Neuaufstellung nach dem Knall: Jette Nietzard und Jakob Blasel sind die neuen Bundessprecher der Grünen Jugend. Auch mit ihnen dürfte die Distanz zur Mutterpartei groß bleiben: Die Jugendorganisation ist genervt und enttäuscht vom Kompromisskurs der Grünen in der Bundesregierung.

Eine Analyse
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In der gesellschaftlichen Debatte weht der Wind seit einiger Zeit von rechts. Die AfD gewinnt an Zustimmung– gerade bei jungen Menschen. Und die Ampelkoalition hat zahlreiche Asylrechtsverschärfungen auf den Weg gebracht. In einer Leipziger Turnhalle versucht Jette Nietzard am Samstag, sich dagegenzustellen. "Wir brauchen keine Obergrenzen, wir brauchen Menschenwürde", sagt sie.

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Die 25-jährige Berlinerin engagiert sich für Flüchtlinge und die Enteignung großer Wohnungskonzerne. Ihre rund 800 Zuhörerinnen und Zuhörer hat sie in dieser Halle auf ihrer Seite: Die Grüne Jugend trifft sich in Leipzig zum Bundeskongress. Nietzard wird zusammen mit Jakob Blasel zum neuen Führungsduo gewählt.

Die beiden übernehmen die politische Jugendorganisation in stürmischen Zeiten.

Bundeskongress Grüne Jugend
Jette Nietzard und Jakob Blasel sind neue Vorsitzende der Grünen Jugend. © dpa / Sebastian Willnow

Turbulenzen nach Rücktritten

Denn die Grüne Jugend ist in Aufruhr. Kurz nachdem Ricarda Lang und Omid Nouripour Ende September ihren Rückzug von der Spitze der Bundespartei angekündigt hatten, sorgte der Jugendverband für den nächsten Knall. Der gesamte Vorstand trat zurück und verließ auch gleich die Partei. Die Führung des Jugendverbandes fühlte sich mehr und mehr entfremdet von den Grünen, die in der Bundesregierung zu viel Kompromisse machten und zu stark in die politische Mitte strebten.

Das Ziel der früheren Vorsitzenden Svenja Appuhn und Katharina Stolla lautet jetzt, einen neuen, "dezidiert linken" Jugendverband zu gründen. Ältere prominente Grüne haben ihnen keine Tränen nachgeweint. Auch im Jugendverband selbst ärgern sich viele über die Flucht der Chefinnen.

Von einem "Vertrauensbruch" war beim Start des Bundeskongresses am Freitag die Rede, dem scheidenden Vorstand wurde die Entlastung verweigert. Timon Dzienus, von 2021 bis 2023 Bundessprecher der Jugendorganisation, musste in den vergangenen drei Wochen das Vakuum füllen und als Feuerwehrmann den Bundeskongress vorbereiten. Ihm wird zu Ehren die Ehrenmitgliedschaft angetragen.

Jakob Blasel: "Kein Bock mehr auf eure Ausreden"

In der Mutterpartei besteht die leise Hoffnung, dass sich der Jugendverband in Zukunft weniger widerspenstig gibt. Doch dort ist ein Kurswechsel kaum zu erwarten. Auch die neuen Vorsitzenden pochen auf entschiedeneren Klimaschutz, mehr Umverteilung und ein Festhalten an offener Flüchtlingspolitik.

Der neue Co-Vorsitzende Jakob Blasel hat sich 2018 als Mitorganisator der "Fridays-for-Future"-Proteste einen Namen gemacht. Der 24-Jährige studiert Rechts- und Umweltwissenschaften. Besonders kritisch sieht er Aufweichungen beim Klimaschutzgesetz, denen die Grünen in der Bundesregierung zugestimmt haben. "Das ist peinlich und ich habe keinen Bock mehr auf eure Ausreden", ruft er.

Da klatscht das Turnhallenpublikum energisch, genau wie bei einer Warnung Blasels an Robert Habeck: Der grüne Vizekanzler hatte sich für eine Aussetzung des Lieferkettengesetzes ausgesprochen. Dazu sagt der Jugend-Chef: "Lieber Robert, schöne Grüße hier aus Leipzig: Wir tragen diese Politik nicht mit!"

Viel Jubel für den Juso-Chef

Ein grüner Bundesminister oder eine -ministerin lässt sich bei der Parteijugend übrigens nicht blicken. Dafür gibt es tosenden Applaus für den Vertreter einer anderen Partei: Der Juso-Bundesvorsitzende Philipp Türmer wird geradezu gefeiert, als er sagt, junge Grüne und junge Rote müssten sich einem gesellschaftlichen Rechtsruck gemeinsam entgegenstellen. "Lasst uns diese Generation nicht aufgeben", ruft er. Der Jubel ist noch lauter als bei den Reden der neuen Grüne-Jugend-Vorsitzenden.

Warnung an Kandidaten für Parteivorsitz

Die Distanz zwischen der Mutterpartei und ihrer Jugendorganisation bleibt groß. Einen "Kuschelkurs" mit den Erwachsenen lehnt die Jugend auf ihrem Bundeskongress ab. Vor allem die Verschärfungen beim Asylrecht, die die Ampelkoalition umgesetzt hat, stoßen dort auf heftigen Widerspruch. "Wir tragen keine Politik mit, die den Rechtsruck weiter anfeuert", sagt die Potsdamerin Viviane Triems.

Auch wenn der frühere Vorstand gegangen ist: Eine Austrittswelle ist unter den bundesweit rund 16.000 Mitgliedern der Grünen Jugend offenbar ausgeblieben. Doch das muss nicht so bleiben. "Ihr verliert euch, eure Wählerinnen und uns gleich mit. Kommt endlich klar!" ruft die Berlinerin Elina Schumacher am Morgen in den Saal in Richtung der Bundespartei.

Den Vorsitz der grünen Mutterpartei wollen nach dem Bundesparteitag Franziska Brantner und Felix Banaszak übernehmen. Vor allem dem 34-jährigen Parteilinken Banaszak gibt Schumacher einen klaren Auftrag auf den Weg: "Wir erwarten mehr Haltung und Ehrlichkeit, wenn du Vorsitzender der Grünen werden willst."

Verwendete Quelle

  • 58. Bundeskongress der Grünen Jugend in Leipzig
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