen ergonomischen Ansprüchen wird er trotzdem nicht gerecht. Ich beschließe also, in meinen 15 Tagen an Bord 50 Prozent weniger zu arbeiten als ursprünglich geplant. Da kann ich sehr spontan sein.

Auf keine Kuhhaut allerdings geht, dass es in der Kabine kein Bullauge gibt. Eine Kreuzfahrt ohne Bullauge ist wie ein Bauernhof ohne Stall und im Grunde doch undenkbar, oder? Und was mir noch auffällt: Obwohl ich schon zirka 80 Minuten im Schiff bin, war ich noch keine Sekunde seekrank. Sollte ich nicht schon längst zumindest kurz über die Reling vomiert haben?

Zwischen Starbucks und Cocktailbars

Als jemand, der sich auch in Aufzügen verlaufen kann, wird mir beim ersten Herumflanieren durch die zahlreichen Decks schon etwas flau. War ich da nicht schon, oder ist das jetzt ein anderer Starbucks? Kann man auf einem Schiff überhaupt im Kreis gehen? Es deucht mir: Will ich mich hier mal halbwegs gut zurechtfinden, muss ich mit der Riesen-Schaluppe wohl einen auf Ferdi Magellan machen und mindestens einmal die Welt umsegeln.

Die gefühlt überall herumstehenden Cocktailbars werden mir altem Tresenhocker den Weg zurück zur Kabine 9170 vermutlich auch nicht einfacher machen – ganz besonders nicht vor dem Hintergrund, dass ich mir für dieses Abenteuer das Premium-Beverage-Package gegönnt habe, das absolut jedes Getränk bis 15 Dollar inkludiert.

Mandara Spa & Salon auf der Kreuzfahrt. © Christian Santiago

Ein Mann mit fettem, knallrotem Fleck im Gesäßbereich seiner beigen Hose ordert "another strawberry daiquiri, please!" an der zwischen "Le Bistro" und "Cagney's Steakhouse" gelegenen "A-List-Bar". Auf seinem ersten Erdbeer-Gesöff dürfte sich der rund 60-Jährige – wie auch immer er das geschafft hat – unabsichtlich niedergelassen haben.

Als der fast 326 Meter lange, 41 Meter breite und 66 Meter hohe Ozeanliner dann den Hafen in Miami verlässt, ist die Stimmung an Bord ausgelassen. Am Oberdeck wird mit Verve getanzt, im Atrium finden schon Bingo-Exzesse statt, und Miami Beach zeigt sich in der Abenddämmerung von seiner prächtigsten Seite.

Alle an Bord strahlen eine solch positive Energie aus. Ich bin längst tiefenentspannt, aber auch schon sehr neugierig, was die Kombüse so hergibt. Kombüse sagt man doch noch, oder?

Gaumenfreuden und Karaoke mit Shannon

Angesichts des Angebots in einem der Hauptrestaurants an Bord, dem "Savor", wird mir klar, dass ich in den kommenden 15 Tagen teilweise im Fitnesscenter wohnen werde müssen. Allein für die frittierte Fischplatte, die vorzüglich mundet, hat man mir ungefähr die halbe Karibische See paniert. Die Erfahrung wird mich aber lehren: Man wirft nur in den ersten zwei, drei Tagen unverschämt viel und primär Ungesundes rein.

Da man ja vermeiden möchte, mit einer Bruttoregistertonne mehr nach Hause zu kommen, isst man danach ab und an auch gebackene Champignons. "Just kidding!", würden die Amis jetzt sagen. Natürlich kann man sich auch auf der "Norwegian Joy" gesund ernähren.

Ah ja: Wer solo cruist, aber nicht immer alleine Zeit verbringen möchte, bekommt bei vom Schiff organisierten "Solo Traveler"-Meetings abends immer Gelegenheit, andere kennenzulernen. Ich weiß zu diesem Zeitpunkt nicht, ob ich zwischen Ausflügen, Völlereien und den Zeiten im Gym auch noch Mitmenschen unterbringen kann.

Nach zwei Tagen auf See zu meiner Überraschung kann ich mich auf dem Schiff bereits ganz gut orientieren findet in Kolumbien der erste Landgang statt: in Cartagena, der sichersten Stadt des Landes. Die auch als "Perle der Karibik" bezeichnete City mit Kolonialflair offeriert hinter ihrer langen Stadtmauer bunte historische Häuser, pulsierendes Leben und nur einen Steinwurf entfernt das karibische Meer. Am Ende der Exkursion freunde ich mich mit einer Bande Papageien an, die in einem Park nahe dem Pier abhängt.

Noch nie so ganz anfreunden konnte ich mich bis dato mit Karaoke. Aber aus irgendeinem Grund biege ich am frühen Abend zurück an Bord in den "Cavern Club" ab, wo Shannon aus Vancouver gerade auf der Bühne mit "Stairway to Heaven" ringt. Weil niemand weiß, ob er lachen oder weinen soll, entscheiden sich alle fürs Anfeuern. Shannon träumt vermutlich heute Nacht von einem Plattenvertrag.

Ein Cruise-Highlight: Der Panama-Kanal

Am nächsten Tag cruisen wir durch den 1914 erbauten und 82 Kilometer langen Panama-Kanal, ein Meisterwerk der Ingenieursbaukunst und ein veritables Abenteuer. Um vom Atlantik durch den Kanal zum Pazifik zu gelangen, müssen Schiffe drei Schleusen und einen Höhenunterschied von 26 Metern überwinden.

Der Ausblick auf den Gatúnsee in der Mitte des Panama-Kanals ist, während man am Laufband im riesigen Gym dahinschwitzt und versucht, Ballast abzuwerfen, ein absoluter Hammer. Die kleinen grünen Inseln, die an einem vorbeiziehen? Malerisch!

Womit ich nicht gerechnet habe: dass Kreuzfahrtschiffe dieser Dimension tatsächlich so etwas wie schwimmende Vergnügungsviertel sind und mit einer derart gewaltigen Melange an Gastronomie-, Freizeit- und Kulturangeboten aufwarten – von zahlreichen Restaurants und Bars über ein Theater für 800 Leute, in dem Musik-, Kabarett und Comedy-Darbietungen über die Bühne gehen, bis hin zu Shops, einem Casino, Spa und Fitnesscenter sowie einer "Splash-Academy" für Kids.

War der Nachmittag auf der Go-Kart-Bahn angesichts dessen, dass mich irgendeine unsympathische Mittsechzigerin vor der Parabolika ausgebremst hat, für mich persönlich eher zum Heulen, gestaltet sich der Abend ob eines formidablen Motown-Gigs im "Joy Theater" und einer Stand-up-Performance im "Social Club" hingegen sehr vergnüglich. Der "Social Club" ist ein Veranstaltungsraum, der nach der letzten Performance um 22 Uhr zur Diskothek umfunktioniert wird.

Hier können sich die Leute entspannen. © Christian Santiago

Der inoffizielle Star an Bord

Dass der lange Dürre, der täglich exakt um 22:01 Uhr auf die Tanzfläche des "Social Club" springt und dort dann exzessiv abzappelt, ziemlich sicher von der Reederei als "Eintänzer" angeheuert wurde, schießt mir erst am dritten Tag in den Kopf. Die Strategie, ihn unter der Diskokugel so richtig erbärmlich shaken zu lassen, ist ziemlich smart. Obwohl sie noch nüchtern sind, gesellen sich schnell die ersten Bewegungswilligen zum Langen, weil alle wissen, dass sie sich neben dem sogar mit dem Ententanz profilieren können.

Der Lange wird trotzdem rasch eine Celebrity des Schiffs, denn auch tagsüber läuft er einem auf der Galerie des Pooldecks ständig über den Weg. Stundenlang dreht der Mann, der kein Gramm Fett zwischen den Rippen hat, dort im Jogginganzug seine Runden. Will sich der Lange mal für ein halbes Stündchen entspannen, schwimmt er vermutlich neben dem Ozeanriesen her. Noch heute würde mich interessieren, was die kürzeste je gemessene Distanz zwischen dem Langen und einem Wiener Schnitzel mit Pommes ist?

Klar ist das andere Geschlecht im "Social Club" auch Thema. Man nimmt schon wahr, dass der eine oder andere dort hofft, hier die Tochter des Kanoniers oder zumindest die Nichte eines reichen Onkels aus Amerika kennenzulernen. Weil: Sozial ist der "Social Club" durchaus.

So schnell kann man gar nicht schauen, trinkt man an der Bar mit Barbara aus Miami, Ronald aus Little Rock, Helena aus Hamburg sowie Birte und Christofer aus Kopenhagen zwei bis acht Pistazien-Shots, während der Lange auf der Tanzfläche einen auf Verrenkungs-Robo macht. Das Leben ist eigentlich ziemlich in Ordnung.

In kurzer Zeit viel erlebt

Okay, die Leute auf dieser "Joy"-Cruise sind im Durchschnitt tatsächlich eher reiferen Semesters, was natürlich auch dem Dezember geschuldet ist – also einer Zeit, in der Familien und Jüngere eher weniger urlauben. Der Stimmung an Bord ist das nicht abträglich, lassen ja alleine schon die Altvorderen der 68er noch immer gern die Sau raus, während nachfolgende Generationen daheim Bulgur-Rezepte sondieren und Sudoku spielen.

Gut ist die Gemütslage übrigens auch bei den Exkursionen, die mir im Zuge der Cruise unter anderem noch in Costa Rica Krokodile in freier Wildbahn, in Guatemala die zum Weltkulturerbe zählende Schönheit und barocke Kolonialstadt La Antigua Guatemala und in Mexiko Dschungel- und Wüstenwanderungen sowie pittoreske Strände bescheren. Zugegeben: Dazwischen muss man immer wieder bei Tequila- und Craftbier-Verkostungen ein paar Stunden wissenschaftlich arbeiten. Aber es gibt Schlimmeres.

Nicht nur nach wissenschaftlichen Forschungen dieser Art sind die US-Amerikaner agil, freundlich und redselig. Ob im Fahrstuhl, an der Bar oder in der mächtig Ausblick eröffnenden "Observation Lounge": Immer haben sie einen kleinen Joke auf Lager. Droht ein unangenehmes Päuschen beim Smalltalk, grätschen sie schon mit dem nächsten Späßchen hinein.

Und wenn sie länger als fünf Minuten mit dir konversieren, laden sie dich auch ein. Nicht auf den nächsten Mojito und nicht dazu, gegen sie Bingo zu spielen, sondern zu sich nach Hause. Ich muss unbedingt ganz fix Peter und Paula in Texas, Earl und Blanche in Ohio und am fixesten Jack und Hazel aus Florida besuchen, die schon über 100 Cruises hinter sich haben.

Ich werde auf diese netten Offerten eher nicht zurückkommen, weil ich davon ausgehe, dass sie, wenn ich ihnen einen konkreten Termin vorschlage, just in dieser Zeit ihrem Hund oder sonst wem eine Woche durchgehend mit irgendwas die Ohren einträufeln müssen. Oder so. Ich mag sie trotzdem, die Amis.

Spektakel auf hoher See

Das Allerschönste an diesem zweiwöchigen Abenteuer an Bord? Die Magie, die sich aufspannt, wenn sich Himmel, Wolken und Wasser in der Morgen- oder Abenddämmerung in kürzester Zeit in unterschiedlichsten Farben präsentieren. Mal blicke ich auf ein zartes Rosa, mal ist vor mir alles in Aquarellfarben getaucht und wechselt kurz darauf zum orange-blauen Spektakel.

Ich habe rund 200 Handyaufnahmen von diesem Faszinosum, aber noch viel mehr Erinnerungen. Und vorbeispringende Delfine sieht man auch nicht alle Tage.

Ich will die auf der "Joy" gemachten Erfahrungen nicht missen. Man ist schon erstaunt, wie durchorgansiert auf so einem Schiff die Dinge ablaufen können. Die Logistik? Irre gut. Ich persönlich hätte größere Zeitfenster für die Landausflüge gut vertragen, um mir noch mehr Eindrücke von der Handvoll Länder, die man in doch sehr kurzer Zeit besucht, abholen zu können. Für andere war das absolut ausreichend.

Viele nutzen Cruises auch, um abzuchecken, welche Länder das Zeug für längere Urlaube haben. Dass mir in 15 Tagen nicht ein einziges Bullauge untergekommen ist, ist natürlich eine herbe Enttäuschung, mit der es zu leben gilt. Dafür war mit der Mittachtzigerin, die sich am Pooldeck bei "Highway to Hell" dem gnadenlosen Headbangen hingegeben hat, nicht zu rechnen. Langweilig, bieder und den Betuchteren vorbehalten? Diese Vorurteile habe ich auf der "Joy" eigentlich über Bord geworfen.

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