Die CDU hat die Landtagswahl in Hessen klar gewonnen. SPD und Grüne können nur noch auf die Rolle des Juniorpartners in einer Koalition mit der Union hoffen. Die Politikwissenschaftlerin Dorothée de Nève glaubt: Egal wer es wird, beide Parteien werden Zugeständnisse machen müssen.
Halbzeit für die Ampel, Doppelwahltag in Deutschland: Etwa nach der halben Regierungszeit der Ampel-Regierung im Bund haben die Menschen in Hessen und Bayern am Sonntag einen neuen Landtag gewählt. Die CDU, die in Hessen seit 1999 den Ministerpräsidenten stellt, ist auch diesmal Wahlsieger – und zwar mit deutlichem Abstand.
Laut Hochrechnungen am späten Sonntagabend fuhr die hessische CDU unter Boris Rhein ein Ergebnis von 34,6 Prozent ein. Damit legt sie mehr als 7 Prozentpunkte im Vergleich zur Wahl im Jahr 2018 zu. Die AfD wurde mit 18,4 Prozent zweitgrößte Partei vor der SPD (15,1 Prozent) und den Grünen (14,8 Prozent).
"Vertrauensverlust in die Ampel ist eklatant"
Seit 2014 regiert die CDU gemeinsam mit den Grünen in einer Koalition – die erste schwarz-grüne Landesregierung in einem Flächenland. Für die Grünen ist die Hessenwahl allerdings eine Wahlschlappe. Sie rutschen vom zweiten auf den vierten Platz. Das ausgegebene Ziel, mit Tarek Al-Wazir die Landesregierung zu übernehmen, rückt damit in weite Ferne.
Für die Ampel im Bund waren die Landtagswahlen ein Stimmungstest – der, wenig überraschend, Unzufriedenheit mit der Koalition signalisiert. "Es bedurfte keines schlechten Wahlergebnisses, um die Krise der Ampel sichtbar zu machen", sagt die Gießener Politikwissenschaftlerin Dorothée de Nève im Gespräch mit unserer Redaktion.
Zur Halbzeit der Legislaturperiode sei es oft so, dass der Rückhalt für die Regierung schrumpft. "Im Falle der Ampel ist der Vertrauensverlust freilich eklatant", betont sie jedoch. Für die Sozialdemokratie gelte es nun, die Ergebnisse kritisch zu reflektieren – in Hessen und darüber hinaus.
Weil die Linkspartei nicht mehr im nächsten hessischen Landtag vertreten ist, sei die hessische SPD, die sich mit der Kandidatin Nancy Faeser klar in der bürgerlichen Mitte positioniert hatte, nun die am weitesten links stehende politische Kraft im Landtag. "Da bleibt inhaltlich und strategisch derzeit nach links also viel Raum unbespielt", so die Expertin. Es bleibe spannend, ob die SPD mit einer stärkeren Fokussierung auf Sozialpolitik, Arbeit und Bildung versuchen werde, hier Wählerpotenziale (zurück) zu gewinnen.
Muss Faeser jetzt gehen?
Eigentlich hatte die SPD mit Bundesinnenministerin
"Ich erwarte, dass Nancy Faeser als Landesvorsitzende der hessischen SPD zurücktreten wird", sagt de Nève. Das werde der SPD auch die Chance geben, sich personell neu aufzustellen. "Gleichzeitig wird Faeser voraussichtlich der Ampelregierung als Innenministerin erhalten bleiben", schätzt die Politikwissenschaftlerin. Die Verluste der SPD seien für sie als Spitzenkandidatin natürlich schmerzlich, schmälerten aber nicht die Leistungen in der Bundespolitik.
"Ich halte es für grundsätzlich falsch zu erwarten, dass Spitzenpolitiker nach Wahlniederlagen automatisch von der politischen Bühne verschwinden", sagt sie. Geeignetes und qualifiziertes Personal wachse auch in großen Parteien nicht nach wie Pilze. Faeser war mit einer schweren Hypothek ins Rennen gegangen: Zuletzt stand sie beispielsweise in der Causa Schönbohm und für Äußerungen in der Flüchtlingspolitik massiv in der Kritik.
Hinzu kommt, dass das Thema Asyl und Migration im Landtagswahlkampf an Bedeutung gewonnen hatte – ein Verantwortungsbereich von Faeser, für den sie nun abgestraft wurde. Im Vorfeld hatte sie angekündigt, nur im Falle eines Wahlsieges nach Hessen zu wechseln. Das könnten die Wählerinnen und Wähler ihr angekreidet haben.
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Rhein könnte an Einfluss gewinnen
Zum guten Ergebnis der CDU sagt Expertin de Nève: "Die CDU hat in Hessen im katholischen Milieu und im ländlichen Raum viel Rückhalt". Aus der Forschung wisse man aber auch, dass ihre Wählerschaft überaltert sei. "Insofern ist dieses Ergebnis erstmal ein großer Erfolg und eine Bestätigung für den amtierenden Ministerpräsidenten Boris Rhein", so die Politikwissenschaftlerin.
Rhein führt als Nachfolger von Bouffier seit Mai 2022 die schwarz-grüne Landesregierung an. Die jetzige Landtagswahl bedeutete für ihn sein erstes Wählervotum. "Boris Rhein gehört zum pragmatischen Flügel der CDU an. Er hat sich von den Provokationen und schrillen Tönen des CDU-Bundesvorsitzenden Merz vorsichtig distanziert", erinnert de Nève. Ihre Einschätzung: Rhein wird in der CDU Deutschland an Einfluss gewinnen.
Im Wahlkampf profitierte er aber auch von der massiven Unzufriedenheit mit der Ampel-Politik. Ebenso kam ihm die Schwäche der anderen Spitzenkandidaten zugute – etwa die der FDP mit dem recht unbekannten Stefan Naas. Darunter hatten vor allem die Liberalen zu leiden. "Der FDP ist es in dieser Gemengelage nicht gelungen, ein Alleinstellungsmerkmal zu etablieren", analysiert sie.
Mehrere Koalitionen denkbar
Weil Rhein eine Koalition mit der AfD ausgeschlossen hat, bleiben zwei mögliche Partner für mehrheitsfähige Koalitionsoptionen übrig: SPD und Grüne. Die Expertin erwartet, dass die CDU mit beiden Parteien ins Gespräch kommen wird. "Beide potenziellen Koalitionspartner werden vermutlich schmerzhafte Zugeständnisse machen müssen, denn die CDU hat in den Verhandlungen stets eine andere Option in der Hinterhand", erinnert sie. Die Präferenzen der Bürger hätten Monate vor der Wahl immer bei Schwarz-Grün gelegen.
Ob sich Schwarz-Grün mit dem hessischen Ergebnis auch als Alternative im Bund andient, hängt aus ihrer Sicht sehr davon ab, in welche Richtung sich die CDU weiterentwickelt. "Mit
Bestes AfD-Ergebnis in Westdeutschland
Die AfD gehört zu den Wahlsiegern des Abends. Im Vergleich zu 2018 konnte sie ihr Ergebnis deutlich verbessern. Sie erhöhte ihr Ergebnis um über 5 Prozentpunkte auf mehr als 18 Prozent. Damit liegt sie in Hessen zwar unter dem Bundestrend, holt aber ihr bislang bestes Landtagswahl-Ergebnis in Westdeutschland.
"Wir sollten nicht vergessen, dass die AfD 2013 in Hessen gegründet wurde", sagt de Nève. Es habe in Hessen immer eine Wählerbasis gegeben – auch für kleinere rechtsextreme Parteien, die schon vor der AfD im Bundesland präsent waren. Konkret liegt der Geburtsort der AfD in der
Kleinstadt Oberursel im Taunus, wo im Februar vor zehn Jahren 18 Männer die AfD in einem Gemeindesaal gründeten. Die selbsternannte "Alternative für Deutschland" ging aus dem Verein "Wahlalternative 2013" hervor.
Rhein beteuert Brandmauer zur AfD
Die AfD wurde in mehreren kleinen Gemeinden stärkste Kraft – zum Beispiel in Frielendorf, Brachttal und Cornberg. "In den Umfragen lag die AfD lange Zeit auf den Werten der Landtagswahl von 2018. Erst kurz vor der Wahl hat sie bei den hessischen Wählern an Zustimmung gewonnen und sicherlich auch von einem Bundestrend profitiert", sagt de Nève.
Neben der Unzufriedenheit mit den Ampel-Parteien dürfte die AfD auch von der allgemeinen Themenlage profitiert haben: Statt landespolitisch gefärbter Themen wie Schul- oder Wohnpolitik ging es vorrangig um Zuwanderungspolitik und wirtschaftliche Sorgen.
"Uns kann man nicht mehr lange ausgrenzen", kündigte AfD-Spitzenkandidat Robert Lambrou im Gespräch mit der "Hessenschau" an. Es gebe einen "ganz tiefen Graben zwischen AfD und CDU" und "Die Brandmauer steht sehr fest" versprach hingegen CDU-Mann Rhein zuletzt in der "Tagesschau".
Über die Expertin
- Prof. Dr. Dorothée de Nève ist Professorin für das Politische und soziale System Deutschlands und den Vergleich politischer Systeme am Institut für Politikwissenschaft der Justus-Liebig-Universität Gießen.
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