Welche Konsequenzen muss die Politik aus dem Anschlag in München ziehen? Der SPD-Politiker Lars Castellucci spricht mit unserer Redaktion über Regeln in den Sozialen Medien, die Begrenzung der Migration und Abschiebungen nach Afghanistan.
Wieder ein Anschlag in Deutschland: In München hat ein 24-Jähriger aus Afghanistan sein Auto am Donnerstag offenbar vorsätzlich in die Menschenmenge einer Demonstration gesteuert. Und wieder zeigen sich Politikerinnen und Politiker erschüttert und versprechen einen besseren Schutz der Bevölkerung.
Doch wie kann der aussehen? Fragen an den SPD-Politiker Lars Castellucci, den stellvertretenden Vorsitzenden des Innenausschusses im Deutschen Bundestag.
Herr Castellucci, welche Konsequenzen muss die Politik aus der Tat in München ziehen?
Lars Castellucci: Die konkrete Tat von München muss zuerst ausermittelt werden. Es braucht einen Moment des Innehaltens, auch aus Respekt gegenüber den Opfern, ihren Angehörigen und den Rettungskräften. Wir dürfen nicht jede schreckliche Tat nutzen, um politische Forderungen in die Arena zu werfen, die wir sowieso immer stellen.
Allerdings erwartet die Bevölkerung, dass die Politik für Schutz sorgt – erst recht, wenn sich die Fälle seit einem Jahr häufen: Mannheim, Solingen, Magdeburg, Aschaffenburg und jetzt München.
Es muss unterschiedliche Antworten auf diese Fälle geben. Der Täter von Magdeburg war offenbar ein psychisch erkrankter Islamkritiker, der – wie wir jetzt wissen – verschiedenen Behörden schon lange aufgefallen war und der sich in den sozialen Medien öffentlich radikalisiert hat. Der Fall wäre bereits mit geltendem Recht vermeidbar gewesen. Das ist ein ganz anderer Fall als bei Tätern mit einem islamistischen Motiv wie etwa in Mannheim. Allerdings würde ich schon sagen: Was wir in jedem Fall brauchen, sind gut ausgestattete Sicherheitsbehörden mit ausreichenden Befugnissen.
CDU und CSU sehen die Fälle dagegen als Beleg, dass es eine Migrationswende braucht – und ein noch härteres Vorgehen gegen die irreguläre Migration. Dem Zustrombegrenzungsgesetz der Union wollten SPD und Grüne allerdings im Bundestag nicht zustimmen.
Wenn eine Migrationswende bedeutet, dass die irreguläre Migration sinken soll, dann sind wir längst dabei: Zuletzt liegen wir fast 50 Prozent unter den Zahlen des Vorjahres. Die läppischen drei Punkte des Zustrombegrenzungsgesetzes haben dagegen – wenn überhaupt – nur symbolischen Charakter. Dieses Gesetz hätte keinen der Fälle irgendwie verhindern können. Wenn Sie eine Begrenzung ins Aufenthaltsrecht schreiben oder den Familiennachzug einschränken, hält das Islamisten oder psychisch Kranke hier im Land nicht auf.
Was schlagen Sie stattdessen vor?
Wir haben schon viel unternommen, weitere Gesetze liegen im Bundestag. Wenn Menschen Alltagsgegenstände wie Messer oder Autos zu Waffen machen, ist das natürlich schwer zu verhindern. Aber der Bundestag hat beispielsweise nach dem Anschlag von Solingen ein Gesetz erlassen, um die Einrichtung von Messer-Verbotszonen zu ermöglichen. Die Bundespolizei muss jetzt noch die Möglichkeit bekommen, in solchen Verbotszonen anlasslos zu kontrollieren. Das wiederum hat die Union im Bundesrat angehalten. Auch in den Sozialen Medien passiert noch zu wenig, wenn Menschen dort auffallen.
Inwiefern?
Wenn eine Person in einer Fußgängerzone auffällt und wüste Dinge schreit, würde ein Ordnungsdienst oder die Polizei schnell darauf aufmerksam werden und einschreiten. Im Internet ist das bisher nicht der Fall, aber auch da müssen Regeln gelten und durchgesetzt werden. Die Union hat einen Teil der Sicherheitsgesetze im Bundesrat aufgehalten. Das war fahrlässig. Die Umsetzung eines europäischen Asylsystems, das Bundespolizeigesetz und die Sicherheitsgesetze wären für die innere Sicherheit jedenfalls viel effektiver als das Zustrombegrenzungsgesetz der Union – all das liegt fertig auf dem Tisch.
"Unsere Hilfsbereitschaft solte den Schwachen zugutekommen – und nicht Kriminellen."
Die mutmaßlichen Täter von Aschaffenburg und München stammen beide aus Afghanistan. Bisher schiebt der deutsche Staat nur in Ausnahmefällen Menschen dorthin ab. Müsste das nicht öfter passieren?
Das ist ein kompliziertes Thema. Wir haben keine diplomatischen Beziehungen mit den Taliban, die in Afghanistan an der Macht sind. Aus gutem Grund. Eine Terrororganisation sollten wir nicht noch stärken, indem wir mit ihr zusammenarbeiten und womöglich noch Geld zahlen. Wer hierzulande eine Straftat begeht, hat nach unseren Gesetzen den Großteil seiner Strafe in Deutschland abzusitzen. Das finde ich weiterhin richtig. Außerdem will ich nicht, dass Terroristen in afghanischen Camps wieder aufgepäppelt und von neuem losgeschickt werden. Ich finde aber auch, dass unsere Hilfsbereitschaft den Schwachen zugutekommen sollte – und nicht Kriminellen.
Was heißt das?
Wir dürfen keine kompletten Abschiebestopps in bestimmte Länder ausrufen, das ist nur eine Einladung an die falschen Leute. Es gibt Wege, um Menschen zurückzuführen: zum Beispiel mithilfe von Zwischenorganisationen und Nachbarländern. Das ist bereits geschehen – und ich bin dafür, solche Aktivitäten zu verstärken, damit Abschiebungen regelmäßig erfolgen können.
Über den Gesprächspartner
- Prof. Dr. Lars Castellucci wurde 1974 in Heidelberg geboren. Er studierte Politik, Geschichte und Öffentliches Recht in Heidelberg, Mannheim und San Francisco, arbeitete später in der Organisationsberatung und als Professor für Nachhaltiges Management an der Hochschule der Wirtschaft für Management in Mannheim. Seit 2013 ist er Mitglied des Bundestags. In der zu Ende gehenden Wahlperiode ist er dort stellvertretender Vorsitzender des Innenausschusses.
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