Nach dem Anschlag bei Moskau ist die Terrorgruppe "Islamischer Staat Provinz Khorasan" (ISPK) in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit gerückt. Wer verbirgt sich dahinter? Und welche Gefahren bestehen für Deutschland?

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Der Terrorangriff auf die Konzerthalle in Russland hat viele Menschen schockiert. Mittlerweile hat sich ein Ableger des "Islamischen Staates" (IS) dazu bekannt. Dabei schien der IS in den letzten Jahren zunehmend aus der öffentlichen Wahrnehmung verschwunden zu sein. Doch ganz weg war die Gefahr nie, und in den letzten Jahren hat die Bedrohung eher wieder zugenommen.

Es ist erst ein paar Jahre her, dass der sogenannte IS in Europa Schrecken verbreitet hat. Auf dem Staatsgebiet des Irak und Syriens hatte sich diese Gruppe ausgebreitet und 2014 dort ein "Kalifat" ausgerufen. In den Folgejahren verübten sie dort viele Anschläge und waren auch für den Völkermord an den Jesiden verantwortlich. Auch hinter den Angriffen auf die Redaktion der französischen Satirezeitschrift "Charlie Hebdo" oder den Berliner Weihnachtsmarkt im Jahr 2016 steckten damals Anhänger der IS.

Eine internationale Allianz verschiedener Staaten unter der Führung der USA kämpfte fortan gegen die Gruppe und drängte sie bis 2019 aus dem Irak und aus Syrien heraus. Auch wenn die Gefahr von Europa aus gesehen scheinbar nachgelassen hat, verübten die Terroristen des IS oder ihrer Untergruppen dennoch weiter Anschläge. So etwa bereits in diesem Jahr in Pakistan und in Afghanistan. Der Anschlag im Iran Anfang Januar 2024 forderte laut "Tagesschau" 94 Tote und über 280 Verletzte.

"Islamische Staat Provinz Khorasan" ist ein Ableger des IS aus Afghanistan

Nach dem Anschlag auf die Konzerthalle Crocus City Hall nahe Moskau vor knapp einer Woche ist ein bestimmter Teil des IS erstmalig in den Fokus der breiten Öffentlichkeit gerückt. Hierbei handelt es sich um den Ableger "PK", was sich auf die Bezeichnung "Provinz Khorasan" bezieht. Diese Gruppe hatte sich bereits 2014 gegründet und trat im Jahr darauf in Afghanistan erstmalig auf. Bei dem Begriff Khorasan handelt es sich um ein historisches Gebiet im heutigen Afghanistan und in westlich davon gelegenen Gebieten unter anderem in Turkmenistan und dem Iran.

Diese Gruppe sieht sich als Unterorganisation des IS, von denen es auch in Afrika noch andere gibt. In Afghanistan selbst steht der ISPK unter Druck, weil die dortigen Taliban ihn bekämpfen. Daraufhin erklärte der ISPK, mehr Anschläge in Afghanistan, aber auch in Europa verüben zu wollen, um die eigene Position in dem Land zu stärken. Die Anhänger der Gruppe sehen die westliche Welt, aber auch Russland als Orte, an denen "Ungläubige" leben, sagte der ARD-Terrorismusexperte Michael Götschenberg.

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In den letzten Jahren gab es in Deutschland bereits Anschlagspläne

Erste Hinweise gab es schon 2019, als sieben Personen hierzulande verhaftet wurden, die Kontakt mit dem IS in Afghanistan hatten. Sie wollten einen Anschlag auf einen Islamkritiker verüben und wurden zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt, wie Götschenberg sagt. Im Zuge der Fluchtbewegung aus der Ukraine ab dem Jahr 2022 seien ISPK-Anhänger verstärkt nach Deutschland gekommen. Es habe sich dabei um Tadschiken, Usbeken, Turkmenen und Kirgisen gehandelt, die unter dem Deckmantel des Schutzes für Ukrainer ins Land gekommen seien. Die Sicherheitsbehörden würden gegenwärtig etwa 50 Personen aufmerksam verfolgen, erklärt der ARD-Terrorismusexperte.

Doch auch der Anschlag der Hamas auf Israel habe zu einer großen "Mobilisierung von Islamisten und Dschihadisten in Europa" geführt, sagt der Terrorismusexperte Peter Neumann vom King’s College in London dem "Deutschlandfunk". Der ISPK sei unter den verschiedenen Terrorgruppen mittlerweile als besonders aggressiver Ableger des IS bekannt. Diese Gruppe versuche "sehr ambitioniert und aggressiv, Anschläge auch im nicht-muslimischen Ausland, darunter auch in Westeuropa" zu verüben.

Neumann weist auch auf eine gestiegene Zahl an Anschlagsversuchen hin. So habe es im ganzen Jahr 2022 in Europa sechs versuchte dschihadistische Anschläge gegeben, seit Oktober 2023 jedoch bereits acht. Weiterhin gäbe es in Deutschland auch immer noch die Gefahr von Anhängern der Dachorganisation des IS, die aber nicht untereinander vernetzt seien, sagt der Experte. Diese agierten als Einzeltäter, die Anhänger des ISPK dagegen seien in Netzwerken organisiert und könnten daher umso schlagkräftiger auftreten.

Terrorgefahr für Deutschland als "akut" eingestuft

In Deutschland gab es zuletzt mehrere Aktivitäten des ISPK, wie das ZDF berichtete. So nahm die Polizei am 6. Juli 2023 sieben Personen in Nordrhein-Westfalen fest, die Verbindungen zu anderen Teilgruppen ihres Netzwerkes in Frankreich und Dänemark gehabt haben sollen. Im November letzten Jahres sind den Behörden zwei Jugendliche aufgefallen, die in NRW und in Brandenburg Weihnachtsmarktanschläge geplant haben sollen, um sich später dem ISPK anzuschließen.

Im Dezember verhafteten die Ermittler dann Mitglieder der Terrorgruppe, die Anschläge auf den Kölner Dom und den Wiener Stephansdom geplant haben sollen. Und am 19. März dieses Jahres war bekannt geworden, dass zwei Männer, die dieser Gruppe angehören, in Gera festgenommen worden waren. Sie sollen dort mit Planungen für einen Anschlag auf das schwedische Parlament beschäftigt gewesen sein.

Aber oft ist Deutschland auf befreundete Nachrichtendienste im Ausland angewiesen, wenn es um Hinweise auf mögliche Terroraktionen geht. Das kritisiert auch Sachsens Innenminister Armin Schuster am Dienstag in der ARD. Er forderte daher von der Bundesregierung, die Kompetenzen der Sicherheitsorgane in Deutschland auszuweiten.

Bundesinnenministerin Faeser erklärte nun in der "Süddeutschen Zeitung", sie stufe die Bedrohungslage für Deutschland als weiterhin "akut" ein. Innenpolitisch hat derweil die Debatte darüber begonnen, wie der Bedrohung sicherheitspolitisch begegnet werden kann. Einen besonderen Schwerpunkt bildet dabei auch der Schutz der kommenden EM im Sommer - damit die Fußballfreude nicht durch einen Terrorakt jäh beendet wird.

Verwendete Quellen

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