Wladimir Putins Angriffskrieg auf die Ukraine kostet bereits mehr als einen Monat lang die Leben unschuldiger Zivilisten – von Frauen, Kindern und Schwangeren. Die Bundesregierung kann sich jedoch weiterhin nicht zu Lieferungen halbwegs einsatzfähiger Waffen durchringen. Auch der tägliche Ankauf von russischem Gas geht ungerührt weiter. Intentionen, ihn zu beenden, um nicht mittelbar einen verbrecherischen Krieg zu finanzieren, sind nicht erkennbar.

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So fließen weiterhin rund 200 Millionen Euro pro Tag in Putins Kriegskassen, damit deutsche Politiker sich weniger unangenehme Fragen anhören müssen als warum sie jahrzehntelang auf fossile, klimafeindliche Energie aus einem diktatorisch geführten Russland gesetzt haben.

Die Nachrichtenlage erholt sich ebenfalls nicht. Viele militärisch bewanderte Experten halten einen Sieg Russlands mittlerweile für ausgeschlossen. Eine gute Nachricht ist das allerdings nur bedingt.

Man muss kein strategisches Genie sein, um die Verhaltensmuster des Kriegsverbrechers im Kreml so zu deuten: Putin wird sich vermutlich nicht vor der Welt und seinem eigenen Volk als Verlierer demütigen lassen wollen. Alles andere als ein „Gesamtsieg“ wäre für ihn indes eine Niederlage. Angetreten, um innerhalb von Stunden die Ukraine einzunehmen und dabei auf ein größtenteils williges ukrainisches Volk zu treffen, das die russischen Soldaten als Helden der Befreiung feiern würde, steht Putin jetzt mit massiven Verlusten vor einem Scherbenhaufen einer in allen Punkten gescheiterten Strategie.

Einige Generäle mussten schon gehen, das militärische Blatt hat sich dennoch nicht gewendet. Die Ukrainer und Ukrainerinnen stemmen sich mit allem was sie haben gegen die Invasoren im Putingewand, während wir mit Lichterketten und Gelb-Blau getauchten Profilbildern maximal Weltmeister der Couch-Solidarität werden.

Unseren täglichen Lindner gib uns heute

Um so fassungsloser macht da die Meldung, Christian Lindner, immerhin Finanzminister, hätte am Tag des Kriegsbeginns dem ukrainischen Botschafter Andrij Melnyk mit süffisantem Lächeln im Gesicht eröffnet, weder Waffenlieferungen an die Ukraine noch ein SWIFT-Ausschluss Russlands würden irgendeinen Sinn machen, da die Ukraine ja nur wenige Stunden gegen Russland durchhalten würde. Das jedenfalls behauptet Melnyk in einem Interview mit der „FAZ“. Weder ist klar, ob Lindner damals im Namen der Regierung sprach und das Motto „Wir helfen einfach mit nix, denn Russland hat die Ukraine sowieso bis morgen platt gemacht“ tatsächlich offizieller Standpunkt der Ampel-Koalition war, oder ob Lindner nur persönlich mal wieder abgewogen hat, ob ihm Spritpreise wichtiger sind oder Menschenleben.

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Melnyk jedenfalls, ein gestandener Mann, soll danach geweint haben. Das ist grundsätzlich keine Seltenheit nach Gesprächen mit Lindner, so hört man aus dem politischen Berlin. Sollte sich diese Episode allerdings tatsächlich so abgespielt haben, ist das natürlich trotzdem eine ganz neue Qualität von „der Markt regelt das“: Offiziell einkalkulierte militärische Bauernopfer in der Zivilbevölkerung für das Aufrechterhalten eines reibungslosen Energieflusses.

Ob Lindners Empathie-Hausse gleichzeitig auch der Katalysator für das Scheitern der FDP an der 5%-Hürde bei der Landtagswahl im Saarland am Sonntag war, ist Spekulation. Als FDP im Kielwasser der beispiellosen Selbstdemontage des Amtsinhabers von der CDU nicht mal ins Parlament zu kommen, ist dementgegen so oder so bemerkenswert.

SPD im Siegesrausch

Der große Sieger des Abends ist dagegen die Sozialdemokratin Anke Rehlinger. Mit rund 44% und einem Zugewinn von etwa 14% hat sie ein legendäres Ergebnis hingelegt, das man in der inzwischen um viele Parteien angewachsenen Wahlrealität kaum mehr für möglich gehalten hatte. Stichwort viele Parteien: Eine, die im Saarland stets recht ordentlich abschneiden konnte, ist Die Linke. Hier haben die Wähler und Wählerinnen den mittlerweile nur noch unter schweren Schmerzen auszuhaltenden intellektuellen Eskapaden der Gallionsfigur Sahra Wagenknecht und der insgesamt zweifelhaften Einstellung der Partei zu Putin einen ziemlich deutlichen Denkzettel verpasst: 2,5%. Eine Blamage von historischem Ausmaß.

Dabei wäre Die Linke in einem kleinen Bundesland wie dem Saarland ja schon bei etwa 12% gelandet, wenn für jeden missglückten Talkshow-Auftritt von Sahra Wagenknecht nur ein einziger Saarländer sein Kreuz bei der aus der SED-Nachfolgepartei PDS hervorgegangenen, naja, demokratisch-sozialistischen Partei gemacht hätte.

K.O. geschlagen von einer Maus

Eine weitere Erkenntnis dieser Woche ist sicherlich, dass weiße Männer, die sich mit geballter Männlichkeit und dem geschmeidigen Charisma eines Öltankers mit ihren Smartphones vor Tankstellen aufbauen, um per Instagram-Story für die verbliebenen Audience aus bildungsfernen Vollproleten, Sexisten, Rassisten und Empörungsjunkies gegen Spritpreise und die Regierung zu hetzen, kurz danach einen Komplettabsturz erleiden. Tobias Hans, der vor Zapfsäulen gerne hemdsärmelig Geringverdiener beleidigt: Brutale Niederlage als amtierender Ministerpräsident im Saarland. Politische Karriere wohl vorbei.

Und auch der ehemalige Chefredakteur der Bild-Zeitung, Julian Reichelt, hatte sich wohl kaum vorstellen können, dass nach seinen Feldzügen gegen Angela Merkel, Christian Drosten oder Karl Lauterbach ausgerechnet eine Maus ihn argumentativ beerdigen würde. Also eine echte Maus. Keine aus seinem Hotel-Portfolio. In seinem zuletzt aus Mangel an Zugriff auf Boulevard-Titelseiten vermehrt bei Twitter ausgelebten Echauffierungs-Dilemma widmete er sich jüngst der „Sendung mit der Maus“. Die hatte sich diesen Sonntag mit dem Thema „Transsexualität“ beschäftigt, was den lupenreinen LGBTQ-Verfechter in einen solch beängstigend pathologischen Komplett-Furor versetze, dass ihm beinahe seine gefälschten Scheidungspapiere aus der Hand gefallen wären. In tobsüchtiger Insurrektion und blindem Hass auf die öffentlich-rechtlichen Sender twitterte er: „In der Sendung mit der Maus wird der Zielgruppe der 4- bis 9-Jährigen heute erklärt, was eine Transperson ist. Demnächst: Warum es Mann und Frau gar nicht gibt. Ideologisch-sexualisierte Früherziehung mit Zwangsgebühren.“

Der Blaue Elefant im Raum

Die Antwort der von ihm später noch als „Zwangsmaus“ bezeichneten Hauptprotagonistin aus der „Sendung mit der Maus“ ließ nicht lange auf sich warten: „Die heutige Sendung findest du in der Mediathek. Auch als erwachsene Person kann man bei uns noch viel lernen zu relevanten Themen wie z.B. Toleranz. Die Maus ist dazu da den Horizont für Groß und Klein zu erweitern.“ Neudeutsch muss man das wohl als einen „Burn“ bezeichnen. Hoch geflogen, hart verbrannt, abgeschmiert. Der Ikarus des Relevanzverlusts. Die Antwort jedenfalls erhielt innerhalb von wenigen Stunden annähernd 50.000 Likes, etwa 16-mal so viele also wie der transphobe Ausgangstweet.

Die seit 1971 ausgestrahlte „Sendung mit der Maus“ hat über die Jahrzehnte so ziemlich jeden wichtigen Medienpreis abgeräumt. Darunter Bambi, Grimme-Preis, Deutscher Fernsehpreis, Telestar, Bayrischer Fernsehpreis, Bundesverdienstorden, Goldene Kamera. Der Ende letzten Jahres unehrenhaft entlassene Ex-Chefredakteur, dem selbst enge Vertraute nachsagen, er agiere beim Thema Einsicht möglicher eigener Fehler nicht unbedingt nobelpreisverdächtig souverän, hat dagegen immerhin „Viertel nach Acht“ erfunden. Ein News-Format auf dem TV-Sender „Bild TV“, das zwar kaum auf messbare Einschaltquoten kommt, sich aber dafür zuverlässig als unversiegbare Quelle für Realsatire etabliert hat. Und somit auch einen kleinen Beitrag für eine bessere Welt leistet. Es sichert die Existenz zahlreicher Comedians und Gagschreiber, für die sich die intellektuellen Bankrotterklärungen, die die Moderatoren und Moderatorinnen dort täglich stabil abliefern, wie Lottogewinne anfühlen müssen.

Zum Abschluss und zur Beruhigung noch ein Zitat von Micky Beisenherz, das stellvertretend zeigt, dass der erneute Ausflug in die hetzerischen Niederungen der verbalaggressiven Rechtsrechtsaußen-Bubble auch zahllose Feedbacks von so ziemlich jeder relevanten Person des öffentlichen Lebens provozierte. Der Erfinder von „Apokalypse und Filterkaffee“ (das täglich etwa so viele Zuschauer haben soll, wie „Bild-TV“ im Halbjahr) wies auf Folgendes hin: „In Anbetracht der metooesken Umstände, unter denen Julian Reichelt aus dem Amt scheiden musste finde ich seine Verwendung des Begriffs #Zwangsmaus zumindest sehr mutig.“ Mit diesen Worten entlasse ich Sie heute dann in eine hoffentlich bessere Woche als die vergangene. Bis Montag!

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