Es ist heiß in Berlin an diesem Samstagabend. Vielleicht etwas zu heiß. Berlin ist da genau wie New York. Nicht, was die Kultur angeht. Oder die Kunst. Oder die Musikszene. Man sitzt in Berlin auch nicht zufällig im Restaurant plötzlich neben Leonardo diCaprio oder Justin Bieber. Oder läuft versehentlich Fran Lebowitz in den übergroßen Herbstmantel. Nein, in Berlin trifft man alle diese Menschen nicht.
Wenn es schlecht läuft, trifft man dafür aber Jakob Augstein, Richard A. Falk, Svenja Flaßpöhler, Thomas Glauben, Josef Haslinger, Elisa Hoven, Alexander Kluge, Christoph Menke, Wolfgang Merkel, Julian Nida-Rümelin, Robert Pfaller,
Modern besser nicht mehr so viel Talking
Modern Talking, stets angeführt von
Die Quintessenz jedenfalls des diesen Monat mal mit "Waffenstillstand jetzt!" titulierten Aufgusses eines bereits Ende April von einer weitestgehend deckungsgleichen Zynismus-Brigade unter der Regie der Diplom-Sachverständigen für Kriegstaktik Alice Schwarzer veröffentlichten Textes ist eine 1:1 Kopie einer schon damals hochproblematischen These: Deutschland sollte der Ukraine keine Waffen liefern, damit der Krieg nicht unnötig in die Länge gezogen wird. Dieser Brief schließt mit einer dramatisch unterkomplexen Forderung: Schluss mit Waffenlieferungen.
Ein Verhalten, das einer Kapitulation der Ukraine gleichkommen würde. Einem völkerrechtswidrig überfallenen Land, das sich anschließend dem größenwahnsinnigen Zarenreich-Erneuerer
Leerdenken leichtgemacht
Und auch die Lernkurve der beteiligten Edelfedern mit Buchabsatz-Störung, Hobbyphilosophen mit Talkshow-Turkey und den anderen Ensemble-Mitstreitern des Musicals "Frieden schaffen nur mit Gaffen" scheint eher dem aktuellen Kurs des Bitcoins zu gleichen als einer Erfolgsstory. Während Richard David Travolta und Olivia Newton-Zeh darauf hoffen, demnächst mit der Goldenen "Darüber wird zu reden sein"-Medaille ausgezeichnet zu werden, weht ihnen eine steife Querdenker-Brise euphorischer Zustimmung entgegen.
Schon beim ersten Offenen Brief, der als Kleinod gnadenloser Selbstinszenierung in die Geschichtsbücher eingehen wird, gab es quasi ausschließlich Jubel aus einer Ecke, von der man normalerweise hofft, man hätte schon alle lange bei Twitter geblockt. Eine bildungsferne Melange aus Ex-Kommentarspalten-Topvirologen, die inzwischen auf Putinversteher umgeschult haben, AfD-Claqueuren, Absolventen der Telegram-Universität für Selbstdenker und "Great Reset"-Schwurblern. Und was soll ich sagen: Geschichte wiederholt sich.
Endlich mal für Precht und Ordnung sorgen
Ich glaube, es war Albert Einstein, der mal gesagt hat "Die Definition von Wahnsinn ist, immer wieder das Gleiche zu tun und andere Ergebnisse zu erwarten". Was die Kompanie der Kriegswegschwafler dazu bewogen hat, davon auszugehen, dass sie für ihren bahnbrechenden Vorschlag, die Parteien sollten unbedingt zu Verhandlungen gedrängt werden, dieses Mal plötzlich Applaus aus einer Richtung bekommen würden, für die man sich nicht den Rest seines Lebens schämen muss, wird wohl das Geheimnis von Friedensengel Precht und seiner Arbeitsgemeinschaft "Diplomatie für Dummies" bleiben. Klug genug, um zu wissen, dass es kein Zufall ist, dass die Schnittmenge zwischen Impfgegnern und Waffenlieferungsgegnern sogar größer ist als die Schnittmenge zwischen CEOs von Mineralölkonzernen und Christian Lindner Fans, sind die meisten der Unterzeichner ja eigentlich.
Die Laudatio bei der Preisverleihung des auf "Cool Precht & The Offene Brief Gang" wartenden Friedensnobelpreises halten natürlich Sahra Wagenknecht und Markus Lanz, das dynamische False Balance Duo der Öffentlich-Rechtlichen. Danach werden der Rummeltruppe der Realitätsverweigerer noch schnell Ehren-Diplomatenpässe verliehen. Die Forderung, die Ukraine sollte bitteschön alleine klar kommen, weil wir ihren Niedergang nicht noch in die Länge ziehen möchten, ignoriert zwar zum einen, was die Ukraine möchte, die in diesem Ränkespiel der Pseudointelligenz (überraschend offenbar auch für Herrn Precht) immer noch das Opfer ist. Und auch, was Russland dort bereits für Gräueltaten begangen hat. Zum anderen wird ignoriert, dass ein militärisches Einknicken vor dem russischen Angriffskrieg nicht für Frieden, sondern für das Gegenteil sorgen würde – nämlich einen Freifahrtschein für Putin.
Diplomatie für Dummies
Aber zurück nach Berlin. Was ist denn nun gleich an Berlin und New York? Dass alle lieber Leo diCaprio als Jakob Augstein beim Essen begegnen möchten - klar. Die Antwort lautet daher: Das Wetter. Berlin und New York haben, wenn man es genau betrachtet, kaum wunderschöne Tage. Es ist entweder viel zu heiß oder viel zu schmuddelig. Entweder man möchte 24 Stunden am Tag unter der eiskalten Dusche schlafen, oder ein bitterkalter Wind schält dir die letzte jugendliche Feuchtigkeit aus den Pausbäckchen.
Dort jedenfalls, in Berlin, spaziere ich an diesem Samstagabend vom Bebelplatz zum Hackeschen Markt und sehe eine Gruppe älterer, eher konservativ gekleideter Menschen. Ich stelle mir vor, drüben im Kronprinzenpalais wäre die Jahreshauptversammlung der Stiftung "Frieden schaffen mit Offenen Briefen" und Precht, Zeh, Flaßpöhler, Augstein,
Als konsequent folgsame Ritter der prechtschen Schwafelrunde entscheiden die umstehenden Passanten und die herbeieilenden Polizisten aber natürlich, zunächst einen Offenen Brief an den Berliner Senat zu schreiben, damit die erstmal alles daransetzen, die Kontrahenten an den Verhandlungstisch zu bringen. Denn Waffenlieferungen und ein Einmischen von Außerhalb des Konflikts verlängern ja nur die Kampfhandlung. Außerdem könnten die Angreifer dann sauer auf uns Unbeteiligte werden. Und überhaupt: 80 bewaffnete Gangster gegen 21 Briefe schreibende Friedenstauben, der Konflikt ist doch ohnehin nach spätestens zwei Minuten entschieden.
Was soll man da groß helfen oder intervenieren? Diplomatie ist das Stichwort! Das teilen wir dann auch noch schnell Precht und den paar noch lebenden Mitunterzeichnern mit und widmen uns dann wieder unseren eigenen Problemen. Man kann sich nicht um alles kümmern, vor allem wenn man sonst selbst zur Zielscheibe werden könnte. Zivilcourage ja, aber nicht, wenn es unbequem werden könnte. Dann müssen warme Worte reichen.
Dann wache ich auf. Es ist schon lange Sonntag und ich habe verschlafen. Außerdem hatte ich einen dubiosen Traum. Draußen Unter den Linden suchen Touristen das Brandenburger Tor und Influencer springen in ihre Handykameras. Niemand hat irgendwen überfallen. Keiner wurde verletzt. Also, jedenfalls keiner, dessen Name hier heute genannt wurde. In der Ukraine sind dagegen viele Menschen verletzt worden, viele getötet. Zivilisten darunter, vermutlich sogar Kinder. Zum Glück gibt es aber
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