Schnell soll es gehen: Am Mittwochmittag soll der Bundestag eine Neufassung des Infektionsschutzgesetzes beschließen, nur wenige Stunden später auch der Bundesrat in einer Sondersitzung. Die Opposition fühlt sich übergangen.

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Am Mittwoch wollen Bundestag und Bundesrat das bereits dritte sogenannte Bevölkerungsschutzpaket für die Coronakrise beschließen. Mit der Neufassung des Infektionsschutzgesetzes sollen den Plänen von Union und SPD zufolge die Maßnahmen zur Bekämpfung der Pandemie auf eine solidere gesetzliche Grundlage gestellt werden.

Wir fassen zusammen, was genau beschlossen werden soll – und warum die Plänen auch kritisiert werden.

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Warum soll das Infektionsschutzgesetz aktualisiert werden?

Die große Koalition erhofft sich von der Neufassung des Infektionsschutzgesetzes eine höhere Rechtssicherheit für die erforderlichen Corona-Schutzmaßnahmen. Zugleich werde aber auch der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gestärkt, betonten der SPD-Rechtsexperte Johannes Fechner und die Gesundheitsexpertin Sabine Dittmar am Montag in Berlin.

Auch Unionsfraktionsvize Thorsten Frei (CDU) erklärte, die Neuregelung "festigt die demokratische Legitimation der Schutzmaßnahmen".

Die Neufassung des Gesetzentwurfs wurde am Montag im Gesundheits- und im Rechtsausschuss des Parlaments beraten und soll am Mittwoch von Bundestag und Bundesrat verabschiedet werden.

Das neue Gesetz soll noch am selben Tag von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier unterzeichnet werden, um rasch in Kraft treten zu können.


Was genau soll beschlossen werden?

  • Befristung: Mit dem neuen Infektionsschutzgesetz werde nun auch vorgeschrieben, dass Rechtsverordnungen zum Schutz vor der Pandemie "befristet sein müssen und dass sie begründet sein müssen", wie SPD-Rechtsexperte Fechner betonte. Dies mache es dann auch "für die Justiz einfacher, Sinn und Zweck der Verordnung nachzuvollziehen", sagte der SPD-Politiker.
  • Konkretisieren der Rechtsgrundlagen: "Es geht darum, dass der Bundestag zeigt, dass und welche Schutzmaßnahmen er in dieser Ausnahmesituation der Corona-Pandemie zulässt", erklärte Unionsfraktionsvize Frei.
  • Abwägungen treffen: Vorgeschrieben wird in dem Gesetz, dass beim Erlass von Verordnungen nicht allein der Gesundheitsschutz eine Rolle spielen darf, sondern "dass auch soziale und wirtschaftliche Aspekte abzuwägen sind". Zudem müssen die Regierungen von Bund und Ländern darüber den Parlamenten Bericht erstatten.
  • Höhere Hürden für Verbot von Gottesdiensten und Demonstrationen: Diese verfassungsmäßig geschützten Veranstaltungen dürften Frei zufolge nur verboten werden, "wenn keine anderen Möglichkeiten bestehen", den Erfordernissen des Infektionsschutzes gerecht zu werden.
  • Aufbau von Impfzentren gegen das Coronavirus: Vereinbart wurden den Angaben zufolge der Aufbau von Impfzentren bis zum 15. Dezember. Damit werde sichergestellt, dass "diese am 16. Dezember impfen könnten", wenn bis dahin ein Impfstoff zur Verfügung stehe, sagte SPD-Gesundheitsexpertin Dittmar.
  • Digitale Einreiseanmeldungen für Reisende aus Risikogebieten: Für diese vorgeschriebenen Anmeldungen wird nun eine gesetzliche Grundlage geschaffen.
  • Ausgleichsregelung für Krankenhäuser: Für Kliniken, die beispielsweise Einnahmeausfälle haben, weil sie Betten für Corona-Patienten freihalten, soll statt der im Frühjahr angewandten Pauschalregelung nun ein differenziertes Modell angewandt werden. Dieses sieht einen Ausgleich abhängig von der Ausstattung des Krankenhauses, den Infektionszahlen und der Belegungsquote von Intensivbetten vor.

Was wird kritisiert?

Die Opposition kritisierte die Gesetzesberatungen im Eilverfahren. Die Obleute im Gesundheitsausschuss Andrew Ullmann (FDP), Achim Kessler (Linke) und Kirsten Kappert-Gonther (Grüne) erklärten, die Änderungsanträge zum Gesetzentwurf seien erst eine Stunde vor der Ausschusssitzung übermittelt worden.

"Die Pandemie fordert auch dem Parlament einiges ab und auch zügige Entscheidungen sind notwendig", erklärten FDP, Linkspartei und Grüne. Doch die große Koalition ignoriere die Rechte des Parlamentes. Ein auch von der SPD geforderter Parlamentsvorbehalt - mindestens in Form einer nachträglichen Einspruchsmöglichkeit - scheiterte dagegen laut Sozialdemokraten am Widerstand der Union, die den Handlungsspielraum der Exekutive ansonsten zu sehr eingeschränkt gesehen habe.

Grünen-Chefin Annalena Baerbock drängte darauf, dass das Infektionsschutzgesetz nach seiner Überarbeitung ein Minimum an zwischenmenschlichen Kontakten und Bewegungsfreiheit gewährleisten muss.

Zudem dürfe die Religions- und Versammlungsfreiheit laut Baerbock nicht pauschal, sondern nur im Einzelfall eingeschränkt werden. "Ansonsten ist das Ganze nicht gerichtsfest. Und es helfen uns die besten Maßnahmen und Vorkehrungen nicht, wenn sie dann immer wieder von Gerichten gekippt werden." Auch für eine Verankerung von Kinderrechten sprach sie sich aus.

Wegen der Abstimmung im Bundestag und Bundestag mobilisieren Gegner der Corona-Einschränkungen zu Protesten in Berlin. Von Teilen der AfD über diverse rechtsextreme Gruppierungen bis hin zu selbsternannten "Querdenkern" ist der Widerstand gegen die Änderungen am Infektionsschutzgesetz groß.

FDP-Innenpolitiker Konstantin Kuhle sieht die Groko-Pläne selbst kritisch. Zugleich kritisierte er aber auf Twitter mit Blick auf die Gegner von Anti-Corona-Maßnahmen scharf: "Dieser gefährliche Unsinn über ein angebliches Ermächtigungsgesetz und das absichtliche Missverstehen machen mich sehr betroffen."

Linken-Chef Bernd Riexinger bemängelte ebenso die Pläne der Bundesregierung zum Corona-Schutz. Es sei "nicht nachvollziehbar, dass der Fokus ausschließlich auf den privaten Bereich gelegt wird", sagte Riexinger. Dabei würden die massiven sozialen Auswirkungen gerade auf jüngere Menschen offensichtlich übersehen.

Er kündigte an, dass die Linken-Fraktion der Neuregelung des Infektionsschutzgesetzes am Mittwoch im Bundestag nicht zustimmen werde. Er begründete dies mit demokratiepolitischen Defiziten im Verfahren, aber auch mit inhaltlichen Mängeln. (afp/dpa/mf)

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