Olaf Scholz bewährt sich in der Coronavirus-Pandemie als Krisenmanager. Auch CDU und CSU schätzen seine Arbeit. Nach einer heftigen Pleite wird der Bundesfinanzminister plötzlich zum Hoffnungsträger der SPD - mit realen Chancen auf die Kanzlerschaft? Eine Analyse.

Eine Analyse

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Es war eine herbe Schlappe für Olaf Scholz im November 2019. Im Wetteifer um die SPD-Parteispitze musste sich der heute 62-Jährige Norbert-Walter Borjans und Saskia Esken aus dem linken Flügel der Sozialdemokraten geschlagen geben.

Die düsteren Schleier der Coronakrise waren noch nicht abzusehen. Die Maßnahmen, die Scholz als Bundesfinanzminister und besonnener Krisenmanager ergriff, haben aus einem Verlierer jetzt einen Gewinner in der Wählergunst gemacht. Das weiß auch seine Partei.

Bundestagswahl 2021: Olaf Scholz wird zum Hoffnungsträger der SPD

"Olaf Scholz hat in Hamburg bewiesen, dass die SPD Wahlen mit deutlichen Mehrheiten gewinnen kann. Wir sind gut beraten, wenn wir jemanden zum Spitzenkandidaten machen, der bundesweit sehr anerkannt ist und die nötige Regierungserfahrung mitbringt", erklärt Melanie Leonhard auf Anfrage unserer Redaktion, ob ihr einstiger Mentor auch das Zeug zum Spitzenkandidaten bei der Bundestagswahl 2021 habe.

Leonhard ist mit 43 eine recht junge Landesvorsitzende der SPD in Hamburg, dort, wo Scholz sieben Jahre lang erfolgreich als Erster Bürgermeister regierte.

Für sie ist er zum Hoffnungsträger der schwer angeschlagenen Partei geworden. Doch: Könnte er die Union auch ernsthaft herausfordern?

Olaf Scholz als Kanzlerkandidat? Zwei Lager in der SPD

"Seine Anhänger waren sehr enttäuscht, dass er damals knapp verloren hat. Nur die Hälfte der Mitglieder hatte abgestimmt. Die Wahlniederlage war ein deutlicher Schlag für Olaf Scholz und die SPD-Ministerpräsidenten auf Landesebene, die ja alle auf seiner Seite standen. Die Scholz-Anhänger dürften nun Genugtuung empfinden", erklärt Prof. Dr. Oskar Niedermayer im Gespräch mit unserer Redaktion zur einstigen innerparteilichen Niederlage.

Der Politikwissenschaftler und langjährige Professor der Freien Universität Berlin ist sich sicher: "Beim linken Flügel hat sich die Einsicht durchgesetzt, dass an Scholz kein Weg vorbeiführt." Wie sehr die Genossen auf ihn bauen, zeigt ein Blick nach Bayern. Dort, wo die SPD bei der Landtagswahl 2018 unterging und nur noch 9,7 Prozent der Stimmen holte.

"Ich kenne Olaf Scholz seit jeher als besonnenen und klugen Politiker, der sich in der momentanen Krise nochmal viel Vertrauen erarbeitet hat. Er hat sich als Krisenmanager bewährt und während der Corona-Pandemie gezeigt, dass er die Menschen durch schwierige Zeiten führen kann. Das sehe nicht nur ich so, das zeigen auch seine hohen Beliebtheitswerte", erklärt Natascha Kohnen auf Anfrage: "Die Menschen mögen seine unaufgeregte Art und sehen, dass er die Dinge anpackt."

SPD: Natascha Kohnen und Melanie Leonhard werben für Olaf Scholz

Scholz kommt gut an, glaubt die SPD-Landesvorsitzende aus München. Eine repräsentative Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Civey für das Nachrichtenmagazin Spiegel deckt diesen Eindruck: Demnach sind mehr als ein Drittel der Bürger der Ansicht, dass die SPD mit Scholz an der Spitze bei der Bundestagswahl 2021 noch die größten Chance hätte.

"Er wird durchweg als positiv wahrgenommen, weil sich die Corona-Krise zu einer Finanzkrise entwickelt hat und er als Finanzminister viel stärker gefragt war. Wenn man sich seine letzten Umfragewerte anschaut, liegt er zusammen mit der Kanzlerin auf den vordersten Plätzen", erklärt die Tübinger Politikwissenschaftlerin Prof. Dr. Gabriele Abels im Gespräch mit unserer Redaktion: "Das hat mit seiner Rolle in der Corona-Krise zu tun."

Laut Niedermayer hat Scholz erkannt, "dass man in dieser Krise Themen wie die Schwarze Null über Bord werfen muss, um die Wirtschaft zu retten. Er hat den linken Flügel auf seine Seite gezogen, weil er die Sparpolitik aufgegeben hat. Sein Schicksal schien besiegelt, dass er keine Chance mehr auf die Kanzlerkandidatur hat." Doch strategisch habe er jetzt alles richtig gemacht.

Tritt Olaf Scholz für die SPD an? "Sie müssen ihm die Kanzlerkandidatur antragen"

Esken und Walter-Bojans müssten Scholz die Kanzlerkandidatur antragen, so Niedermayer: "Wie man in den Umfragen der Forschungsgruppe Wahlen sehen kann, werden Esken und Walter-Bojans nicht einmal zu den Top-Politikern gezählt."

Scholz hatte mit Kanzlerin Angela Merkel ein 130-Milliarden-Euro-Konjunkturpaket als Reaktion auf die Corona-Krise erarbeitet und dafür sogar Lob aus den Reihen des politischen Gegners erhalten.

"Mit dem Konjunkturpaket hat Olaf Scholz unserer schwächelnden Wirtschaft den "Wumms" ermöglicht, den es braucht, damit der Motor wieder anspringen kann", sagt Kohnen. Genossin Leonhard konstatiert nüchtern: "In der Corona-Krise hat Olaf Scholz richtige und weitreichende Entscheidungen schnell getroffen."

Chancen bei der Bundestagswahl 2021? "Die SPD zerlegt Kandidaten auch mal selbst"

Es gibt auch Mahner. Expertin Abels sieht die SPD in einer "merkwürdigen Situation: Erst wurde er demontiert, und jetzt gilt er als der neue Hoffnungsträger", sagt sie und analysiert deutlich: "Was die Parteivorsitzenden Borjans und Esken betrifft: In Teilen der SPD gab es eine große Enttäuschung, dass aus dem doch aufwändigen Wahlverfahren des Parteivorstands kein großer Aufbruch hervorging. Wenn man sich die Führungsriege der SPD anschaut, hat das auch was mit Verzweiflung zu tun." Hätte Scholz also überhaupt eine Chance, die Bundestagswahl zu gewinnen?

"Es wird stark darauf ankommen, wer für die Union als Kanzlerkandidat antritt", erklärt Niedermayer: "Und es wird darauf ankommen, ob der linke Flügel der SPD im Wahlkampf stillhält. Die SPD ist dafür bekannt, dass sie auch mal Kandidaten selbst zerlegt."

Expertin Abels: "Kanzleramt rückt für die SPD in weite Ferne"

Abels sieht es noch kritischer. So sei der SPD klar, "dass das Kanzleramt in ganz weite Ferne rückt", sagt sie: "Die Sozialdemokraten hängen in einem Tief. Meiner Meinung nach sind selbst 20 Prozent für die SPD bei der nächsten Bundestagswahl in weiter Ferne."

Verwendete Quellen:

  • Prof. Dr. Oskar Niedermayer, Otto-Suhr-Institut für Politikwissenschaft, Freie Universität Berlin
  • Prof. Dr. Gabriele Abels, Institut für Politikwissenschaft, Eberhard Karls Universität Tübingen
  • Melanie Leonhard, Landesvorsitzende der SPD in Hamburg, Natascha Kohnen, Landesvorsitzende der SPD in Bayern
  • Spiegel.de: SPD-Anhänger favorisieren Scholz als Kanzlerkandidaten

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