In Europa dreht sich der Wind und bläst Bundeskanzlerin Angela Merkel kraftvoll ins Gesicht. Immer mehr Stimmen werden laut, die sich gegen eine außenpolitische Dominanz Deutschlands wehren und selbstbewusst nach Emanzipation rufen.
Bereits während der Krise in Griechenland und im Umgang mit den angeschlagenen Volkswirtschaften in Italien, Spanien oder Portugal hatte sich Widerstand gegen die deutsche Austeritätspolitik von Angela Merkel geregt.
Schließlich steht diese Politik für knallharte Sparkurse und Steuererhöhungen, weil - und obwohl - das nationale Wirtschaftsklima in den betroffenen Ländern dramatisch abgekühlt ist.
Kritiker setzen der Austeritätspolitik entgegen, dass sie die Situation eher verschlechtern denn verbessern würde. Deutschland, so hieß es, würde sich durch Zwang, Druck und Drohungen in die Innenpolitik souveräner Staaten einmischen.
Das Blatt wendet sich
Deutschland war unter
Doch mit den Millionen von Flüchtlingen, die in den vergangenen Monaten Krieg, Terror und Hunger entflohen, um in Europa ein besseres Leben zu finden, wendete sich das Blatt.
Osteuropäische Länder wie beispielsweise Polen, Ungarn oder Tschechien unterstellen der deutschen Bundeskanzlerin mit ihrer Willkommenskultur des "Wir schaffen das!" eine Hauptschuld daran, dass so viele Menschen nach Europa kommen.
Auch das Aussetzen des Dublin-Abkommens, welches auf eine kontrollierte Registrierung von Flüchtlingen im Erstaufnahmeland zielt, wurde Deutschland zum Vorwurf gemacht.
Für die Gegner dieser Politik ist das Maß nun voll. Sie artikulieren unmissverständlich, dass sie sich der deutschen Dominanz widersetzen werden.
Renzi wehrt sich gegen deutsche Vorherrschaft
In der "Financial Times Deutschland" erklärte Italiens Ministerpräsident Matteo Renzi nun, dass die Vorherrschaft Deutschlands beendet werden müsse: "Europa muss 28 Ländern dienen, nicht nur einem."
Vor allem Merkels Sparpolitik habe den Boden bereitet für radikale Kräfte und Populisten, argumentiert Renzi und wählt Spanien als aktuellstes Beispiel.
Dort habe nun Ministerpräsident Mariano Rajoy durch die Wähler die Quittung für seinen Gehorsam gegenüber Merkel erhalten.
"Ich weiß nicht, was mit meinem Freund Mariano passieren wird. Aber ich weiß, dass diejenigen, die als treue Anhänger einer Sparpolitik ohne Wachstum in vorderster Front standen, ihre Jobs verloren haben", so Renzi.
Damit liegt der italienische Ministerpräsident richtig. Vor Rajoy waren bereits Pedro Coelho in Portugal, Ewa Kopacz in Polen sowie Andonis Samaras in Griechenland aus dem Amt gespült worden.
Allen wurde zum Verhängnis, dass sie sich mehr oder weniger bereit erklärt hatten, dem Diktat Deutschlands zu folgen. Mit Merkels Politik sei nichts zu gewinnen, meinten die Wähler und machten ihre Regierungschefs an den Urnen zu Verlierern.
"Kein Anhängsel Deutschlands mehr"
Die wahren Gewinner dieses neuen Selbstbewusstseins fühlen sich von ihrem Mandat beflügelt und gehen in die Offensive. "Spanien wird nicht länger ein Anhängsel Deutschlands sein", erklärte Spaniens eigentlicher Wahlsieger, Podemos-Chef Pablo Iglesias.
Tschechiens Ministerpräsident Bohuslav Sobotka fühlt sich von der durch Deutschland gesteuerten Flüchtlingspolitik gegängelt und erklärt in der "Süddeutschen Zeitung", man lehne den "Druck zu einer zentral geführten Migrationspolitik" entschieden ab.
Deutschland, so Sobotka, habe ein folgenschweres Signal ausgesandt, "das in weiten Teilen des Nahes Ostens und Nordafrikas zu hören und zu sehen war." Dass dieses Signal auch die illegale Migration nach Europa gefördert habe, sei "leider nicht zu leugnen."
Weitaus radikalere Töne kommen aus Ungarn. Dort geißelt der rechtspopulistische Ministerpräsident Viktor Orbán Merkels Flüchtlingspolitik als "moralischen Imperialismus".
Vorbei auch die Zeit, in der 2011 ein polnischer Außenminister Radoslaw Sikorski erklärte: "Ich habe weniger Angst vor deutscher Macht, als ich anfange, mich vor deutscher Inaktivität zu fürchten."
Mit dem Wahlsieg der nationalkonservativen Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) hat sich das polnische Verhältnis gerade zu Deutschland spürbar verschlechtert.
Klare Front gegen Merkels Flüchtlingspolitik
Parteichef Jaroslaw Kaczynski attackierte die deutsche Willkommenskultur in der Flüchtlingspolitik indirekt mit der empörenden Feststellung, Flüchtlinge brächten "alle Arten von Parasiten nach Polen".
Anfang Dezember gab es für Angela Merkel sogar einen Rüffel direkt aus Brüssel. Der polnische EU-Ratspräsident Donald Tusk konterte die Bundeskanzlerin mit den Worten, niemand in Europa sei bereit, "diese hohen Zahlen aufzunehmen, Deutschland eingeschlossen!"
Und an die Adresse Merkels erklärte Tusk: "Manche von Ihnen sagen, die Flüchtlingswelle sei zu groß, um sie zu stoppen." Doch das, so Tusk, sei eine Fehlannahme. "Die Flüchtlingswelle ist zu groß, um sie nicht zu stoppen."
Die Bundeskanzlerin hatte den für sie bedrohlichen Stimmungswechsel registriert. "Dass es auch unterschiedliche Positionen gibt, halte ich für ganz normal", erklärte sie jüngst auf dem EU-Gipfel in Brüssel.
Doch zwischen dem neuen Selbstbewusstsein in Spanien und den radikalen Kräften in Polen läuft Merkel Gefahr, sich mit ihrer Position in Europa zu isolieren.
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