In den sozialen Netzwerken kursieren derzeit zahllose Beiträge, die suggerieren, dass in Deutschland eine Impfpflicht gegen das Coronavirus unmittelbar bevorsteht oder sogar schon beschlossen wurde. Unser Faktencheck widerlegt diese Behauptungen und zeigt, welche Pläne die Bundesregierung aktuell verfolgt.

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Es ist ein rühriges, in Sepia gehaltenes Foto seiner Frau und seiner Tochter, dass der bekannte TV-Tänzer und Choreograf Detlef D. Soost auf seine Facebook-Seite stellte.

Dazu schreibt er an seine über 150.000 Fans am Montagabend: "Impfpflicht ab 15.5??? Ohne die Möglichkeit selbst für meine Kinder, für meine Family entscheiden zu können, ob wir das wollen oder nicht ?????!!! (Alle Fehler im Original)" Der 49-Jährige sieht außerdem eine "Begrenzung der Grundrechte" und fragt am Ende: "Sind wir demokratisch oder diktatorisch ?????"

Soosts Beitrag ist keine Ausnahme. Ebenso warnen der Koch Attila Hildmann, die AfD-Bundestagsabgeordneten Markus Frohnmaier, Peter Boehringer, Sebastian Münzenmaier, Marc Bernhard und Wolfgang Wiehle sowie zahllose weitere Nutzer vor einem "Impfzwang" respektive einer angeblich schon beschlossenen "Impfpflicht".

Doch was steckt dahinter? Wie sehen die Pläne der Bundesregierung tatsächlich aus? Ein Faktencheck.

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Coronavirus: Viele Menschen würden sich freiwillig impfen lassen

Richtig ist, dass sich einige Politiker, darunter Bayerns Ministerpräsident Markus Söder oder Grünen-Chef Robert Habeck unter Umständen für eine Impfpflicht im Zusammenhang mit dem Coronavirus ausgesprochen haben. Gesundheitsminister Jens Spahn lehnt aber eine solche Pflicht ab.

"Mein Eindruck ist, dass sich die allermeisten Bürgerinnen und Bürger sofort freiwillig impfen lassen würden, sobald es eine Impfung gegen das Coronavirus gibt", erklärte der CDU-Politiker. "Wo Freiwilligkeit zum Ziel führt, braucht es keine gesetzliche Pflicht."

Aber nicht nur Soost suggeriert, dass eine solche Pflicht bereits am 15. Mai in Kraft treten soll, sie sogar schon längst beschlossen wurde.

Fakt ist: Bisher gibt es noch kein derartiges Gesetz. Auch in der Ende März durch den Bundestag verabschiedeten zweiten Änderung des Infektionsschutzgesetzes ist keine Impfpflicht enthalten. Einer solchen würden in jedem Fall breite, womöglich monatelange gesellschaftliche Debatten vorausgehen. So wie bei der seit 1. März gültigen Masern-Impfpflicht, die im November 2019 beschlossen wurde.

Fakt ist aber auch: Im Infektionsschutzgesetz gibt es bereits seit Längerem – sprich schon vor der Corona-Pandemie – einen Passus (§ 20 Abs. 6), wonach zumindest Risikogruppen vorsorglich geimpft werden müssen. Dort heißt es konkret:

"Das Bundesministerium für Gesundheit wird ermächtigt, durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates anzuordnen, dass bedrohte Teile der Bevölkerung an Schutzimpfungen oder anderen Maßnahmen der spezifischen Prophylaxe teilzunehmen haben, wenn eine übertragbare Krankheit mit klinisch schweren Verlaufsformen auftritt und mit ihrer epidemischen Verbreitung zu rechnen ist."

Von dieser Regelung sind – wie bei der Masern-Impfpflicht auch – allerdings ausdrücklich Menschen ausgenommen, bei denen medizinische Gründe gegen eine Impfung sprechen.

Keine "geheimen" Pläne zur Impfpflicht

Angenommen, die schwarz-rote Bundesregierung würde eine Impfpflicht einführen wollen (bisher gibt es dafür noch nicht einmal einen Entwurf), müsste ein solches Gesetz sowohl durch den Bundestag als auch durch den Bundesrat. Das ist ein langwieriger Prozess, bei dem auch ein Alleingang des Bundeskabinetts ausgeschlossen ist.

Darüber hinaus kann in Deutschland niemand zu einer Impfung gezwungen werden, wie vielfach behauptet wird. Beispiel Masernimpfschutz: Hartnäckigen Verweigerern droht zwar ein Bußgeld von maximal 2.500 Euro - zwangsgeimpft werden sie oder ihre Kinder aber nicht.

Impfgegner halten die Pläne der Bundesregierung zur Einführung eines Immunitätsausweis, also einem Nachweis für eine Immunität vor dem Coronavirus, als Weg zu einer Impfpflicht durch die Hintertür. Diese geplanten Änderungen sind öffentlich einsehbar, es gibt keine "geheimen" Pläne, wie oft suggeriert wird.

Kein Automatismus für Impfpflicht

Patientenschützer lehnen einen solchen Ausweis rundweg ab. "Der Immunitätsausweis wäre ein tiefer Eingriff in die Persönlichkeitsrechte", sagte der Vorstand der Stiftung Patientenschutz, Eugen Brysch, dem Redaktionsnetzwerk Deutschland.

Ihm zufolge gehe der Vorschlag "ethisch weit über die aktuelle Bekämpfung der Pandemie hinaus", sei "zutiefst diskriminierend" und verleite zu vorsätzlichen Selbstinfektionen.

Fakt ist: Selbst wenn der Ausweis kommen sollte (was derzeit völlig unklar ist), bedeutet dieser keine Impfpflicht. Diese müsste gesondert geregelt werden.

Zudem gilt auch hier: Sowohl SPD-Chefin Saskia Esken als auch AfD, FDP, Grüne und Linkspartei stehen den Plänen skeptisch gegenüber. Aktuell werden sie auch nicht weiter verfolgt, wie Spahn am Montag erklärte. Er habe den Deutschen Ethikrat um eine Stellungnahme dazu gebeten.

Hohe Hürden für Immunitätsausweis

Doch selbst wenn das Bundeskabinett das Infektionsschutzgesetz mit der Regelung für einen Immunitätsausweis erweitern will, stehen ihm noch einige Hürden – abseits der Mehrheitsbeschaffung – bevor: Der Bundestag wird über die Novelle am Donnerstag debattieren, ehe er sie eine Woche später verabschieden könnte. Der Bundesrat müsste die Gesetzänderung ebenso noch bestätigen – und nicht zuletzt könnte das Bundesverfassungsgericht die Entscheidung am Ende noch kippen.

Nicht zu vergessen: Es kann keine Corona-Impfpflicht ohne Impfmittel geben. Forschungsministerin Anja Karliczek und Gesundheitsminister Spahn erklärten erst am Montag: Es sei davon auszugehen, dass ein Impfstoff frühestens Mitte nächsten Jahres zur Verfügung stehen werde – im schlechtesten Fall könnte es sogar Jahre dauern.

Mit Material von dpa und AFP.
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