Früher, so sagt man landläufig, war nicht alles besser. Manches allerdings schon. Die Diskussionskultur beispielsweise. Oder, eventuell, das könnte auch sein, waren lediglich die Verbreitungsmöglichkeiten für Meinungen eingeschränkter.

Eine Kolumne
Diese Kolumne stellt die Sicht von Marie von den Benken dar. Informieren Sie sich, wie unsere Redaktion mit Meinungen in Texten umgeht.

Schwierig war es früher vor allem für Diskursteilnehmer, die wenig Substanz, wenig Inhalt und wenige Argumente mitbrachten - ihre Absender dafür aber reichlich Selbstbewusstsein und eine Familienpackung Geltungsdrang. Damals, in der guten alten Zeit, sagen wir mal exemplarisch so vor 25 Jahren, waren die heutigen alten weißen Männer noch 50 und etwa 99,8 Prozent der Deutschen wussten nicht, was ein Virologe ist. Markus Lanz moderierte das RTL-Magazin "Explosiv" und Richard David Precht (damals noch mit Backstreet-Boys-Gedächtnis-Frisur) nahm als unbekannter Kandidat bei "Wer wird Millionär" teil. Dann kamen Euro, Internet und Smartphone - und verschoben per Distributionsrevolution die traditionellen Eckpfeiler der Reichweitenlogik.

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Plötzlich musste man nicht mehr bei Wind und Wetter in den Park, um mit kruden Verschwörungstheorien, Hetzaufrufen, Fake News oder Beleidigungen zumindest ein paar wehrlose Enten und eine Handvoll Rentner zu erwischen, die nicht schnell genug wegrennen konnten. Gottes Geschenk an die Empörungsindustrie, das Internet für alle, ermöglichte jedem selbsternannten Generalexperten schlagartig die Möglichkeit, mithilfe des Studiums diverser Telegram-Gruppen und "Wacht Auf!"-Channels auf YouTube eine bizarre eigene Wahrheit zu kreieren. Und diese wissenschaftlichen Sensationstheorien anschließend mehr als nur genervten Kollegen und Gesinnungsgenossen am Selbstdenker-Stammtisch mitzuteilen.

Jeder ist seine eigene Zeitung

Anonymen Twitter-Accounts, oftmals bedenklich nah am grammatikalischen Synapsen-Kollaps kommunizierend, wird da gerne ungeprüft mehr Kompetenz zugeordnet als langjährigen Experten. In dieser neuen Welt haben die vormals im Tränenmeer ihrer eigenen Bedeutungslosigkeit ertrinkenden Signifikanz-Bettler unverhofft dieselbe Ausgangslage, ihre skurrilen Gedanken in der Öffentlichkeit zu platzieren, wie jeder andere auch - beispielsweise Autoren, Reporter, Kolumnisten, Politiker, Wissenschaftler oder Fachleute.

Gut, in der Theorie haben Autoren, Kolumnisten und Reporter natürlich noch immer einen Standortvorteil, weil sie ihre aufmerksamkeitssuchenden Abhandlungen in mal mehr, mal weniger bekannte Markenumfelder aus dem Presse-Kosmos einbetten können. Dieser Kontext suggeriert dann mitunter sogar journalistische Qualität. Jedenfalls, wenn das Medium nicht bereits zu einer Propaganda-Geisterbahn mit Clickbait-Hintergrund verkommen ist und ohnehin nur noch an Bots, Trolle, Qualitätsallergiker und Hass-Multiplikatoren kommuniziert.

Grundsätzlich jedoch können heute ein wahrnehmungsgestörter, vernunftresistenter, pensionierter Finanzprofessor, ein zum Reichsbürger mit Fachabitur in Verschwörungstheorien abgestürzter Ex-Soulsänger oder auch einfach Ronny aus Hirschfeld bei Gera praktisch mühelos genau dasselbe Publikum erreichen wie beispielsweise Dunja Hayali, Jan Fleischhauer, Natalie Amiri, Annette Dittert, Kristina Dunz, Vassili Golod oder Georg Mascolo. Nicht in intellektueller Hinsicht vielleicht, aber was den Outreach angeht schon. Und wenn das gelingt, dann gänzlich ohne Kollegen, Faktenchecker, Chef vom Dienst, Redaktionsleiter oder irgendein anderes brauchbares Korrektiv. Das zeigt gleichzeitig die Möglichkeiten wie auch die Gefahren der Diskursverlagerung auf öffentliche Großkampf-Schauplätze wie große Social-Media-Umfelder. Und es zeigt, dass man sich Relevanz nicht kaufen kann. Auch nicht mit einem Blue Check. Reichweite dagegen schon. Wenn man so will, kann man auf zwei Arten sehr viele Menschen erreichen: Mit sehr gutem Content oder mit sehr gutem Budget.

DJ Darth Vader

Es gibt aber auch Lustiges zu berichten. Die Krönung von King Charles etwa. Endlich hat die oft stiefmütterlich eingesetzte Berufsgruppe royaler Experten mal wieder Zahltag. Im hysterischen medialen Tagesgeschäft kommt man als Adelsexperte ja zumeist nur sporadisch zum Einsatz. Nun aber: Jackpot. Genau 70 Jahre nach der letzten Krönung endlich wieder eine hochoffizielle Salbung in Westminster Abbey. Und es gibt sogar Grund zur Hoffnung auf eine zeitnahe Anschlussverwendung für das royale Gossip-Geschwader. Dass nämlich bis zur nächsten Krönung erneut 70 Jahre vergehen werden, ist trotz grandioser medizinischer Fortschritte und der anhaltenden Beliebtheit von Verschwörungstheorien hinsichtlich Aliens in den Körpern wichtiger Figuren der Zeitgeschichte eher unwahrscheinlich.

Fast so unwahrscheinlich wie eine zweite Legislaturperiode für Marco Buschmann als Star Wars Minister. Oder ist er Soundcloud-Minister? Ich komme da immer durcheinander. Comic Con-Urgestein Buschmann jedenfalls, der als Darth Vader der DJs gilt und im Hans-Dietrich-Genscher-Haus aufgrund seines enzyklopädischen Wissens über Star Wars nur George Lucas genannt wird, hat den diese Woche begangenen Star Wars Tag ("May the 4th be with you") mit einem sensationellen Fanfiction-Foto auf Twitter gefeiert. Dort posiert er zusammen mit Yoda. Oder, naja, mit einem Stofftier zumindest, das er für Yoda zu halten scheint, und mit dem er gemeinsam melancholisch aber gleichsam zuversichtlich ins Nichts starrt.

Möglicherweise war beim Verfassen dieses Tweets die Macht mit ihm, Detailwissen über "Krieg der Sterne" dagegen definitiv nicht. Die Figur, mit der Buschmann die Rückkehr der liberalen Jedi-Ritter einläuten wollte, ist nicht Yoda, sondern Grogu. Landläufig auch als Baby Yoda bekannt. Da kann man schon mal verwirrt sein. Immerhin gehört Grogu derselben Spezies an, zu der auch Yoda gehört. Im Vergleich dazu, dass Buschmanns Todesstern (die FDP) zuletzt auch häufiger E-Fuels mit massentauglicher Zukunftstechnologie verwechselte, aber allenfalls ein mittelschwerer Irrtum.

Ich hab noch DeSantis in den Schuhen vom Miami Beach

Was die Offenheit von Spitzenpolitikern angeht, bot die Woche noch ein weiteres Highlight, gegen das die Technologieoffenheit der FDP wie ein verschmerzbarer, lobbyistischer Ausrutscher wirkt. Die CSU nämlich ist augenscheinlich ebenfalls offen. Und zwar für politische Hardliner-Ideen, die sich beispielsweise gegen Lesben, Schwule und transgeschlechtliche Menschen richten. Dafür steht nämlich Ron DeSantis, der Gouverneur von Florida. Angeführt von Andi Scheuer, der den Steuerzahler während seiner Comedy-Tour durch das Verkehrsministerium mit eigenmächtigen Entscheidungen im Zusammenhang mit der PKW-Maut vermutlich um die 700 Millionen Euro gekostet hat, reiste eine Delegation der CSU nach Florida, um sich mit diesem umstrittenen Rechtsaußen-Populisten der Republikaner zu treffen.

Ob die Reise einen weiteren Hintergrund hatte, abgesehen von der nun zweifelsfrei dokumentierten Nähe der Union zu Vertretern einer Politik, gegen die selbst Viktor Orbán als linksgrünversifft gilt, bleibt unklar. Ob der Besuch hilfreich sein wird, um die Vorwürfe zu entkräften, die Union würde sich unter Friedrich Merz und Markus Söder zu einer wankenden Volkspartei entwickeln, die ihr schwindendes Wählerpotenzial mit inhaltlichen Frontalangriffen auf ganz rechte Denkpotenziale zu korrigieren versucht, scheint fragwürdig. Selbst der Bundesverband der Lesben und Schwulen in der CDU sieht Gesprächsbedarf.

Unabhängig von der inhaltlichen Fragwürdigkeit ihres Gesprächspartners wirkt dieser Ausflug der Reisegruppe CSU besonders bizarr, weil die CSU kein Teil der Bundesregierung ist. Gut, es mag sein, dass Scheuer diese demokratische Wendung im Jahr 2021 noch nicht mitbekommen hat - immerhin hat er seither ungefähr genau so viel Leistung für das Verkehrsministerium gezeigt wie zwischen März 2018 und Dezember 2021. Er war jedoch nicht allein bei DeSantis, wie seine stolz auf Social Media verbreiteten Gruppenfotos der illustren Kompetenzrunde zeigen. Es muss doch jemand dabei gewesen sein, der mal die Frage gestellt hat, was diese bayrische Ansammlung von Florida-Pauschaltouristen legitimiert, mit US-Politikern transatlantischen Austausch zu pflegen und "Gesprächskanäle offen zu halten".

Im Prinzip könnte ich ja dann auch nach Paris reisen, mich im Élysée-Palast mit Emmanuel Macron treffen und über die deutsch-französischen Wirtschaftsinteressen philosophieren. Ich habe nämlich außerhalb Bayerns exakt genauso viele Wählerstimmen erhalten wie die gesamte Reisegruppe Scheuer, Markus Söder, Peter Ramsauer, Horst Seehofer und Karl-Theodor zu Guttenberg zusammen und bin mindestens so in die Regierung eingebunden wie die CSU. Denken Sie bis nächsten Montag gerne mal darüber nach! Bis dann!

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