• Anton Hofreiter zählt zu den prominentesten Köpfen des linken Flügels der Grünen.
  • Seit Beginn der russischen Invasion in die Ukraine scheint der 52-jährige Landwirtschaftsexperte nur noch ein Thema zu kennen: Waffen, möglichst schwere, möglichst viele.
  • Im Interview erklärt er seinen Kurs, wie er Kanzler Olaf Scholz die Angst vor einem Atomkrieg nehmen will und wo er selbst Fehler gemacht hat.
Ein Interview

Gepard, Marder und Puma – an was denken Sie da zuerst?

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Traurigerweise zuerst an Panzer.

Sind die Grünen also tatsächlich zu Olivgrünen geworden, wie der "Spiegel" dieser Tage titelt?

Wir müssen uns bewusst sein, dass wir gerade einen schrecklichen Eroberungs- und Vernichtungskrieg mitten in Europa erleben. Einen Krieg, in dem die Ukraine die Demokratie und Freiheit für alle Menschen in Europa verteidigt. Es ist einfach notwendig, die brutale Realität zu erkennen – und zu sehen, dass Russlands Präsident Wladimir Putin überhaupt nicht bereit ist, auf diplomatische Angebote zu reagieren. Es bleibt uns schlicht nichts anderes übrig, als die Ukraine in ihrer Verteidigungsfähigkeit zu unterstützen, ohne dass Deutschland direkt in den Krieg verwickelt wird.

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Hofreiter: "Waffenlieferungen lassen ein Land nicht zur Kriegspartei werden"

Welche Rolle spielt dabei die Lieferung von schweren Waffen, also Panzern?

Sie spielen bei der Verteidigung eine große Rolle. Ich war selbst im April in der Ukraine. Dort hat man uns deutlich gemacht, dass das ukrainische Militär den Osten und Süden des Landes – dort wo es flach ist und es viele offene Flächen gibt – nur verteidigen kann, wenn es ausreichend schweres Gerät zur Verfügung hat. Anders als im stark bewaldeten Norden reichen dort Flugabwehrraketen und Panzerabwehrraketen leider nicht aus.

Nicht wenige mahnen, dass Russland die Lieferung von schweren Waffen als Kriegseintritt Deutschlands bewerten könnte.

Völkerrechtlich ist das völlig unstrittig: Waffenlieferungen lassen ein Land nicht zur Kriegspartei werden. Die Kritiker sollten einmal die Konsequenzen zu Ende denken: Wenn wir die Ukraine jetzt nicht unterstützen und sie diesen Krieg verliert, ist es nur eine Frage der Zeit, bis Russland seine Drohungen wahr macht und das nächste Land überfällt. Moskau hat ja bereits angekündigt, wenn es die ganze Südukraine erobert hat, dann die Republik Moldau überfallen zu wollen. Deshalb sehe ich keine ernsthafte Alternative zu unserem Vorgehen: Neben Waffenlieferungen sind das Wirtschaftshilfen für die Ukraine, humanitäre Hilfe und immer strengere Sanktionen gegen Russland. Ich finde es sehr gut, dass nun auch Außenministerin Annalena Baerbock ein baldiges Ölembargo in Aussicht gestellt hat.

Deutschland hat vergangene Woche entschieden, ausgemusterte Gepard-Flugabwehrpanzer an die Ukraine abzugeben. Abgesehen davon, dass es Zeit braucht Soldaten daran auszubilden und die Wartung des Panzers nicht trivial ist, gibt es momentan gar keine passende Munition für den Gepard. Wie sehr helfen diese Waffen dann überhaupt?

Wir müssen mehrere Dinge gleichzeitig tun. Die Ukraine braucht Waffen, die sie jetzt sofort einsetzen kann. Die bekommt sie durch den Ringtausch mit den ostmitteleuropäischen Staaten, die ihre Waffen aus sowjetischer Herstellung im Tausch für neue Waffen an die Ukraine liefern. Man muss befürchten, dass der Krieg viele Monate dauern wird. Die Ukraine braucht also zusätzlich westliche Waffen für den Fall, dass alles alte russische oder sowjetische Material im Krieg zerschossen wird und sie sich immer noch verteidigen muss. Aus diesem Grund müssen wir bereits jetzt andere, westliche Waffen liefern, sodass die Ukraine genug Zeit hat, ihre Soldaten daran auszubilden.

"Es gab einiges Ringen"

2014 wollten die Kurden vom Westen Waffen, um sich gegen den sogenannten "Islamischen Staat" wehren zu können. Sie und Ihre Partei haben damals Waffenlieferungen an die Kurden abgelehnt, sind nun aber im Fall der Ukraine dafür. Warum?

Tatsächlich hatten wir darüber auch 2014 eine sehr lange Debatte bei uns in der Fraktion. Wir haben uns letztendlich mehrheitlich dagegen entschieden. Auch wegen der Sorge, weil nicht zu kontrollieren schien, wo am Ende die Waffen landen. Schließlich war das damals eine Auseinandersetzung zwischen einer Miliz auf der einen und einer Terrororganisation auf der anderen Seite. Im Fall der Ukraine ist es eindeutiger: Hier überfällt eine imperialistische, diktatorische Großmacht ein demokratisches Land. Ein Land mit einer funktionierenden Armee und weitestgehend funktionierenden demokratischen Strukturen. Es besteht faktisch kein Risiko, dass deutsche Panzer unkontrolliert in anderen Teilen der Welt auftauchen, wie das sehr viel leichter bei kleinen und mittelgroßen Waffen sein kann, nach denen die Kurden verlangten.

Wie lang mussten Sie für den jetzigen Weg intern Überzeugungsarbeit leisten?

Klar, es gab einiges Ringen. Allerdings war das intern bei uns Grünen weniger ein Problem, als vielmehr innerhalb der Koalition.

Sitzt "das Problem" also immer noch im Kanzleramt, wie Sie vor Kurzem gesagt haben?

Ich hoffe, dass sich das nach der Entscheidung am vergangenen Donnerstag erledigt hat, als sich eine ganz große Mehrheit im Bundestag dafür aussprach, die Ukraine umfassend humanitär, wirtschaftlich und mit Waffen zu unterstützen. Nun sollte es auch angesichts der Ereignisse angemessen zügig gehen.

Der ukrainische Botschafter in Deutschland, Andrij Melnyk, verlangt bereits weitere Lieferungen, konkret 88 Leopard-Panzer, 100 Marder-Panzer und Panzerhaubitzen. Bekommt er seinen Wunsch erfüllt?

Ich hoffe sehr, dass die Anträge der Industrie auf Lieferung von Leopard- und Marder-Panzern schnell und zügig bearbeitet und genehmigt werden.

"Wir dürfen uns nicht direkt in den Krieg verwickeln"

Gibt es irgendetwas, das Deutschland kategorisch ablehnen sollte?

Wir können und dürfen den Wunsch der Ukraine nach einer Flugverbotszone nicht erfüllen. Denn das würde letztendlich bedeuten, dass wir direkt gezwungen wären russische Flugzeuge abzuschießen, dass sich also Nato und Russland bekriegen. Wir dürfen uns nicht direkt in den Krieg verwickeln lassen und wir müssen auf beiden Seiten darauf achten, dass sich der Krieg nicht ausweitet. Genau deshalb müssen wir die Ukraine so stark und so lange unterstützen, bis Russland seinen Angriff stoppt.

Würden sie diese Flugverbotszone auch dann ausschließen, wenn Russland atomare, biologische oder chemische Waffen in der Ukraine einsetzt?

Im Kreml sitzen zwar Kleptokraten und autokratische Imperialisten. Ich gehe allerdings davon aus, dass dort keine Selbstmordattentäter sitzen

Nicht nur AfD und Linke, sondern auch Kanzler Olaf Scholz warnt vor einem Dritten Weltkrieg, weil sich Putin provoziert fühlen könnte. Wie haben Sie ihm und anderen vermittelt, dass diese Ängste unbegründet sind?

Völkerrechtlich gibt es überhaupt keinen Unterschied zwischen leichten und schweren Waffen. Meine generelle Analyse ist zudem eine umgekehrte: Putin hat schon 2007 auf der Münchner Sicherheitskonferenz erklärt, was er vorhat. Nämlich ein imperiales Russland, er will das alte russische Reich wieder errichten. Russland hat 2008 Georgien überfallen, 2014 die Ukraine und 2022 erneut. Und Moskau hat angekündigt, dass es nicht aufhören will, sondern dass als Nächstes die Republik Moldau dran ist. Deutschland hat viel zu schwach auf die Untaten Putins reagiert. Nun dachte er, dass wir wieder uneinig und schwach reagieren. Doch stattdessen haben wir überwiegend einig und stark geantwortet. Wir müssen Putin klar machen, dass sein Kurs der konstanten Ausweitung von kriegerischen Konflikten nicht mehr funktioniert.

"Wir waren als Bundesrepublik viel zu arrogant"

Putins Rede auf der Sicherheitskonferenz ist 15 Jahre her. War Deutschland mehr als ein Jahrzehnt lang blind oder hat es wegen der russischen Öl- und Gaslieferungen ganz bewusst weggeschaut?

Wir haben uns selbst getäuscht. Wir wollten uns auch selbst täuschen, weil wir günstige Energie aus Russland bekamen. Wir Grünen waren zwar immer gegen Nord Stream 2, wenn wir aber ehrlich sind, haben auch wir gehofft, dass es gut geht. Rückblickend wirkt das wie Wahnsinn: Die Verträge für die Pipeline hat Deutschland 2015 unterschrieben – ein Jahr nach Kriegsbeginn in der Ostukraine! Ich muss mir nun selbst vorwerfen, dass ich damals nicht laut und klar genug war.

Es gab ja durchaus kritische Stimmen, aus der Ukraine, dem Baltikum oder von unseren ostmitteleuropäischen Nachbarn. Warum haben wir die ignoriert?

Wir waren als Bundesrepublik viel zu arrogant. Wir haben das abgetan als Trauma mit der Sowjetunion. Wir wussten es selbst besser. Spätestens seit dem 24. Februar ist aber klar: Wir haben uns geirrt und die Mittel- und Osteuropäer hatten recht.

"In den vergangenen Jahren wurde vieles kaputt gespart"

Am Wochenende hat Ihre Partei dem 100 Milliarden Euro schweren Sondervermögen für die Bundeswehr zugestimmt. Wie groß sind dabei Ihre Bauchschmerzen?

Die Entscheidung war nicht einfach. Aber im Moment ist es wichtig, dass wir der Ukraine schnell helfen. Und mittelfristig ist wichtig, dass wir die Bundeswehr besser ausstatten. Das müssen wir aber koordiniert zusammen mit unseren europäischen Partnerinnen und Partnern machen. Im Militärbereich wird in ganz Europa sehr viel Geld verschwendet. Die USA haben ein Panzermodell, die 27 EU-Staaten haben hingegen 17 verschiedene Modelle. Bei dem Sondervermögen ist also vor allem entscheidend, dass die nationalen Beschaffungen aufeinander abgestimmt werden.

Deutschlands Verteidigungsetat lag im Haushaltsjahr 2021 bei knapp 47 Milliarden Euro, mehr als 2020. Warum reicht das Geld nicht aus?

Dieses Geld reicht unter anderem deshalb nicht aus, weil wir sehr hohe Personalkosten haben und diese Menschen zu recht vernünftig bezahlt werden. Des Weiteren wurde in den vergangenen Jahren vieles kaputt gespart, es besteht ein erhebliches Modernisierungsdefizit. Und in der Beschaffung, beim Einkauf, wird das Geld sehr ineffizient ausgegeben. Im Rüstungsbereich haben wir es mit gigantischen Kostensteigerungen zu tun, weil immer wieder vonseiten der Politik oder der Behörden Änderungen verlangt werden. Das verzögert die Projekte und macht sie teurer.

"Es ist eine linke Position, die Ukraine stark zu unterstützen!"

Ihr Parteikollege Volker Beck hat am Freitag getwittert, er habe erstmals in seinem Leben für Waffen gespendet, an die Staatsbank der Ukraine. Und Sie?

Jeder muss für sich selbst entscheiden, ob er für Waffen spendet. Ich sehe meine Hauptaufgabe darin, die politische Position der Bundesregierung zu verändern. Da sind wir einen sehr guten Schritt vorangekommen.

Finden Sie es überraschend, dass Vertreter des linken Flügels der Grünen bereit sind, persönlich Geld zu spenden, um damit Waffen zu finanzieren?

Nein, mich überrascht das nicht. Denn in meinen Augen ist das am Ende eine linke Position, die Ukraine stark zu unterstützen! Wir helfen der Demokratie gegen die Diktatur, wir unterstützen die Überfallenen gegen den Aggressor. Wir hören auf die Opfer und beachten, was die Betroffenen sich wünschen. Der Krieg gegen die Ukraine ist auch ein Kolonialkrieg, Russland spricht von der De-Ukrainisierung der Ukraine. Wir unterstützen als Weltgemeinschaft die Schwächeren gegen die Imperialisten.

Und was sagen Sie den Pazifisten?

Ich kann verstehen, dass manche Menschen Angst vor einer Ausbreitung des Krieges haben. Aber ich habe wenig Verständnis, dass sie diese Angst mit so hehren Werten wie Pazifismus oder der Sorge um die Menschen in der Ukraine verbrämen – wie beispielsweise dieser ganz schreckliche Brief, der jetzt in der "Emma" erschienen ist.

Was viele in Deutschland nicht wissen: Die Ukraine hatte nach dem Zerfall der Sowjetunion das drittgrößte Kernwaffenarsenal weltweit. Im Gegenzug für Sicherheitsgarantien – auch seitens Russlands – gab das Land all seine Atomwaffen ab. Wenn also Verträge und Abrüstung jemals wieder eine Chance haben sollen, dann müssen wir jetzt alles dafür tun, die Ukraine in ihrem Abwehrkampf zu unterstützen.

Zur Person: Anton "Toni" Hofreiter ist Vorsitzender des Bundestagsausschusses für die Angelegenheiten der Europäischen Union. Zuvor war er von 2013 bis 2021 neben Katrin Göring-Eckardt Vorsitzender der Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen. Hofreiter ist Biologe und hat in Botanik promoviert.

Strack-Zimmermann und Hofreiter warnen vor möglichem Ziel Russlands

FDP-Politikerin Marie-Agnes Strack-Zimmermann und ihr Kollege von den Grünen, Anton Hofreiter, warnen vor einem Übergreifen des russischen Angriffskrieges auf das Separatistengebiet Transnistrien in der Republik Moldau. Foto: Spot on News
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