Die Eskalation im Nahen Osten erinnert an einen der schlimmsten Konflikte der Menschheitsgeschichte: Vor 400 Jahren tobte in Mitteleuropa der Dreißigjährige Krieg. Droht dem Vorderen Orient eine ähnliche Katastrophe? Prof. Dr. Günter Meyer warnt vor zunehmenden Spannungen und verschiedenen Brandherden.
Die Gemengelage ist komplex, die Interessen der involvierten Gruppen und Nationen könnten unterschiedlicher nicht sein, es handelt sich um einen der schlimmsten Konflikte der Menschheitsgeschichte. All das trifft auf den Dreißigjährigen Krieg vor 400 Jahren ebenso zu, wie auf die aktuelle Lage im Nahen Osten.
Damals ging es einerseits um einen Glaubenskrieg zwischen Katholiken und Protestanten und andererseits um die Vorherrschaft im Heiligen Römischen Reich. Dabei mischten die habsburgischen Mächte und mehrere Landesfürsten im Inneren ebenso mit, wie die europäischen Widersacher Frankreich, Niederlande, Dänemark und Schweden.
Auch wenn der Schauplatz im Jahr 2018 ein anderer ist, so sind doch die Muster vergleichbar: Große Bereiche des Nahen Ostens sind Schlachtfeld höchst unterschiedlicher Mächte. Zudem sind die Konflikte religiös und ideologisch aufgeladen.
Insbesondere in Syrien tobt seit 2011 ein Stellvertreterkrieg, der nicht nur die Ausbreitung radikaler islamistischer Gruppen begünstigte, sondern in den auch regionale Mächte und globale Akteure wie die USA und Russland zur Durchsetzung ihrer jeweiligen Interessen eingriffen.
Neuer Dreißigjähriger Krieg?
Schon vor der Ankündigung von US-Präsident
Der Geograph Prof. Dr. Günter Meyer ist Vorsitzender des "Weltkongresses für Studien zum Vorderen Orient" und leitet das "Zentrum für Forschung zur Arabischen Welt" an der Universität Mainz.
Er sagt: "Die gesamte geopolitische Lage in der Region hat sich gerade in den letzten Wochen erneut dramatisch verschärft." Dabei bereiten Meyer besonders die angekündigten wirtschaftlichen Sanktionen seitens der USA Sorge.
"Mithilfe der wirtschaftlichen Sanktionen will Trump den Iran in die Knie zwingen: Wenn sich die Lage der Bevölkerung verschlechtert, führt das zu Unruhen. Der vom Ausland geschürte Widerstand seitens verschiedener ethnischer Minoritäten im Iran droht dann zu eskalieren", beschreibt der Experte das amerikanische Kalkül.
Unübersichtliche Interessenlage
Wer die Lage im Nahen Osten ansatzweise verstehen will, muss Landkarte, Geschichte, Religion und Politik in den Blick nehmen. "So werden die Streitkräfte des syrischen Präsidenten Assad von der libanesischen Hisbollah, den iranischen Revolutionsgarden, schiitischen Milizen aus dem Irak, Afghanistan und Pakistan sowie in entscheidendem Maße durch die russische Luftwaffe unterstützt", erläutert Meyer nur eine Seite des Stellvertreterkriegs.
"Die Gegner der Assad-Regierung im Lande selber sind zum größten Teil djihadistische Milizen, insbesondere Anhänger von Al-Kaida, und jetzt nur noch wenige Kämpfer des Islamischen Staates. Die Assad-Gegner werden vor allem von Saudi-Arabien, Katar, Türkei und den USA finanziert und mit Waffen versorgt", erklärt Meyer weiter.
Dabei nehme die US-Regierung eine Schlüsselrolle als Führungsmacht der Allianz von mehr als 60 Staaten ein, darunter auch England, Frankreich und Deutschland, die für die militärische Vernichtung des IS angetreten sind.
Damit nicht genug: Washington nutzt diese Position gleichzeitig zur Etablierung eines Kurdenstaates auf syrischem Gebiet, was wiederum die türkische Regierung mit militärischen Mitteln verhindern will. "Vergessen werden darf auch nicht die Rolle von Israel im Kampf gegen die Regierungen in Damaskus und Teheran“, ergänzt Meyer.
Einfluss des Iran begrenzen
Die am Dienstag von Präsident Trump angekündigten extrem harten Sanktionen gegen den Iran sind nicht nur in Israel, sondern auch in Riad auf großen Jubel gestoßen.
"Das saudische Königshaus, das die Führerschaft des sunnitischen Islams weltweit beansprucht, sieht im schiitischen Iran seit der Islamischen Revolution 1979 seinen größten Rivalen. In jüngster Zeit ist das Empfinden der Bedrohung durch den Iran als potentielle Atommacht, die ihr ballistisches Raketenprogramm erfolgreich ausbaut, noch massiv verstärkt worden“, erklärt Nahost-Experte Meyer.
Die Angst vor dem wachsenden regionalen Einfluss des Iran würde verständlicher, wenn man den für Saudi-Arabien extrem teuren, aber wenig erfolgreichen Krieg gegen die von Teheran unterstützten Houthis im Jemen und ebenso die jüngsten iranischen Erfolge in Syrien zur Stärkung der Assad-Regierung in den Blick nehme.
Trump baut sich Kriegskabinett
"Auch bei den Wahlen im Libanon haben die schiitischen Parteien – insbesondere die Hisbollah als einer der wichtigsten Verbündeten Assads – klar zu den Gewinnern gehört", erinnert Meyer. Ähnliches sei im Irak zu erwarten, wo am Samstag ein neues Parlament gewählt wird.
"Alles deutet darauf hin, dass die pro-iranischen Parteien deutlich zulegen werden. Weitere Erfolge des Iran wollen die USA und ihre Verbündeten unbedingt verhindern", analysiert er.
Für die Verschärfung der Situation spricht auch Trumps neues Kriegskabinett: Mit Mike Pompeo und John Bolton hat er einen Außenminister und einen Sicherheitsberater, die voll auf militärische Konfrontation mit dem Iran setzen.
Mehrere Brennpunkte
Geht diese Strategie auf? In den Augen von Meyer befindet sich die Region in einer Eskalationsphase - sowohl in Bezug auf die politischen Spannungen als auch im militärischen Bereich.
Er sieht Gefahren an verschiedenen Stellen: "Gegenwärtig haben wir unter dem iranischen Präsidenten Rouhani eine relativ liberale, pro-westliche, reformbereite Regierung. Dagegen stärkt die US-Politik die konservativen religiösen Hardliner im Land. Diese werden deutlich an Gewicht gewinnen, was das gesamte Spannungspotenzial in der Region erhöht."
Rouhani erklärte in einer Fernsehansprache zwar, er wolle am Atomabkommen festhalten, drohte aber gleichzeitig mit einer möglichen Entscheidung für die Urananreicherung "in den nächsten Wochen".
"Sollte das Atomprogramm wieder aufgenommen werden, wäre die Gefahr einer militärischen Intervention durch die USA, Israel und Saudi-Arabien groß", fürchtet Meyer. Ob es tatsächlich zu einem Militäreinsatz käme, sei dahingestellt, klar ist für Meyer aber: "Ein Wettrennen würde beginnen, bei dem die Saudis sich um den Aufbau eines eigenen Atomwaffenprogramms bemühen."
Zweckbündnis zwischen Israelis und Saudis
Schon zu Zeiten des Dreißigjährigen Krieges galt das Mantra: "Der Feind meines Feindes ist mein Freund". Zweckbündnisse ergaben sich aus dem gemeinsamen Gegner: Damals brachten die Habsburger als Feind den katholischen französischen König und den protestantischen schwedischen König zusammen.
Ähnliches ist im Nahen Osten zu beobachten: Eine Allianz aus Israel und Saudi-Arabien wäre noch vor wenigen Jahren völlig undenkbar gewesen. Zuvor lautete die Grundposition der Arabischen Liga: "Wir stehen geschlossen hinter den Palästinensern, deren Land von Israel okkupiert worden ist".
Diese Position hat sich gewandelt. "Nach Aussagen des saudischen Kronprinzen Mohammed bin Salam ist die Zeit der bedingungslosen Unterstützung Palästinas gegen Israel abgelaufen. Jetzt gilt es, gegen die stärkste Bedrohung – den Iran – vorzugehen", stellt Meyer fest.
Konfrontation zwischen Iran und Israel
Am brisantesten ist derzeit die Konfrontation zwischen dem Iran und Israel. Nach mehreren Luftangriffen in Syrien in den vergangenen Wochen, die Israel zugerechnet wurden, hatte die islamische Republik Vergeltung angekündigt und nun angeblich Stellungen auf dem von Israel völkerrechtswidrig annektierten Golan mit Raketen beschossen. Die israelische Luftwaffe reagierte darauf mit den bisher bei weitem schwersten Angriffen auf iranische Ziele in Syrien.
"Unter allen Umständen musste dabei eine militärische Konfrontation mit Russland verhindert werden. Wie die israelische Regierung in ihrer Pressemitteilung verlauten ließ, waren die russischen Truppen von vornherein über die bevorstehenden Angriffe informiert worden", so Meyer.
"Nachdem israelischen Angaben zufolge alle iranischen Stellungen im Südwesten Syriens zerstört wurden, ist zumindest an der israelisch-iranischen Front in Syrien vorerst eine militärische Atempause zu erwarten“, schätzt Meyer.
Europäer sind große Verlierer
Indirekt betroffen ist längst die ganze Welt. Die Europäer stehen aktuell vor der schwierigen Frage, wie sie angesichts der angedrohten US-Sanktionen am Atomabkommen mit dem Iran festhalten sollen. Zahlreiche europäische Unternehmen hatten nach dem Abschluss des Atomvertrages viele Milliarden Euro investiert und sich große Chancen durch ihre Beteiligung am künftigen wirtschaftlichen Aufschwung des Iran ausgemalt.
"Die Europäer sind jetzt die großen Verlierer", urteilt Nahost-Experte Meyer. Die US-Regierung verlangt von allen ausländischen Unternehmen, dass sie ihre wirtschaftlichen Aktivitäten mit dem Iran spätestens innerhalb eines halben Jahres einstellen, wenn sie selber amerikanische Sanktionen vermeiden wollen.
"Mit dem Ziel, das Nuklearabkommen auch ohne die USA beizubehalten, bemüht man sich in Berlin und anderen europäischen Hauptstädten zwar darum, Lösungen für die Fortsetzung der wirtschaftlichen Zusammenarbeit mit dem Iran zu finden. Kaum ein international tätiges Unternehmen wird es aber wohl riskieren, wegen wirtschaftlicher Beziehungen zum Iran den Zugang zum riesigen US-Absatzmarkt zu verlieren", ist sich Meyer sicher.
Hoffen auf Frieden
Am Ende des Dreißigjährigen Krieges stand der Westfälische Friede, der im Nachgang oft als "Prototyp eines Friedensvertrages" bezeichnet wurde. In Syrien ist Frieden durch die jüngsten Entwicklungen in weitere Ferne gerückt, eine Lösung scheint nicht erkennbar.
"Die jüngste US-Politik hat nicht zur Stabilisierung beigetragen, sondern die Spannungen verschärft und verfestigt", sagt auch Meyer. Nur die Hoffnung auf Frieden, die bleibt gewiss.
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