Sie haben es nochmal getan! Der Entertainer und Satiriker Jan Böhmermann und sein Podcast-Partner, der Singer-Songwriter und Moderator Oli Schulz, kommentierten am Samstagabend für den österreichischen Radiosender FM4 den Eurovision Song Contest (ESC) im schwedischen Malmö. Für die Buhrufe während des israelischen Beitrags und der Jurywertung hatten die beiden Satiriker, die den Abend durchaus launig kommentierten und eigentlich "nicht zu politisch" werden wollten, kein Verständnis.

Eine Kritik
Diese Kritik stellt die Sicht von Robert Penz dar. Informieren Sie sich, wie unsere Redaktion mit Meinungen in Texten umgeht.

Aus einer nicht allzu gemütlichen Kabine. "Ich weiß, ihr habt es besonders gern, wenn ich den österreichischen Dialekt nachmache", so Böhmermann gleich zu Beginn ironisch an das österreichische Publikum, das ja eines besonders nicht mag: Wenn jemand aus Deutschland versucht, einen österreichischen Dialekt nachzumachen. "Klingt wie Bairisch auf Wish bestellt", meinte irgendwer auf X, vormals Twitter.

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Erst nach dem Refrain quatschen

Obwohl natürlich auch viele jener Österreicher, denen der ESC mit Originalkommentar eher Schmerzen bereitet, den beiden deutschen Freunden lauschten, adressierten Böhmermann und Schulz, die im Radio und im Videostream kommentierten, natürlich primär ihre deutschen Zuseher.

"Ich habe mich heute überraschenderweise nicht vorbereitet", gestand Ersterer gleich zu Beginn. Die massive Präsenz der Polizei am ESC-Wochenende schmeckte Böhmermann überhaupt nicht. "Alles voller Bullen", so der 43-Jährige, dem die politische Dimension des diesjährigen Spektakels natürlich ebenso nicht verborgen blieb. "Das Event ist eigentlich dazu gedacht, Menschen zusammenzubringen", so der in Bremen Geborene, der schon in den ersten Minuten heftigen Sprechdurchfall hatte und ein wirklich hohes Tempo ging. Die Pointen zunächst? Medioker.

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Schulz hingegen benötigte keine Anlaufzeit. "Wenn man dreimal für das Land den ESC moderiert, bekommt man die österreichische Staatsbürgerschaft", witzelte der 50-Jährige, der für Böhmermann einen gelungenen Vorschlag bei der Hand hatte: "Lass uns immer den ersten Refrain abwarten, bevor wir anfangen zu quatschen!"

Böhmermann war damit halb einverstanden. "Es sei denn, es ist ein beschissenes Lied. Was willst du dann machen? Wenn’s scheiße ist, ist’s scheiße", so der Satiriker, der mit seinem hellblauen Hemd über einem weißen Unterhemd einen auf Stefan Raab machte, fatalistisch.

Schweres Erbe für Böhmermann und Schulz

"Wir werden versuchen, den Abend für Sie akustisch ein wenig einzuordnen", meinte Böhmermann unmittelbar vor dem Start der Performances in seriösester Eurovisions-Stimme. "Malmö ist übrigens nicht die Hauptstadt von Schweden", erklärte er uns. Schulz wurde unrund.

"Echt nicht? Dann hör ich sofort auf zu moderieren. Ich mach nur Hauptstadt", so der 50-Jährige indigniert. Er und Böhmermann traten im vergangenen Jahr ja ein schweres Erbe an, da das deutsch-österreichische Satiriker-Duo Dirk Stermann und Christoph Grissemann – in Österreich eine veritable Institution – das Geschehen am ESC von 1995 bis 2002 für FM4 kommentiert hatte.

"Meine erste ESC-Erinnerung stammt tatsächlich aus dem Jahr 1982 mit 'Ein bisschen Frieden' von Nicole. Schön war das, heile Welt", offenbarte Schulz, der schon nach wenigen Sekunden des schwedischen Songs "So, ich glaube, wir können anfangen zu reden" meinte. Er schien "Unforgettable", den Beitrag von Marcus & Martinus, für nicht sonderlich spannend zu halten.

Isaak zwischen brennenden Mülltonnen

Dann war Isaak mit "Always on the Run" für Deutschland an der Reihe. "Da kann man schon mal sagen: Da ist viel Feuer im Spiel", so Schulz über die Performance des sympathischen korpulenten Sängers, der durch eine rezyklierte Rammstein-Bühne mit unzähligen, laut Schulz, "brennenden Mülltonnen" tanzte. "Pscht!", ermahnte Böhmermann seinen Partner, der euphorisch mitträllerte.

"Absolut starke Performance. Wirklich gut abgeliefert", so schließlich der ernstgemeinte Befund der beiden Kommentatoren aus der Minikabine ohne Ausblick auf die Bühne. Danach musste erstmal etwas gegen den Hunger getan werden. "Die Leute liebe es ja, wenn wir in der Sendung essen", erklärte Schulz, der an den Trüffelchips aber etwas auszusetzen hatte: "Die sind so fettig, dass du am nächsten Tag so fette Beulen im Gesicht hast.

Nach dem Auftritt der israelischen Vertreterin Eden Golan habe es laut Böhmermann, dem eine Kollegin aus dem Auditorium zuvor berichtet hatte, neben sehr viel Applaus auch sehr laute Buhrufe gegeben, die man jedoch im TV nicht hören konnte, da sie gefiltert wurden. "Die hatte keine einfache Zeit hier", so Böhmermann über die 20-jährige israelische Sängerin.

Nach dem ersten Bier wurde auch er dann durchaus witzig: "Ist ´ne ‚Coole Jungs‘-Truppe, die überlegt haben: ‚Was machen wir? Crack kochen? Ah, nein, komm wir gehen zum ESC", so der 43-Jährige über die Männerband "5Miinust & Puuluup", die für Estland über die Bühne hopste.

Schulz‘ singender Fußmasseur

Schön auch, dass Schulz meinte, im lettischen Sänger Dons den Mann zu erkennen glaubte, der ihm seinerzeit auf einer Ayurveda-Kur die Füße massiert hatte. "Vielleicht ist das der Typ, der mir die Füße gemacht hat", so Schulz, der damit Böhmermann zum Lachen brachte und dann auch noch Intimes offenbarte: "Ich wurde auch schon von zwei Männern massiert."

Generell waren es vor allem Schulz` willkürliche Kommentare, die nicht nur seinen Kabinenpartner amüsierten. "In Norwegen habe ich die beste Blauschimmelkäse-Pizza meines Lebens gegessen", ließ er uns etwa vor der Performance der Band Gåte wissen. Dass ihm 1985 im Zuge eines Urlaubs mit den Eltern am Strand von Bibione die Hose gerissen ist, ist auch schön zu wissen.

Der scheinbar unten nackt für Finnland auftretende Windows95man brachte dann Böhmermann in Rage. "Er hat ein Suspensorium drüber, der Pimmel ist nicht frei", schien es ihm wichtig, die Hörer und Seher aufzuklären. Und noch einmal: "Der tut so, als wäre er unten ohne, dabei ist er gar nicht unten ohne. Der Schwanz ist nicht zu sehen", beschwerte sich Böhmermann, der sich aber auch darüber echauffierte, dass Windows95man zur Zeit von Windows 95 noch gar nicht auf der Welt gewesen sei.

"Der hat Windows 95 nie selbst erlebt", beklagte er sich. Eine MS-DOS-Eingabeaufforderung würde der Finne ebenso nicht kennen. Keinen Grund zur Beschwerde fanden die beiden danach beim Auftritt des Schweizers Nemo. "Ist das eine geile Nummer? Ich sag jetzt mal: gewinnt! Nemo gewinnt, ist meine Meinung. Perfekt gesungen, Mega-Performance", prophezeite Schulz.

Kirmestechno statt faschistoiden Volksrock

Nicht ganz so gut fand Olli Schulz dann den Beitrag, der an Rammstein mit ein paar "DJ Bobo"-Einspritzungen erinnerte, und die Choreographie des Kroaten Baby Lasagna: "Diese Handbewegung, dieser Move ist jetzt nicht so originell, dass ich ihn eine Minute machen würde. Wenn der heute gewinnt, moderier ich zum letzten Mal", drohte er.

Dann der letzte Beitrag des Abends: Österreich. "Von Malmö geht es jetzt nach Österreich, in unser Heimatland", witzelte Böhmermann, als Sängerin Kaleen die Bühne betrat. Der Satiriker weiter: "Hier zeigt Österreich Europa: Wir können nicht nur schwülstigen, leicht faschistoiden Volksrock, wir können auch Kirmestechno. Find ich gut. Und die Halle geht echt ab." Sowohl er als auch Schulz tippten auf die Schweiz als Gewinner des ESC 2024.

Je länger der Abend und je mehr Biere sich die beiden verinnerlichten, desto besser wurden die Kommentare von Schulz und Böhmermann, dessen Sager wiederum zunehmend politischer wurden, was der einstige "Neo Magazin Royale"-Moderator stets mit einem "Aber jetzt nicht zu politisch werden!" apostrophierte. Dass Deutschland im Zuge der anschließenden Wertungen Punkte erhielt, überraschte, dass die Israelin, die die Punkte der Jurywertung ihres Landes verlautbarte, ausgepfiffen wurde, ärgerte die beiden FM4-Kommentatoren mächtig: "Fickt euch! Fickt euch hart, Ihr Wichser", wurde Schulz explizit.

"Und was sagst zu den Punkten von Österreich?", forderte der danach einen Kommentar von Böhmermann angesichts der wenigen Punkte, die das Land ihres Auftraggebers auf dem Konto hatte: "Enttäuschend, wären wir als Land groß genug, würde ich einen Weltkrieg anzetteln", so Böhmermanns Antwort.

"Halt mal die Fresse jetzt hier!"

Olli Schulz zu Böhmermann

Die Propheten aus der Minikabine, die nicht zu politisch werden wollten, lagen jedenfalls richtig. Die Schweiz machte das Rennen. "Einfach geil gesungen, komm, hören wir nochmal. Halt mal die Fresse jetzt hier", herrschte Schulz den ständig quasselnden Böhmermann an, als die nonbinäre Person Nemo, die für den insgesamt dritten ESC-Sieg der Schweiz sorgte, erneut die Bühne betrat, um ein zweites Mal die Bombastnummer "The Code" zu singen.

Deutschland landete auf dem zwölften, Österreich auf dem vorletzten Platz. "Vielen lieben Dank, dass ihr heute mit dabei wart. Ihr wart ein richtig tolles Publikum", so Böhmermann am Ende einer langen Nacht. "Und sorry, wenn wir ein bisschen drübergequatscht haben. Hier geht’s aber am Ende um das Herz und das Einfangen der Stimmung in der Halle", erklärte Schulz noch.

Er und Böhmermann haben einen ordentlichen Job gemacht. An das Duo Stermann & Grissemann reichten die Kommentare jedoch nicht annähernd heran.

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