ProSieben hievt eine bemerkenswerte Doku über Deutschlands rechten Rand in die beste Sendezeit - explosives Material, das einen hochranginen AfD-Funtkionär zeigt, der Sätze sagt wie: "Je schlechter es Deutschland geht, desto besser für die AfD."
Wie viele AfD-Politiker wohl am Montagabend 20.15 Uhr mit einem mulmigen Gefühl ProSieben eingeschaltet haben, um zu schauen, was da noch auf die Partei zukommt? Schon vorab war ja durchgesickert, was der Privatsender zur Primetime für explosives Material versenden würde – Aufnahmen eines hochrangigen AfD-Funktionärs, der vor versteckter Kamera ausplaudert, es müsse Deutschland "schlecht gehen", damit es der AfD gut gehe, und der Ausländer "vergasen" will.
Die Undercover-Recherche war Teil der über zweistündigen Reportage "Rechts. Deutsch. Radikal.", die der Sender als "wichtigste Dokumentation der letzten Jahre auf ProSieben" ankündigte – und kurzerhand auf den Slot von "Django Unchained" setzte, der ursprünglich gegen "Wer wird Millionär?" ins Quotenrennen gehen sollte.
Relevanz statt Blockbuster, und das ohne Werbeunterbrechung: ein bemerkenswertes Statement. Und eine bemerkenswerte Dokumentation, die der AfD so gar nicht gefallen haben dürfte, weil sie zeigt, welcher Szene sich die Partei anbiedert, wenn sie die Grenzen nach rechtsaußen immer weiter verschiebt.
ProSieben-Reportage "Rechts. Deutsch. Radikal": "Pegida war die Büchse der Pandora"
Reporter Thilo Mischke startet seine Reise beim Rechtsrockfestival "Schild und Schwert", wo sich der härteste Kern des rechtsradikalen Milieus versammelt: Glatzköpfe im "Adolf"-Shirt, die schon mal ein Hakenkreuz-Tattoo am Bein nur notdürftig mit Pflaster bedecken. Auf den ersten Blick alles ganz schön 1992 hier, aber es hat sich einiges geändert seit den Springerstiefel-Tagen: Die "neuen Rechten" kopieren Kleidung und Aktionsformen der radikalen Linken, sie vernetzen sich auf YouTube - und sie schaffen es auf die Straße. Und von dort immer weiter in die Mitte der Gesellschaft hinein.
"Pegida war die Büchse der Pandora", sagt der Journalist Christian Fuchs, einer der Experten, die sich Mischke für erklärende Statements in ein kleines Studio geholt hat. Es ist eine Art Arbeitsteilung: Der Reporter zieht mit Neugier und einer gehörigen Spur Naivität in die rechtsradikale Parallelwelt, auf Demonstrationen gegen den "Schuldkult" in Dresden, in Wirtshäuser, die an Adolf Hitlers Geburtstag Schnitzel für 8,88 Euro verkaufen, ins Gym von rechtsradikalen Kampfsportlern – und die Fachleute im Studio ordnen sein Material ein.
18 Monate hat Mischke recherchiert, seine Quintessenz: Der Rechtsextremismus ist die größte Gefahr für die Demokratie in Deutschland. Und die AfD, immer wieder teasert die Doku es an, ein Wolf im Schafspelz.
"Wir können die alle noch erschießen, oder vergasen"
Zur Enttarnung schreitet Mischke gegen Ende der 125 Minuten, unter Mithilfe von Lisa Licentia, einer bis zum Schluss völlig undurchsichtigen YouTuberin. Bekannt wurde die Kölnerin als "schönes Gesicht" der rechtsradikalen Szene, wie der rechte Blogger und YouTuber Oliver Flesch sie nannte. Nach einer AfD-Veranstaltung, zu der Mischke Lisa Licentia begleitet, bricht sie vor laufender Kamera zusammen. "Ich will den ganzen Scheiß nicht mehr", sagt sie unter Tränen, sie fühle sich von der AfD benutzt. Und will zurückschlagen, will zeigen, wie AfDler sprechen, "wenn keine Presse und Kamera anwesend ist".
Zu einem verabredeten Treffen mit einem "hochrangigen AfD-Funktionär" gesellt sich auch eine versteckte Kamera von ProSieben, das Gespräch wird als so genanntes Gedächtnisprotokoll wiedergegeben, was rechtliche Gründe hat - heimliche Tonaufnahmen dürfen nicht ausgestrahlt werden. Also lesen eine Sprecherin und ein Sprecher den Dialog vor, der schon vor Ausstrahlung so hohe Wellen geschlagen hatte.
- "Das haben wir mit
Gauland lange besprochen: Je schlechter es Deutschland geht, desto besser für die AfD. Das ist natürlich scheiße, auch für unsere Kinder. (…) Aber wahrscheinlich erhält uns das." - "Wenn jetzt alles gut laufen würde (…), dann wäre die AfD bei drei Prozent. Wollen wir nicht. Deshalb müssen wir uns eine Taktik überlegen zwischen: Wie schlimm kann es Deutschland gehen? Und: Wie viel können wir provozieren?"
- "[Wenn noch mehr Migranten kommen], geht es der AfD besser. Wir können die nachher immer noch alle erschießen. Das ist überhaupt kein Thema. Oder vergasen oder wie du willst, egal."
Nur wenige Stunden, nachdem die Zitate die Runde machten, enthüllte Zeit Online die Identität des Mannes: Christian Lüth, zum Zeitpunkt der Aufnahme AfD-Fraktionssprecher. Er war schon im April freigestellt worden, weil er sich angeblich als "Faschist" bezeichnet haben soll. Nun beeilte sich der AfD-Fraktionsvorstand, Lüth fristlos zu kündigen.
Ibiza oder "Grab them by the pussy"?
Wird dieser Ausschnitt zu einem "Ibiza"-Moment wie bei Heinz-Christian Strache in Österreich, der die AfD Stimmen kostet? Oder geht es der Partei wie Trump nach dem "Grab them by the pussy"-Tape – die Anhänger verzeihen alles? Eigentlich müssten die Wähler der AfD wissen, welches Gedankengut die Höckes in der Partei vertreten, der ja laut Alexander Gauland "in der Mitte der AfD" zu verorten ist.
Am rechten Rand jedenfalls freuen sich die Kameraden über den Erfolg der AfD. "Sie haben ein gesellschaftliches Fenster geöffnet", so drückt es ein Neonazi aus Dortmund vor der Kamera aus. Natürlich gebe es öffentliche Distanzierungen nach Rechtsaußen - "aber keine Berührungsängste". Die AfD ziehe "Teile der bürgerlichen Gesellschaft auf unsere Seite", wenn Kalbitz und Höcke sprechen, "tragen sie uns weiter in die Mitte hinein".
Therapiestunde für Neonazis
Wie Mischke bisweilen arglos mit den Rechtsradikalen herumkumpelt, ist genauso schwer zu ertragen wie die Bildsprache, die seine Protagonisten wie im Hochglanz-Werbespot im Full Shot inszeniert. Warum er sich so sehr für Sanny Kujath interessiert, einen Nachwuchskader, der lieber "keinen Kommentar" zum 2. Weltkrieg und zu Juden abgeben will, bleibt rätselhaft.
Spätestens an der Stelle müsste eigentlich jedes Gespräch enden, Mischke räumt Kujath aber noch mehr Platz ein – und will wissen, wie denn Weihnachten im Hause Kujath so abläuft. Alexander Deptolla, Veranstalter des Szene-Kampfsport-Events "Kampf der Nibelungen", darf sich zum Märtyrer stilisieren und über "staatliche Repression" jammern.
Nach der Therapiestunde stöbert Mischke in einem Versandlager und fragt allen Ernstes die gestandenen Neonazis neben ihm, wie sie ihr Geld mit einem Jutebeutel mit der Aufschrift "HKNKRZ" machen könnten. "Das kann nie und nimmer ironisch sein." Richtig, kann es nicht, "aber ist doch gut, dass wir drüber diskutieren", freut sich einer der Kameraden. Gut für die Nazis, die Mischke noch den menschenverachtendsten Kram vor die Kamera halten dürfen, ohne dass der Reporter endlich den Stecker zieht.
Wenn Mischke dann auch noch mit staunend geweiteten Augen ausgerechnet beim thüringischen Verfassungsschutz auftaucht, um über die rechtsradikale Szene in Deutschland zu reden, möchte man ihn eigenhändig in die Lesestube verfrachten. Da müsste ihm schon bei oberflächlicher Recherche auffallen, dass die Behörde - damals noch nicht unter der Leitung von Stephan Kramer - dem NSU über einen V-Mann 2.000 Mark zukommen hat lassen.
Die Verstrickung der Sicherheitsbehörden in den rechtsradikalen Terror, die gerade erst aufgeflogenen Nazi-Zellen in Polizei und Bundeswehr, all das ist Mischke keine Erwähnung wert. Der Verfassungssschutz zählt übrigens noch immer unter 100 Tote durch rechte Gewalt seit 1990. Mischke nennt die Zahl 208, die von der Amadeu-Antonio-Stiftung errechnet wurde. Es sind diese NGOs, die Aufklärungsarbeit leisten - was über Neonazis bekannt ist, basiert oft auf Recherchen von antifaschistischen Initiativen wie der Antifa, die selbst im Verfassungsschutzbericht auftaucht und bis weit in die bürgerliche Mitte hinein bekämpft wird.
Ein Milzriss vom Kameraden
So oft man "Aua" rufen möchte in den 125 Minuten, so oft müsste man aber auch Applaus klatschen. Für den Pullover mit dem Aufdruck von Muhammad Ali, den Mischke beim Interview mit dem rechtsradikalen Kampfsportler Deptolla trägt. Für die Chuzpe, die Szene mit dem völlig besoffenen YouTuber Oliver Flesch zu zeigen, der Mischke erst bepöbelt und dann herausfordert, die Aufnahme im fertigen Film zu lassen. Flesch bleibt drin, und ein Millionenpublikum sieht, wie er im Suff die Kontrolle über seine Gesichtszüge verliert.
Für das Twitter-Game des Social-Media-Teams von ProSieben, das sich in den Sozialen Medien mit AfDlern und anderen Provokateuren anlegt.
Und nicht zuletzt für die schöne Geschichte um den Brandenburger AfD-Mann Dennis Hohloch, die zeigt, was passiert, wenn man sich nicht von Rechtsradikalen abgrenzt. Hohloch bezeichnet sich selbst als "sehr konservativ" und war mit dem strammen Rechten Andreas Kalbitz angeblich nicht immer einer Meinung – nennt ihn aber einen Freund und lud ihn zu seiner Hochzeit ein. Das Ende der Geschichte: Kalbitz boxte seinen "Freund" im August zur Begrüßung so heftig in die Rippen, dass Hohloch mit einem Milzriss im Krankenhaus landete. Rechtsradikale können eben weh tun, wenn man nicht aufpasst.
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