• Zum Recht auf ein selbstbestimmtes Leben gehört auch das Recht, dem Leben ein Ende zu setzen. Das hat das Bundesverfassungsgericht festgestellt.
  • Die Politik muss jetzt Regeln für den assistierten Suizid, also die Hilfe zur Selbsttötung, aufstellen.
  • Der Deutsche Ethikrat hat in der Diskussion eine Stellungnahme vorgelegt. Die Mitglieder betonen: Die Suizidprävention in Deutschland muss verbessert werden.

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Das Thema ist heikel und sensibel: Im Jahr 2021 haben sich in Deutschland rund 9.000 Menschen das Leben genommen. Im Vergleich zu den vergangenen Jahrzehnten sind die Zahlen zwar rückläufig. Doch bei bestimmten Gruppen – zum Beispiel bei alleinstehenden älteren Männern – nehmen sie nach Auskunft der Medizinethikerin Alena Buyx eher zu. Möglicherweise wären einige dieser Selbsttötungen vermeidbar gewesen, wenn die Betroffenen früh Hilfe bekommen hätten.

Auf der anderen Seite hat das Bundesverfassungsgericht festgestellt: Zum Recht auf ein selbstbestimmtes Leben gehört auch das Recht, dem Leben aus freien Stücken ein Ende zu setzen. Das Urteil habe Politik und Gesellschaft vor große Herausforderungen gestellt, sagt Buyx. Am Donnerstag hat sie mit ihren Kollegen Helmut Frister und Andreas Lob-Hüdepohl in der Bundespressekonferenz eine Stellungnahme des Deutschen Ethikrats zum Thema vorgelegt.

Ethikrat sieht Nachholbedarf bei Suizidprävention

Das Gremium stellt einerseits klar. Die Selbsttötung ist weder verdammenswürdig noch eine Heldentat. Häufig sei sie das Resultat eines längeren Prozesses. Dieser Prozess müsse aber keineswegs immer unmittelbar zum Suizid führen. Wichtig sei daher die Prävention, also die Vorbeugung. "Der Respekt vor freiverantwortlich getroffenen Suizidentscheidungen darf nicht bedeuten, dass uns Suizide egal sein dürfen", sagt die Ethikrat-Vorsitzende Buyx. Man müsse Suizidprävention mitdenken in der ganzen Gesellschaft.

Trifft ein Mensch ganz freiverantwortlich die Entscheidung, sich das Leben zu nehmen, so ist das aus Sicht des Ethikrats einerseits zu respektieren. Der Düsseldorfer Jurist Helmut Frister sagt aber auch: "Bei einer nicht freiverantwortlichen Entscheidung ist der Betroffene vor sich selbst zu schützen."

Doch wann handelt ein Mensch in freier Verantwortung? Welche Alternativen gibt es zum Suizid? Diese Fragen müssen Betroffene aus Sicht des Ethikrats besprechen können. Der Theologe Andreas Lob-Hüdepohl sieht in Deutschland großen Nachholbedarf bei der Suizidprävention. Verantwortlich dafür können viele sein: Angehörige, speziell geschulte Mitarbeitende in Kliniken oder Pflegeheimen oder auch Ehrenamtliche etwa bei der Telefonseelsorge. Doch die rechtlichen Regeln muss aus Sicht des Ethikrats der Staat schaffen.

Bundesverfassungsgericht: Jeder Mensch hat das Recht auf selbstbestimmtes Sterben

Die Stellungnahme des Ethikrats soll auch in die aktuelle Diskussion über den sogenannten assistierten Suizid einfließen. Die aktive Sterbehilfe, bei der eine andere Person einem Sterbewilligen zum Beispiel ein todbringendes Medikament verabreicht, ist in Deutschland verboten. Was aber gilt beim assistierten Suizid? Davon spricht man, wenn der Sterbewillige das Medikament selbst zu sich nimmt – aber eine andere Person dieses Medikament besorgt hat.

Bis zum Februar 2020 war diese Beihilfe zur Selbsttötung in Deutschland strafbar. Dann kippte das Bundesverfassungsgericht wie erwähnt das Verbot der "geschäftsmäßigen Sterbehilfe" im Paragraf 217 des Strafgesetzbuchs. Das Grundgesetz verleihe jedem Menschen das Recht auf ein selbstbestimmtes Sterben, stellten die Richterinnen und Richter fest. "Dieses Recht schließt die Freiheit ein, sich das Leben zu nehmen und hierbei auf die freiwillige Hilfe Dritter zurückzugreifen", hieß es in der Entscheidung.

Sterbehilfe-Vereine sind in Grauzone aktiv

Das Bundesverfassungsgericht wollte der geschäftsmäßigen Sterbehilfe aber auch nicht Tür und Tor öffnen. Es forderte die Politik auf, gesetzliche Regeln für den assistierten Suizid aufzustellen. Das ist bisher jedoch nicht passiert – und so befindet sich das Thema in einer rechtlichen Grauzone.

Sogenannte Sterbehilfe-Vereine sind seitdem in Deutschland aktiv. Und zwar gegen Geld: Sterbewillige müssen zunächst zahlendes Mitglied im Verein werden. Einem Bericht des Deutschlandfunks zufolge verlangt zum Beispiel ein Hamburger Verein 2.000 Euro im Jahr. "Und wenn man diese Sterbehilfe in Anspruch nimmt, kostet das im ersten Jahr der Mitgliedschaft noch einmal 7.000 Euro; im zweiten Jahr wären 6.000, im dritten Jahr 5.000 Euro fällig."

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Diese drei Gesetzentwürfe zum assistierten Suizid sind in der Diskussion

Der Bundestag will für den assistierten Suizid nun gesetzliche Regeln aufstellen. Dafür liegen drei Gesetzentwürfe auf dem Tisch. Hinter diesen Entwürfen stehen jeweils Abgeordnete aus verschiedenen Fraktionen. Wie so häufig bei ethischen Fragen sollen die Parlamentarier nicht nach Fraktionslinie abstimmen, sondern sich nur von ihrem Gewissen leiten lassen.

  • Die strengsten Regeln sieht der Gesetzesentwurf einer Gruppe um Lars Castellucci (SPD) vor: Beihilfe zum Suizid bleibt dort strafbar. So soll Missbrauch verhindert werden. Es gilt nur eine Ausnahme: Ein Facharzt oder eine Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie muss den Sterbewilligen zweimal untersucht und festgestellt haben, dass der Sterbewunsch auf dem freien Willen der Person beruht. Hinter diesem Entwurf stehen unter anderem SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich, die Bundestagsvizepräsidentinnen Kathrin Göring-Eckardt (Grüne), Yvonne Magwas (CDU) und Petra Pau (Linke) sowie Bundesbildungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP).
  • Im Entwurf einer Gruppe um Katrin Helling-Plahr (FDP) heißt es: "Jeder darf einem anderen, der aus autonom gebildetem, freiem Willen sein Leben beenden möchte, Hilfe leisten und ihn bis zum Eintritt des Todes begleiten." Ein Arzt oder eine Ärztin kann ein Medikament zur Selbsttötung verschreiben, wenn er oder sie den Sterbewilligen zuvor über Umstände und Alternativen aufgeklärt hat. Hinter diesem liberalsten Ansatz zum Thema stehen viele FDP-Abgeordnete, aber auch Linken-Fraktionschef Dietmar Bartsch und Till Steffen, Parlamentarischer Geschäftsführer der Grünen.
  • Ein dritter Entwurf von einer Gruppe um Renate Künast (Grüne) liegt zwischen den anderen beiden – aber näher an der Gruppe um Helling-Plahr. Sterbewillige sollen einen "sicheren Zugang" zu Sterbemedikamenten erhalten. Wenn die Person nicht unheilbar krank ist, bleibt es aber eine Entscheidung des Staates, ob sie diesen Zugang erhält. Die Sterbewilligen müssen sich zudem von einer unabhängigen Stelle zweimal beraten lassen. Für diesen Ansatz hat sich neben zahlreichen Grünen-Abgeordneten unter anderem SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert ausgesprochen.
  • Die AfD hat an keiner der drei Entwürfe mitgewirkt – und kritisiert, dass die anderen Fraktionen die Zusammenarbeit mit der AfD abgelehnt haben.

Der Deutsche Ethikrat will sich in der politischen Diskussion nicht klar für oder gegen die einzelnen Gesetzentwürfe positionieren. Man formuliere in dieser Frage keine klaren Empfehlungen, betont Alena Buyx.

Zwischen den Zeilen dürfte aber klar sein, dass am ehesten der zuerst erwähnte Gesetzentwurf den Anforderungen des Ethikrats entsprechen würde. Schließlich legen die Ethikerinnen und Ethiker Wert auf Prävention, sie betonen die Verantwortung Dritter und fordern eine Prüfung der Freiverantwortlichkeit. "Wir betonen das so intensiv, weil wir da noch Luft nach oben sehen", sagt Alena Buyx.

Wenn Sie oder eine Ihnen nahestehende Person von Suizid-Gedanken betroffen sind, wenden Sie sich bitte an die Telefonseelsorge unter der Telefonnummer 0800/1110-111 (Deutschland), 142 (Österreich), 143 (Schweiz).

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Verwendete Quellen:

  • Pressekonferenz des Deutschen Ethikrats in der Bundespressekonferenz
  • Deutscher Ethikrat: Stellungnahme "Suizid - Verantwortung, Prävention und Freiverantwortlichkeit"
  • Bundestag Drucksache 20/904: Entwurf eines Gesetzes zur Strafbarkeit der geschäftsmäßigen Hilfe zur Selbsttötung und zur Sicherstellung der Freiverantwortlichkeit der Entscheidung zur Selbsttötung
  • Bundestag Drucksache 20/2293: Entwurf eines Gesetzes zum Schutz des Rechts auf selbstbestimmtes Sterben und zur Änderung weiterer Gesetze
  • Bundestag Drucksache 20/2332: Entwurf eines Gesetzes zur Regelung der Suizidhilfe
  • Bundesverfassungsgericht.de: Verbot der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung verfassungswidrig
  • Deutschlandfunk.de: Ein Jahr nach dem BVG-Urteil zur Sterbehilfe: Giftbecher für 9.000 Euro
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