Nach dem Sturz von Assad ist die Stimmung unter den Syrerinnen und Syrern in Deutschland ausgelassen. Doch am Rande von Feierlichkeiten wurde am vergangenen Wochenende ein 26-Jähriger mit Syrien-Flagge bewusstlos geschlagen. Wie der innersyrische Konflikt auch hierzulande bemerkbar werden könnte, erklärt Nahost-Experte Rasim Marz.
In Syrien ist das Assad-Regime durch die islamistische Miliz Haiat Tahrir al-Scham (HTS) gestürzt worden. Auf den Straßen in Damaskus und in anderen Städten feierten zuletzt zehntausende Menschen die siegreichen Rebellengruppen. Syrerinnen und Syrer versammelten sich auf öffentlichen Plätzen, schwenkten die Flaggen der syrischen Demokratiebewegung und jubelten.
Auch in Berlin feierten Exil-Syrer ausgelassen mit Auto-Korsos den Sturz von
Konfliktlinien werden deutlich
Der polizeiliche Staatsschutz hat Ermittlungen wegen gefährlicher Körperverletzung mit politischem Hintergrund eingeleitet. Die Beziehungen zwischen dem Libanon und Syrien sind seit Jahrzehnten stark belastet.
So hat Syrien die Souveränität des Libanon nie wirklich anerkannt, das Land in der Vergangenheit besetzt und Syrien soll am Attentat auf den libanesischen Ministerpräsidenten Rafiq al-Hariri im Jahr 2005 beteiligt gewesen sein. Der Vorfall wirft die Frage auf, ob die Konfliktlinien im Nahen Osten nun auch verstärkt in Deutschland zu Tage treten könnten. In Deutschland leben rund eine Million Geflüchtete aus Syrien.
Ungewisse Zukunft
Die Zukunft von Syrien ist noch immer ungewiss. Auch
Historiker und Nahost-Experte Rasim Marz beobachtet die Situation im zersplitterten Syrien bereits seit vielen Jahren. "2011 wurde Damaskus auch von den Ereignissen des Arabischen Frühlings erfasst, der jedoch, anders als in Tunesien oder Ägypten, keine unblutige Abdankung des syrischen Diktators Assad erreichte", erinnert er im Gespräch mit unserer Redaktion.
Zersplittertes Land
Das Assad-Regime habe die Opposition brutal niedergeschlagen und das Land in einem Bürgerkrieg versinken lassen. Die Regierung habe mehrfach Giftgas gegen die eigene Bevölkerung eingesetzt und habe ihre Macht nur dank der Bündnishilfe von Russland und der schiitischen Allianz bestehend aus dem Iran und der Hisbollah erhalten.
"Die wichtigsten Kräfte bilden aktuell die islamistische HTS (frühere Al Nusra Front) und die Freie Syrische Armee, die beide von der Türkei unterstützt werden", erklärt Marz. Zur Freien Syrischen Armee zählen unter anderem ehemalige Soldaten aus der Armee von Assad, die sich mit den Demonstranten zusammenschlossen. Neben der Türkei liefern auch Saudi-Arabien, Libyen und die USA Waffen und Ausrüstung an die Freie Syrische Armee.
Kurden im Fokus
"Hinzu kommt die kurdische SDF/YPG, die als Ableger der Terrororganisation PKK gilt und der sich auch bewaffnete Milizen der Minderheitengruppen wie Drusen oder Armenier anschließen", sagt Marz. Kurdische Gruppen kontrollieren seit 2012 vor allem den ölreichen Nordosten Syriens. Die aufgebaute Autonomie könnte nun allerdings gefährdet sein. Denn ein Syrien unter Führung islamistischer Rebellen, die von der Türkei unterstützt werden, könnte Kurdinnen und Kurden herausfordern.
Ob der Islamische Staat im Zuge des Zusammenbruchs des Assad-Regimes erneut in Syrien seine Macht entfalten könne, sei derweil fraglich – denn die islamistischen Gruppierungen innerhalb der HTS-Allianz wollten ganz Syrien kontrollieren und würden eine Teilung ihrer Macht kaum hinnehmen.
Profiteure werden zu Verfolgten
"Die Alawiten, die den Staatsapparat maßgeblich dominierten, zählen zu den großen Verlierern des Umsturzes", sagt der Experte. Dabei handelt es sich um eine religiöse Minderheit, die bis zum Sturz Assads die herrschende Elite bildete. Assad selbst gehört zu den Alawiten, wozu etwa 12 Prozent der Syrier zählen.
Die einstigen Profiteure des Assad-Regimes müssen nun um ihr Leben fürchten. Milizenführer Abu Mohammed al-Dscholani kündigte an, Assad-Unterstützer zur Rechenschaft zu ziehen. Auf einer Liste will er namentlich festhalten, wer gejagt werden soll. Auch Assad-Anhänger könnten aus Angst vor Repressalien nach Deutschland fliehen.
"Politische Verfolgung muss hier nicht zwingend vorgebracht werden. Wenn die neue syrische Regierung den Schutz religiöser oder ethnischer Gruppierungen nicht garantieren kann, wird ihnen entsprechend ein Status gewährt werden", meint Marz. Dies gelte auch für Assad-Anhänger, die zum Großteil aus den Minderheitsgruppen stammen.
Experte: Könnte zu offenen Konflikten kommen
Bislang handelt es sich bei den geflüchteten Syrern in Deutschland hauptsächlich um Assad-Gegner, die unter dessen Regime litten. Das dürfte sich nun ändern: "Fluchtbewegungen von Assad-Anhängern oder von Alawiten, die aufgrund ihrer religiösen Zugehörigkeit Repressalien zu befürchten haben, werden bereits registriert", sagt Marz.
Dadurch könne es auch in Deutschland zu offenen Konflikten zwischen Regimeanhängern und -gegnern kommen. Das hätten jüngst die Ereignisse um eritreische Flüchtlinge gezeigt. "Die gewalttätigen Auseinandersetzungen in Flüchtlingsunterkünften oder auf deutschen Straßen zwischen großen Gruppen wäre auch hier gegeben", so Marz.
Im vergangenen Jahr war es unter anderem zu schweren Ausschreitungen am Rande eines Treffens des Verbands eritreischer Vereine in Stuttgart gekommen. Dabei ging es um den Konflikt zwischen Regime-Anhängern von Präsident Isayas Afewerki und dessen Gegnern.
Über den Gesprächspartner
- Rasim Marz ist ein deutsch-türkischer Historiker und Publizist für die Geschichte des Osmanischen Reiches. Zu seinen Forschungsschwerpunkten zählt neben Syrien auch die europäische und osmanische Diplomatie des 19. Jahrhunderts sowie die Subversion des Nahen Ostens im 20. Jahrhundert.
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