"Wann ist ein Mann ein Mann?", fragte einst Herbert Grönemeyer, doch inzwischen wissen wir längst, dass das eigentlich egal ist. Viel wichtiger ist, dass du überhaupt ein Mann bist. Denn damit hat man es in Deutschland viel leichter. Noch leichter hat man es nur, wenn man auch noch verheiratet ist. Warum, das zeigte Jan Böhmermann am Freitagabend in seinem "ZDF Magazin Royale".

Eine Kritik
Diese Kritik stellt die Sicht von Christian Vock dar. Informieren Sie sich, wie unsere Redaktion mit Meinungen in Texten umgeht.

In der vergangenen Woche brachte Jan Böhmermann alle, die Linken, Aktivisten oder Journalisten gerne eine sogenannte Cancel Culture unterstellen, in die Bredouille. Wie hat er das gemacht? Eigentlich ganz einfach, denn Böhmermann hat lediglich gezeigt, wer denn hier eigentlich wen cancelt und da ergibt sich ein genau umgekehrtes Bild. Das Ziel: Aktivisten, Journalisten, kurz alle, die nicht die eigene Meinung vertreten oder noch schlimmer, diese kritisieren, sollen zum Schweigen gebracht werden.

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In dieser Woche nun müssen all diese Cancel-Culture-Verdreher erneut stark sein, denn Böhmermann hat ein Thema, bei dem den Konservativen ebenfalls gerne die Wut-Schnur platzt: die Ehe. Denn da verstehen Konservative keinen Spaß: "Wer miteinander die Ehe eingeht, verspricht sich nicht nur gegenseitig, Treue, Achtung, Rücksicht und Beistand in allen Lebenslagen. Die künftigen Eheleute wählen mit der Ehe eine verbindliche, rechtlich abgesicherte Form des Zusammenlebens, die von unserer Verfassung besonders geschützt wird", zitiert Böhmermann das Justizministerium von Marco Buschmann.

Die Institution Ehe, so wie sie in Deutschland verstanden und praktiziert wird, steht also unter einem besonderen Schutz des Staates, da genügt ein Blick in Artikel 6, Absatz 1 des Grundgesetzes. Aber das ist doch super, wer kann denn da was gegen die Ehe haben? Ja, wer denn nur? Um das herauszufinden, muss man genauer hinsehen, wer und was durch die Ehe geschützt wird und einen ersten Hinweis findet Böhmermann in § 1356 Abs. 1, der bis 1977 so im Bürgerlichen Gesetzbuch stand: "Die Frau führt den Haushalt in eigener Verantwortung. Sie ist berechtigt, erwerbstätig zu sein, soweit dies mit ihren Pflichten in Ehe und Familie vereinbar ist."

Warum die deutsche Ehe ungerecht ist

Mag sein, dass dieser Paragraf abgeschafft ist, aber sein Geist wirkt bis heute, etwa im Steuerrecht. "Das Ehegattensplitting jedenfalls sollte und darf nicht angefasst werden", hört man von Finanzminister Christian Lindner und damit taucht Böhmermann ein in das deutsche Steuerrecht und sein Ehegattensplitting. Das nützt vor allem Paaren mit einer großen Einkommensdifferenz. Das heißt, der eine Partner verdient viel, der andere wenig und mit "der eine" ist in der Praxis vor allem der Mann gemeint – mit weitreichenden Folgen für die Frau.

Böhmermanns Argumentationskette: Die Ehe und das Ehegattensplitting fördern das Alleinverdienertum des Mannes, die Frau bekommt und betreut die Kinder, arbeitet maximal in Teilzeit. Unterstützt wird das Ganze durch knapp 400.000 fehlende Kita-Plätze und man muss kein Soziologe sein, um zu ahnen, dass die dadurch notwendige Betreuungsarbeit nicht von Männern übernommen wird. Zudem sei man bei einem Minijob oder bei gar keiner Erwerbsarbeit über den Ehepartner krankenversichert, im Todesfall gibt es Witwenrente.

Unverheiratete können sich dagegen nicht gegenseitig familienversichern, haben im Notfall kein Auskunftsrecht über den Partner und Hinterbliebenenrente gibt es ebenso wenig wie ein Erbe. Nein, das deutsche Recht liebt die Liebe nur bei Verheirateten und da besonders die Männer. Denn weil die Ehe das männliche Alleinverdienertum derart fördert, gucken Frauen bei einer Scheidung ziemlich in die Röhre. Denn weil sie der Kinder wegen maximal in Teilzeit gearbeitet haben, sieht es später bei der Rente dürftig aus.

Der Geist der Vergangenheit

Das sagt nicht nur Böhmermann, was er mit den obligatorischen Quellen unterlegt. "Weltweit gibt es nur noch sehr wenige Länder, in denen das Finanzamt den Bund der Ehe in vergleichbarer Weise belohnt", schrieb etwa die "Süddeutsche" 2021 genauso wie "Mehrfach schon wurde Deutschland von der […] OECD und der Europäischen Kommission für das Ehegattensplitting gerügt, weil es Frauen vom Arbeitsmarkt fernhalte." Und das Bundesfamilienministerium erklärt: "Kindererziehung, Pflege von Angehörigen, Hausarbeit, Ehrenamt: Frauen wenden pro Tag im Durchschnitt 52,3 Prozent mehr Zeit für unbezahlte Sorgearbeit auf als Männer."

"Ich weiß ja nicht, wie sie privat, persönlich zur deutschen Ehe oder zum Konzept der Ehe allgemein stehen, aber mich beschleicht das Gefühl, dass Ehe hier in Deutschland immer noch das hier bedeutet", fasst Böhmermann zusammen und zitiert wieder das BGB von vor 1977: "Die Frau führt den Haushalt in eigener Verantwortung. Sie ist berechtigt, erwerbstätig zu sein, soweit dies mit ihren Pflichten in Ehe und Familie vereinbar ist."

Ja, der Geist der Vergangenheit weht noch immer durch Deutschland und er pickt sich 2023 immer noch die Rosinen heraus. Denn die Verantwortung füreinander, die in der Ehe besonders sein soll, die gilt plötzlich auch dort, wo es nicht so ehelich zugeht, der Staat aber Geld sparen kann: Beim Arbeitslosengeld 2 oder beim Bürgergeld etwa: "Wer arbeitslos ist und mit ihrem Partner unverheiratet zusammenlebt, bekommt vielleicht kein Arbeitslosengeld", erklärt Böhmermann den Umstand, dass ein Kriterium der Ehe ja die Übernahme der Verantwortung füreinander war, doch wenn es den Staat etwas kostet, müssen plötzlich auch Unverheiratete Verantwortung füreinander übernehmen – allerdings ohne all die Privilegien einer Ehe.

Jan Böhmermann: "Ein Rollenverständnis aus einem anderen Jahrtausend"

Ähnlich ungerecht gehe es bei gleichgeschlechtlichen Ehen zu. Die sind in Deutschland zwar inzwischen rechtens, trotzdem herrsche hier weiter Ungerechtigkeit. Denn während bei homosexuellen Männern automatisch beide als Väter anerkannt werden, gilt bei lesbischen Paaren lediglich die austragende Frau als Mutter, die Partnerin muss erst in einem Adoptionsverfahren ihre "Muttertauglichkeit" beweisen. Böhermanns Zwischenfazit: "Ehe in Deutschland ist für Leute gemacht mit einem Rollenverständnis aus einem anderen Jahrtausend."

Nun ist die Kritik am Ehegattensplitting alles andere als neu, aber das sind die Themen im "ZDF Magazin Royale" in der Regel ohnehin nicht. Böhmermanns Verdienst ist daher nicht unbedingt die Recherche neuer Skandale, sondern die Erinnerung an bekannte Schieflagen, wie zum Beispiel jüngst die prekäre Lage bei Organspenden. Im Fall der Ehe und des Ehegattensplittings nehmen sich Böhmermann und sein Team eines Themas an, das genauso daueraktuell ist und dementsprechend schnell auch abgehandelt ist. Lediglich gut 20 Minuten braucht Böhmermann für sein Kernthema, der Rest ist eine Persiflage von "Datingshows".

Und dennoch hat Böhmermann genügend Zeit, die Ehe und das Ehegattensplitting in einen größeren Zusammenhang einzuordnen: "Von der Ehe, wie sie in Deutschland geregelt ist, profitieren hauptsächlich gut verdienende, heterosexuelle Cis-Männer. Wer wenig Geld verdient oder eine Frau ist oder gar queer, der hat Pech gehabt und das ist Absicht." Denn, und hier wird klar, wer eingangs mit den "Konservativen" gemeint war, was für die Ehe gilt, gilt für viele andere Bereiche auch: In Deutschland hast du es immer ein bisschen leichter, wenn du ein Mann bist – und auch das ist Absicht.

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