Wegen ihrer Haltung in der Flüchtlingsfrage schlägt Angela Merkel seit Wochen viel Kritik aus der CSU entgegen - und nun auch zunehmend aus den eigenen Reihen der CDU. Doch die Kanzlerin hat ihren politischen Instinkt nicht verloren. Denn einen großen Teil der Bevölkerung weiß sie hinter sich.

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Dass eine Bundeskanzlerin in der Kritik steht, sollte normal sein in einer Demokratie. Schon ungewöhnlicher ist es, wenn die Kritik aus den eigenen Reihen kommt. Und wirklich merkwürdig erscheint es, wenn der eigene Innenminister ganz offen Entscheidungen der Kanzlerin infrage stellt. Außer Kontrolle geraten sei die Flüchtlingsproblematik "mit der Entscheidung, dass man aus Ungarn die Menschen nach Deutschland holt", sagte Innenminister Thomas de Maizière in der Sendung "Maybrit Illner". "Das war eine so große Zahl, dass es nicht mehr geordnet ging."

Die Entscheidung, den in Ungarn festsitzenden Menschen zu helfen, hat Angela Merkel nahezu im Alleingang getroffen. Ohne ihren Namen zu nennen, greift sie der CDU-Innenminister in dieser Sendung also direkt an. Aus der Schwesterpartei CSU muss sich die Kanzlerin bereits seit Wochen mit einer Deutlichkeit kritisieren lassen, die den Anschein erweckt, die wahre Opposition der Bundesregierung säße in Bayern.

Deutschland habe die Regeln außer Kraft gesetzt, empörte sich Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer vor der Klausur-Tagung der CSU-Landesfraktion im fränkischen Kloster Banz in dieser Woche. Hinter den Klostermauern soll die Kritik an der Kanzlerin nach Medienberichten so scharf ausgefallen sein, dass zum Schluss Seehofer selbst seine Partei zur Mäßigung aufgerufen habe. Es gebe "keinen Aufstand gegen Merkel", soll der Parteichef am Ende einer emotionalen Aussprache gesagt haben.

"Dunkle Drohungen" aus Bayern

Für den Fall allerdings, dass Angela Merkel ihre Haltung in der Flüchtlingsfrage nicht ändere, seien auf der Klausur auch von Seehofer "dunkle Drohungen" ausgesprochen worden, berichtet die Deutsche Presse-Agentur. Bayern werde sich dann auch nicht mehr an die Regeln halten. Was das bedeuten könnte, blieb in Banz allerdings offen.

Klar ist aber, dass Merkel sich in der Flüchtlingsfrage eindeutig positioniert hat - und ihre Haltung immer wieder offensiv verteidigt. Mit einem einzigen Satz stellte sie ihre Kritiker bloß, allen voran die aus Bayern. Mit einer für viele Beobachter verblüffenden Offenheit sagte die Kanzlerin auf einer Pressekonferenz: "Ich muss ganz ehrlich sagen: Wenn wir jetzt anfangen, uns noch entschuldigen zu müssen dafür, dass wir in Notsituationen ein freundliches Gesicht zeigen, dann ist das nicht mein Land."

Merkels eindeutige Festlegung erscheint ungewöhnlich für eine Frau, die das in der Vergangenheit oft lange vermieden hat. Die Frage ist, inwieweit schadet der neue Kurs der Kanzlerin? Wahrscheinlich gar nicht. Die Kanzlerin ist im zehnten Jahr ihrer Kanzlerschaft auf dem Gipfel ihrer Popularität angekommen - und sie weiß das auch. Für ihre Haltung in der Flüchtlingsfrage hat sie viel Zuspruch bekommen, und zwar nicht nur von Anhängern der eigenen Partei.

Mehrheit der Bevölkerung steht hinter Angela Merkel

Laut einer Befragung des ZDF-Politbarometers finden zwei Drittel der Deutschen die Einreiseerlaubnis richtig. Außerdem glauben auch fast zwei Drittel der Deutschen (62 Prozent), dass Deutschland die vielen Flüchtlinge aus Krisengebieten verkraften kann, die zurzeit nach Deutschland kommen. Politische Unterstützung bekommt die Kanzlerin zudem nicht nur vom Koalitionspartner SPD, sondern auch von Politikern der Grünen, die als möglicher Koalitionspartner durchaus eine Option für die Kanzlerin nach der kommenden Bundestagswahl sind.

Und die Kritik aus der CSU und zuletzt auch aus der eigenen Partei? Die kann Merkel angesichts dieser Werte gut verkraften, wenn es ihrem Personal gelingt, die massenhafte Zuwanderung nicht nur verbal überzeugend zu proklamieren, sondern auch in der politischen Praxis ohne große Verwerfungen umzusetzen. Und genau dafür ist eben jener Innenminister Thomas de Maizière verantwortlich, dem in den vergangenen Wochen immer wieder organisatorisches Versagen im Management der Krise vorgeworfen worden ist.

Wenn er jetzt Merkel kritisiert, will er offensichtlich von den Problemen in seinem eigenen Fachbereich ablenken - und sich selbst als vernünftigen Retter in der Not präsentieren. "Wir sind jetzt dabei, die Dinge wieder etwas zu ordnen", sagte der Innenminister in der besagten Talkshow und erneuerte seine Forderung nach einer Obergrenze für Einwanderer und Asylbewerber.

Auch mit dieser Forderung stellt er sich gegen seine Kanzlerin. "Das Grundrecht auf Asyl für politisch Verfolgte kennt keine Obergrenze. Das gilt auch für die Flüchtlinge, die aus der Hölle eines Bürgerkriegs zu uns kommen", sagte Merkel in einem Gespräch mit der "Rheinischen Post". Mit ihrer Haltung weiß sie die große Mehrheit der Bevölkerung hinter sich. Solange das so bleibt, wird sie sich auch die parteiinternen Kritiker leisten können.

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